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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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y Hn unsere Leser!

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Jfifuch in diesem Jahre wird die Redaktion der „Modernen Kunst“ auf ihre besonders reich ausgestatteten Extrahefte die grösste Aufmerk-
samkeit und all ihre reichen Mittel verwenden. Ausser den bereits veröffentlichten Künstler-Nummern werden wir noch im laufenden Jahrgange

zwei Weitere * ^unjiRCFt)

bringen. Wir werden unseren Lesern eine

Ferdinand Keller-Nummer -*■ Sommer-Nummer

bieten. Diese prachtvoll ausgestatteten Extra-Hefte werden unsern Abonnenten ohne jeden Preisaufschlag geliefert.

Mit der „Keller-Nummer“ werden wir eine vollständige Uebersicht über die Lebensarbeit des genialen Malers darbieten, die deswegen
so interessant wird, weil uns dazu reichhaltiges künstlerisches Material zur Verfügung gestellt worden ist. Die „Sommer-Nummer“ wird den
laufenden Jahrgang abschliessen. Weiten Kreisen ist die Reichhaltigkeit und Farbenfreudigkeit dieses Heftes längst bekannt; auch die diesjährige
„.Sommer-Nummer“ wird diesen wohlbegründeten Ruf aufs neue befestigen.

Die Redaktion der „Modernen Kunst“.

Londoner Klubs.

Von Carl Cuno.

Das Londoner Leben hat zwei von einander völlig
getrennte Seiten. Die eine, des äusseren London, sieht
jeder Fremde: das verwirrende Hasten und Treiben
der City, die Eleganz des Hydeparks, die Prunkläden
von Regentstreet, den Fischmarkt zu Billingsgate, die
unterirdischen Eisenbahnen, die gigantischen Samm-
lungen und Museen und den Riesenbau von Tower
Leidge. Das innere London aber bleibt den meisten
Fremden ein Geheimnis, denn es sammelt sich zum
grössten Teil in den Klubs, die dem Ausländer in der
Regel streng verschlossen bleiben, von denen er nur
die prächtigen Gebäude, die hohen Fassaden mit ihren
blitzenden Fenstern sieht und dahinter, in bequemen
Lehnstühlen, schlanke, echt englische, wohl trainierte
Männergestalten, Zeitungen in den Händen, oder in
gruppenweiser, anscheinend sehr lebhafter Unterhai-
haltung. Und doch offenbart sich der wahre englische
Charakter vielleicht nirgends so echt und so tief, wie
gerade im Klubwesen, weil sich der Engländer eben
hier ganz unter sich fühlt. Das Klubwesen ist vielleicht
das charakteristische, was man überhaupt in London
beobachten kann, denn es entspricht ganz und rein dem
englischen Wesen. Der beste Beweis dafür ist, dass
das Wort sich in keine andere Sprache hat übersetzen
lassen, dass man es für die Nachahmungen dieser eng-
lischen Einrichtungen, die man in Deutschland und
Frankreich versucht hat, beibehalten musste. Denn
weder der französische „cercle“ noch der deutsche
„Verein“ decken sich damit. Namentlich der letztere
verfolgt gewöhnlich einen praktischen Zweck, während
das Wesen des englischen Klubs eben darin besteht,
unter Vermeidung des Sonderzweckes den ganzen
Menschen anzuregen und zu befriedigen. Doch auch
der Pariser oder Berliner „Klub“ hat wenig gemein mit
dem Londoner. Jene sind, mit wenigen rühmlichen
Ausnahmen, wie etwa der Berliner „Unionsklub“, ge-
sellige Vereinigungen zum Betrieb des Glücksspiels und
des Wettens. Im Londoner Klub ist das Kartenspiel
gänzlich Nebensache, ja in einigen wird es wohl über-
haupt wenig gepflegt — in anderen, ganz bestimmten,
freilich auch bevorzugt.

