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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.22227#0486

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LXI

Hmmungcn.

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nlängst wurde in den Münchner Ateliers scherzend die Rundfrage auf-
geworfen: „Wer ist Münchens liebenswertester Künstler?“ und „Defregger,
natürlich Defregger“ antwortete es ohne Besinnen aus jedem Munde. Ja, als
Mensch und als Maler wird Franz Defregger unbedingt einmütig und neidlos der
Preis herzgewinnender Liebenswürdigkeit zuerkannt. Im Leben wie im Schaffen
zeichnet ihn dieselbe ehrliche Tüchtigkeit, die nämliche schlichte Vornehmheit
und natürliche Grazie aus. Sein Herzenstakt ist ohne gleichen
und wird vielleicht nur noch von seiner Güte übertroffen. Man
sagt ihm nach, er habe nie einen Strich daneben gethan.

Gewiss hat er nie im Stoff sich vergriffen. Sein künstlerisches
Feingefühl, sein gemütsinniger Kontakt mit dem wahrhaft
Volkstümlichen liess ihn aus der Fülle der Erscheinungen
stets Motive herausgreifen, die harmonisch in unserer Seele
anklingen, gleichviel, ob er die Saiten eines zarten lieblichen
Familienglücks, ob die eines hehren und lauteren Patriotismus
rührt. Aber wie er selbst eine völlig abgeklärte Natur, bei
der männliche Kraft und Energie mit weichem, warmen
Empfinden, der Schwung des Temperaments mit edler, aus
gewissenhaftester Pflichterfüllung entsprossener Ruhe sich die
Wage halten, so schlägt auch in seinen Werken nirgend das
erzählende oder auch nur das Gemütsmoment allein vor. Das
eben beweist den echten Künstler, dass Defregger in aller-
erster Linie seinen Stoff malerisch auffasst, das unterscheidet
den auf seinem ihm ureigenen Gebiete bahnbrechenden Meister
von seinen zahllosen Nachtretern, dass er Gehalt und Er-
scheinung, Form und Farbe, ja alle einzelnen Gestalten und Züge des Bildes in
absoluten Einklang, zu harmonischer Verschmelzung bringt. Defregger malt
seine Modelle nicht „ab“ und arrangiert sie nach verteilten Rollen. Wenn er
den „Ilias“ oder die „Miezl“ im Bilde wiedergiebt, so hat seine Kunst aus der
innersten Tiefe einer befreundeten Natur geschöpft und einen Typus geschaffen,
der die intimsten Züge, den ganzen Charakter seiner Stammesgenossen offen-
bart. Defregger wählt fast nie seinen Vorwurf ausserhalb seiner Heimat, deren
Geschichte und Sitten er mit Begeisterung und Vaterlandsliebe so meister-
lich geschildert hat.

In Hausbrauch und Lebensführung bekundet der kgl. bayrische Akademie-
professor und Ritter des Maximiliansordens Franz von Defregger noch immer die
treue Anhänglichkeit an Tirol, die der Stronacher Bauernsohn einst gehegt und
aus seinem abgelegenen Pusterthaler Geburtsdörflein mitgenommen in die Welt,
als er 1860 sich entschlossen, nach Insbruck zu gehen, um Bildhauer zu werden.
Früh hatte mit dem Hang zum „Abbildein“ das Talent sich verraten, und beinahe
hätte dessen erste Probe den angehenden Künstler in Konflikt mit dem Straf-
gesetz gebracht. Der kleine Hüterbub übte in Ermangelung anderer Vorlagen
seinen Fleiss im Nachzeichnen an ein paar Guldenzetteln mit solchem Geschick,
dass ein böswilliger
Nachbar ihn der Fäl-
schung verdächtigte,
während er seine ersten
Schritte auf dem Wege
naturalistischer Wahr-
heit that. Franzl’s nach-
gebildete Banknoten
übten auf den Kundi-
gen, dem sie infolge der
Bezichtigung zu Gesicht
kamen, zwar nicht die
Wirkung von Parrha-
sios Vorhang, weckten
aber die Ueberzeugung,
dass „wer’s Geld so z’
wegen bracht“ zu was
Hohem als zum Vieh-
hüten da sei „und auf d’
letzt unsern Ilerrgott
selber schnitzelnkunnt“

Immerhin wurdederam
30. Abpril 1835 ge-
borene „Franzi“ 25
Jahre alt, ehe er dazu
kam sich der Kunst zu
widmen.

