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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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Ertel, Jean Paul: Dilettanten
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0087
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32

MODERNE KUNST.




gebracht. Heute
ist ein Dilettant,
wer nichts Rech-
tes gelernt hat
und sich trotz
seiner Halbbil-
dung unange-
nehm in der
Kunst bemerk-
bar macht, ein
Kunstverderber,
kein Kunstför-
derer. Wenn es.
gar an das Kri-
tisieren geht, so
sind die Dilet-
tanten stets die
schärfsten aller
Kritiker, da sie
sich leicht der
begreiflichen
Täuschung hin-
geben, alles in
ihrer vermeint-
lichen Kunst zu
verstehen. Lei-
der ist aber ihr
Wissen nur ein
grausames
Stückwerk, und
so erfassen sie
nicht die Schwie-
rigkeiten der
echten Kunst-
ausübung, die
sie stets von
einem schiefen
Gesichtswinkel
aus beurteilen.
Doch darf man
wiederum nicht
soweit gehen, daß man Dilettantismus mit Stümperei identifiziert. Denn
der erste geht aus begeisterter Kunstliebhaberei, die das Letzte in der Kunst
nicht erreichte, hervor. Der Stümper dagegen ist ein Betrüger, dem die Kunst
nur die melkende Kuh sein soll, der seine mangelnden Kenntnisse ohne jenes
Herzensäquivalent an den Mann bringen will. Er verdient unsere ganze Ver-
achtung. Leider neigt nun der heutige Sprachgebrauch dazu, den Dilettanten
mit dem Pfuscher und Stümper zu vereinigen. Es ist durchaus nicht ausge-
schlossen, daß sich z. B. in einem Beleidigungsprozesse der Richter auf diesen
Standpunkt stellt. Aber wie bei allen Beleidigungen, die gerade mit der un-
gerechten Anwendung des Wortes „Di-
lettant“, namentlich durch die Presse
begangen werden können, kommt es
auf die näheren Umstände an und außer-
dem: C'est le ton, qui fait la musique!
Wenn man einen bereits anerkannten
oder doch wenigstens durch seine Qua-
litäten ohne Zweifel hervorragenden
Künstler einen Dilettanten nennt, so kann,
dem heutigen Sprachgebrauche folgend,
in der Tat das Gericht zu einer Ver-
urteilung wegen Beleidigung gelangen,
und der ausschließende Interessenschutz-
paragraph 193 des Strafgesetzbuches
wird dann wohl nie zur Anwendung
gelangen können. Ganz anders natürlich,
wenn jemand, der sich zweifellos als
ein gekennzeichneter Dilettant darbietet,
mit diesem Namen belegt wird. In
Zweifelsfällen wird man ohne gericht-
liche Sachverständige nicht auskornmen.
Leider ist uns keine Gerichtsverhandlung
bekannt, in der der beleidigende Ter-
minus Dilettant schon einmal verhandelt
worden ist. Sicher aber vermag ein
geschickter Verteidiger das unangenehme
Wort dem Gerichtshof doch so angenehm
und rosenrot zu schildern, daß der Aus-
gang des Prozesses nicht allzu schlimm

Paul Halke: Die Fremden in Berlin. Gefahrvoller Straßenübergang.

sein wird. —
Auf alle Fälle
wird es ratsam
erscheinen, den
Vorwurf des Di-
lettantismus nur
an ganz zwei-
felloser Stelle
zu erheben. Und
dies ist für den
wirklichen Fach-
mann durchaus
nicht schwierig.
Wir haben über
genug Kompo-
sitionen zu ur-
teilen gehabt,
welche ohne je-
de Einschrän-
kung mit dem
Stigma des Di-
lettantismus oft
schlimmster Art
behaftet waren.
Wir hörten In-
strumental- und
Gesangskünst-
ler in öffent-
lichenVorträgen
und waren er-
staunt ob der
Kühnheit, um
nicht zu sagen
Unverfroren-
heit, mit der
sie ihre geliebte
Kunst öffentlich
schändeten. —
Ihnen die Wahr-
heit ins Gesicht
zu schleudern,
wenn wir dazu beruflich verpflichtet sind, erscheint als ein Gebot der Nächstenliebe.
„Verachtet mir die Dilettanten nicht.“ So böse ihre affektierte Kunstanschauung
auch ausschlagen kann, so viel Gutes können sie indirekt stiften. Wo blieben
z. B. die Komponisten, wenn die Wiedergabe ihrer Kompositionen nur den Fach-
künstlern überlassen wäre? Sie könnten beinahe verhungern, und kein Verleger
würde sich für sie interessieren. Gerade die Dilettanten sind es, die die
Schöpfungen unserer Meister für ihre Hausbibliothek anschaffen, die zu ihrer
größten Verbreitung mit beitragen, die erst dem Autor, wenn er, wie es in der
Verlegersprache heißt, „geht“, den klingenden Lohn bescheren. So mancher
Operettenkomponist hätte kein Schloß,
kein Rittergut, wenn ihm nicht die ge-
schmähten Dilettanten dazu verhülfen.
Und Richard Wagner verdankt zum
größten Teil seine ungeheure Popularität
den „Dilettanten“, darum wollen wir sie
nicht verachten; im guten Sinne sind sie
ein notwendiger Kulturfaktor, den wir
auch heute nicht entbehren möchten.
Und noch eins: Kein Meister fällt
vom Himmel. Kein Meister wird als
solcher geboren. Ursprünglich war
jeder Meister zuerst ein „Dilettant“, bis
er sich den Meistergrad erwarb und
dadurch die reinliche Scheidung voll-
zog. Der Dilettantismus ist in diesem
Sinne — und wer möchte das be-
streiten? — die Vorstufe zur Künst-
lerschaft! Wem fällt auch hierbei
nicht das Sprichwort ein: Wo man
singt (musiziert), da laß dich ruhig
nieder, böse Menschen haben keine
Lieder? Der musizierende Dilettant ist,
psychologisch genommen, sicher kein
böser Mensch. Die Gefühlsaktion, die
er in sich trägt, bewahrt ihn vor
schlechten Regungen des Herzens. Und
nun erst recht: Verachtet mir die Dilet-
tanten nicht!“

f.VAiXut-


Paul Halke: Die Fremden in Berlin. Old England staunt.
 
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