Der Fremde, der nach London kommt, thut gut,
ein für allemal die Ueberzeugung anzunehmen, dass in
London auf den ersten Anblick alles unsinnig, verrückt,
verkehrt erscheint, den kontinentalen Gewohnheiten ge-
rade entgegengesetzt, dass aber bei näherer Betrachtung
hinter dieser scheinbaren Verkehrtheit ausserordentlich
viel gesunde Vernunft und praktischer Sinn liegt, und
dass sie vor allen Dingen den englischen Bedürf-
nissen ausserordentlich entspricht. Wenn man in London
ein Beefsteak essen will, geht man zum Konditor — in
den Cafös kann man alles gemessen, nur keinen Kaffee —
die Kutscher sitzen hinten, am Wagenende, und die
Damen grüssen die Herren zuerst. Aber auf diese
Weise kann jede einzelne Dame bequem in einem
öffentlichen Lokale speisen, ohne durch die unvermeid-
lichen Unannehmlichkeiten der Menge belästigt zu
werden, und niemand ist, wie anderwärts gezwungen,
zum Essen alkoholische Getränke zu sich zu nehmen —
die Kutscher können die ganze Weite der Strasse
bequem übersehen, und jede Dame kann den Herrn,
der ihr in diesem Augenblicke unerwünscht entgegen-
kommt, bequem ignorieren. So erweist sich bei ge-
wissenhafter Prüfung alles, worüber wir uns beim
Engländer oft lustig machen, als im Wesen höchst ver-
nünftig. Die Gewohnheit, im Frack zur Hauptmahlzeit
und ins Theater zu kommen, ergiebt sich aus dem
Londoner Klima, denn der Dunst und Nebel der City
verunreinigt tagsüber Kleider und Wäsche so sehr,
dass es unmöglich ist, abends daheim Damen gegen-
überzutreten, ohne sich umgekleidet zu haben. Und
selbst der berüchtigte, totenstille Londoner Sonntag hat
sein Gutes, denn das gewaltige Geschäftstreiben an den
Wochentagen ist so aufreibend, dass nur ein voll-
ständiges „Ausspannen“ die ungestörte Ruhe eines
Tages Körper und Geist zu den Strapazen der nächsten

Woche wieder fähig machen kann. So entspringen
auch die eigentümlichsten Einrichtungen der englischen
Klubs ganz den Bedürfnissen und Grundstimmungen
des englischen Lebens.

Dem Fremden in London fällt die verhältnismässig
(im Vergleich zur Grösse der Stadt) geringe Zahl und
wenig behagliche Einrichtung der Restaurants auf.
Einige wenige sind sehr gross und üppig, mit ausser-
ordentlich hohen Preisen, meist für elegante und reiche
Gesellschaften mit Damenbeteiligung eingerichtet, und
das interessanteste Leben entfaltet sich mit ihnen in der
kurzen Zeitspanne zwischen Theaterschluss und Polizei-
stunde. Die meisten anderen sind eng und klein und
schliessen früh. Von grossen weltstädtischen Cafös, wie
sie Paris, Berlin, Wien in Ueberfülle haben, besitzt
London eigentlich nur ein einziges, in der Regent Street.
Es ist sehr schwer, in den öffentlichen Lokalen Londons
Zeitungen zu bekommen.

Der Engländer kann sich nun einmal mit dem Auf-
enthalt in Kneipen und Cafös nicht befreunden. Wenn
er ausgeht, so besucht er das Theater oder die Music-
Hall. Im übrigen geht ihm nichts über das eigene
Heim. Dies sucht er mit allem Comfort auszustatten,
hier scherzt, spielt, diskutiert er im Drawing-Room im
Kreise der Seinen, hier sieht er seine Freunde und
Gäste bei sich. Hier stapelt er eine Fülle von Büchern
und Zeitschriften auf. Es ist sehr schwer, namentlich
für einen Fremden, in ein englisches Haus Zutritt zu
erhalten: das ausgedehnte Londoner Leben, in dem aus
aller Herren Länder die verschiedenartigsten Elemente
zusammenströmen, macht die grösste Vorsicht in der
Wahl des Umganges notwendig. Der aber, dem der
Engländer sein Haus einmal öffnet, wird darin ganz wie
ein Familienmitglied betrachtet.