Nachdem er unter
Stolz in Insbruck sich
klar geworden, dass sein

[Nachdruck verboten.]

eigentlicher Beruf die Malerei sei, wandte er sich nach München, wo er, um ein Jahr-
zehnt an Alter und Lebensernst den Gefährten voraus, zuerst die Vorbereitungs-
schule des einstigen Kunstgewerbevereins und den Antiken-Kurs besuchte, um
dann in die technische Malschule von Anschütz, wo er mit Oberländer,
Benczur, Gura, Leibi, Grützner, Haider zusammentraf, um schliesslich in die
Komponierschule von Piloty zu treten. Bei diesem gründlichen Studiengang hat
sich Defregger eine ausserordentliche zeichnerische Fertigkeit angeeignet, die auch
heute noch, da er das früher besonders in trefflichen Porträtköpfen gern gepflegte
Zeichnen an sich längst aufgegeben, in allen seinen Gemälden
durchleuchtet, bezweckt, dass alle Formen „so famos sitzen“,
das heisst unter jedem Körper ein anatomisch richtiges Skelett
steckt. Schon auf der Schule besass Defregger eine zielbe-
wusste Sicherheit im Schaffen, welche die Kollegen in Er-
staunen setzte. Man hätte ihm neidisch sein können, wenn er
nicht ein so seelensguter, kreuzbraver Kerl, gewesen wäre. Er
ging nicht wie andere leidenschaftlich ins Zeug und malte in
einem Zuge herunter, was ihm im Sinn lag. Aber er brauchte
auch nichts zu übermalen, nichts „abzukratzen“, bei Seite zu
schleudern. Gleichmütig und beharrlich sass er an der Staffelei,
arbeitete stets am langsamsten und war immer am schnellsten
fertig mit einem Bilde, an dem man seine Freude haben musste.
Nach mehreren ansprechenden Bildern entpuppte er in „Speck-
bacher und sein Sohn“ sich als der Defregger, der in der Kunst-
geschichte weiterleben wird. Das war der Anstieg zu den
Höhen einer edlen „Heimatkunst“, deren Gipfel er mit dem
„letzten Aufgebot“ erreichte. Seine nun grossenteils in derHaupt-
stadt Tirols vereinigten vaterländischen Geschichtsbilder, seine
heimatlichen Sittenschilderungen voll natürlicher lebenswarmer Anmut aufzählen,
heisst liebe Erinnerungen wachrufen, denn die Bilder aus den tiroler Freiheits-
kämpfen sowohl als wie den „Besuch“, die „Brüder“, den „Ball auf der Alm“,
den „Salontiroler“, das „Tischgebet“ kennt und schätzt, wer sie je gesehen.
Defregger ist im besten Sinne populär, wie kaum ein zweiter Maler unserer Zeit,
und dem Galeriebesucher so lieb wie dem Aelpler, der mit Stolz „die Heimkehr
der Sieger“ auf seinem Pfeifenkopf betrachtet, oder dem Kleinbürger, der seine
Stube mit einem Farbendruck des „Feierabend“ schmückt. Bewusst oder un-
bewusst stehen sie samt und sonders unter dem Banne des innigen Gemüts-
zaubers, der wie der Duft, die Seele gleichsam einer Blume aus dem Kelche uns
aus dem Zusammenspiel seiner Farben und Formen entgegenweht. In genauester
Kenntnis des Zuständlichen und Persönlichen schafft Deffregger mit seiner Ge-
staltungskraft Scenen aus dem Volksleben, ernste wie heitere, die frei von
Schminke und Pose, so wahr als schön sind.

Defregger’s Eigenart erklärt sich am besten, wenn man auf ihn das Wort
Zolas, dass die Kunst der Widerschein des durch ein spezifisches Temperament
gesehenen Lebens sei, anwendet. Das Wesen Defregger’s ist durch und durch
ideal. Sit verbo venia! Es reimt sich, wie seine Werke beweisen, ganz gut

mit Wahrheit und Na-
turtreue. Weniger aber
mit dem, woran der
Tagesgeschmack just
sein Vergnügen hat.
Von einem Manne,
einem Künstler noch
dazu, der ein ideales
Familienleben besitzt,
siehs verdient hat
durch Selbstlosigkeit
und Güte; der fried-
fertig und rücksichtsvoll
allem Parteihader aus
dem Wege geht, der
seine Wohlthaten ver-
stohlen erweist, damit
keiner, wenn möglich
der Beschenkte selbst
nicht, erfahre, wer die
Grossmut besessen,
jährlich tausende für
die Ausbildung eines
Talentes zu opfern; von
einem Maler, der Bilder
kauft, um einem Kol-
legen eine unverdient
herbe Kritik zu ver-
süssen oder einen An-
fänger zu ermutigen;

üon DeFi?egget?.

Franz von Defregger.

C TeufelMünchen, phot.

Franz von Defreggers Atelier.
 
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