Nun ist es aber unmöglich, in dem meist kleinen
und engen englischen Familienhause alle Bekannten zu
vereinigen. Die ungeheueren Entfernungen in London,
die Fülle der persönlichen Beziehungen, der Wunsch
der Männer, zur Besprechung gemeinsamer Interessen
unter einander zu sein, die Pflicht, oft tagsüber in der
Stadt zu bleiben und erst spät Abends wieder nach
Haus — das ist oft: aufs Land — zu fahren, ergeben
schon für sich die Notwendigkeit eines Absteigequartiers,
eines Treffpunktes in der inneren Stadt. Ein Stück
Restaurant, Lesezimmer, Ruhekabinet, Börse: alles das
ist der Londoner Klub. Er ist ein Erzeugnis des
Wunsches jedes einzelnen, auch im brennenden öffent-
lichen Leben ein Stück eigenes Heim zu besitzen, im
rasenden Weltstadttreiben nicht ganz einsam und ver-
bindungslos zu stehen, sondern immer Fühlung mit
Gleichen zu bewahren. Er ist das Mittelding zwischen
Haus und Welt, und die Vereinigung eines Teils von
beiden. Das Erzeugnis des Verlangens, auch fern von
der Familie nicht anf das Belieben und die Intelligenz
eines Wirtes angewiesen zu sein, sondern mitten drinnen
im Londoner Leben sein eigener Herr zu bleiben und
ein Stückchen Erde sein zu nennen, auf dem eine Ge-
nossenschaft Gleichgesinnter schaltet und waltet. Natür-
lich spreche ich hier nur von den eigentlichen, den
grösseren Klubs — nicht von den zahllosen sogenannten
Winkelklubs, die namentlich bei den Deutschen in Lon-
don beliebt sind, und die in den schlecht möblierten
Hinterzimmern dumpfer Kneipen der Eastend ein un-
stabiles, trauriges Mietsdasein führen.

Mehrere grosse, vornehme Strassen Londons werden
ganz oder beinahe ganz von hervorragenden Klubs einge-
schlossen, vor allem Pall Mall, in unmittelbarer Nähe von
St. James Palast und vonMarlboroughHouse, derWohnung
des Prinzen von Wales, und der westliche Teil von Picca-
dilly, dem gegenüber sieh der vornehme Green Park aus-
breitet. Auch bei Trafalgar Square, in der Nähe des Parla-
ments und jenseitsWestminster Abtey, Victoria Street hin-
unter, bis gegen Victoria Viction zu, treffen wir auf eine
Fülle vornehmer, stiller Klubhäuser. Wie jeder Engländer
eine Individualität ist, so hat auch jeder englische Klub
seine Natur und Eigenart. Die beiden grössten po-
litischen Klubs haben ihre Heime natürlich in der Nähe
des Parlaments: der National Liberal Klub und der Kon-
stitutionei Klub, jener die Hauptvereinigung der Whigs,
dieser die der Tories. Der National Liberal gilt jetzt

für den grössten Klub Londons, er zählt über 5000 Mit-
glieder: Abgeordnete, Journalisten und alles, was mit
der Politik in Verbindung steht, und sein Haus, zwischen
Parlament und Trafalgar Square, wenige Minuten vom
Hauptbahnhof Charing Cross, gegenüber den riesigen
Höfels von Northumberland Street, an die gigantischen,
zinnen- und giebelreichen Mietspaläste von Whitehall
Court gelehnt, gilt, mit seinen weitdh, schön gewölbten
Sälen, mit seinen breiten Terrassen und den Aussichten
auf die mächtige, schiffsbedeckte Themse, jetzt für eins
der schönsten Gebäude Londons. Für den vornehmsten
und exklusivsten gilt der Marlborough Club in Pall Mall;
nur der höchste Adel der Geburt und des Geistes findet
hier Zutritt. Der Konstitutionei Klub ist, da England
gegenwärtig von den Tories regiert wird, von den Mi-
nistern bevorzugt. St. Stephens Klub, in der Nähe des
grossen Uhrturmes des Parlaments, vereinigt die Blüte
des englischen Oberhauses — die Offizierswelt trifft
sich zumeist im Army and Navy Klub, die Gelehrten,
die grossen Schriftsteller bevorzugen den Athenaeum
Klub, die früheren Zöglinge der beiden grossen Landes-
universitäten finden sich im Oxford and Cambridge
Klub. Bei der grossen Vorliebe der Engländer für weite
Reisen ist Travellers Klub von besonderer Bedeutung:
er ist das Vorbild des berühmten Excentric Klub der
Phantasie Jules Vernes, in dem der Dichter die un-
sterblich gewordene Idee der „Reise um die Erde in
80 Tagen“ ausgeheckt werden lässt — keinesfalls phan-
tastischer als so manches in Travellers Klub ersonnene
und von seinen Mitgliedern ausgeführte geographische
und naturforschende Reiseprojekt.

Der Eintritt und die Mitgliedschaft in die grossen
Londoner Klubs sind für unsere Begriffe nicht ganz
billig — aber doch gering im Vergleich zu den üblichen
Londoner Preisen und zu dem, was den Mitgliedern
geboten wird. Der niedrigste Jahresbeitrag dürfte
6 Guineen, also 126 Mark jährlich betragen — für Lon-
doner Verhältnisse eine keineswegs besonders hohe
Summe. Die Angestellten des Klubs werden sehr gut
bezahlt, der Sekretär erhält 500 Pfund (10000 Mark) und
darüber, man muss aber bedenken, dass manche Klubs
Tausende von Mitgliedern zählen und dass es eine un-
geheure Arbeit ist, all deren oft widerstreitende Wünsche
und Interessen zu kennen und in Einklang zu bringen.

Der Engländer hat in seinem Klub ein vollständiges
zweites Heim. Hier findet er, wenn er bestaubt und
müde von seinen Geschäftswanderungen ankommt, vor-
zügliche Wasch- und Toilettengelegenheit, er kann sein
Bad nehmen, seinen Anzug wechseln, seine Effekten
aufbewahren lassen. Wie viele feinen Londoner sieht
man vormittags mit einer grossen Reisetasche bewaffnet
in der City ankommen: die Tasche enthält Frack, Ober-
hemd und Lackschuhe, der Besitzer stellt sie im Klub ein,
um sich abends fürs dinner und Theater umzukleiden.
Im übrigen herrscht in den Klubs die vollständigste
dress-Freiheit, der Engländer geht stets gut gekleidet —
auf die Form des Rockes wird im Klub kein Wert gelegt.

Die innere Verwaltung des Klubs steht unter der
Leitung des angestellten Manager. Er hat dafür zu
sorgen, dass Küche und Keller stets wohl versehen
sind. Im Restaurationssaal nimmt man den lunch, das
dinner zu ausserordentlich mässigen Preisen und mit
jener Bequemlichkeit und Ruhe, die in den Londoner
Wirtshäusern völlig fehlt. Wein ist von den billigsten
Sorten bis zu den feinsten vorhanden, englisches und
deutsches Bier (das letztere heisst im englischen schlecht-
weg lager, abgekürzt aus „Lagerbier“). Der smoking
room ist das behaglichste Zimmer des ganzen Klubs,
stets von einer feinen blauen Wolke durchzogen, mit
jenen herrlichen, tiefen und breiten Sesseln ausgestattet,
die es nur in England giebt, die so aufgestellt sind,
dass sich in dem grössten Raum viele kleine intime
Zirkel bilden lassen. Um die ausgesessensten und
bequemsten findet stets ein wahrer Wettbewerb statt.
Ein Lesezimmer enthält hunderte von Zeitungen und
Zeitschriften, alle englischen und die wichtigsten aus-
ländischen, denn wenn der Engländer nicht arbeitet
oder Krikett spielt, so ist seine Hauptbeschäftigung
lesen. Bequeme Schreibtische sind mit allem zur
Korrespondenz Nötigem versehen. Eine meist sehr an-
 
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