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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0284
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MODERNE KUNST.




Die ägyptische Tänzerin Miß Rajah, welche
ein mehrmonatiges Gastspiel im Wintergarten
mit großem Erfolg absolvierte, gehört zu den
besten Künstlerinnen dieses Genres. Die beiden
Tänze, die sie dem Publikum zeigt, der „Tanz der
Kleopatra“ und der „Tanz der Gauklerin“, sind in
einen dramatischen Rahmen gefaßt, so daß sie als
abgeschlossene Schauspiele wirken. Beim Tanz
der Kleopatra stellt die Bühne das Boudoir der
bekannten ägyptischen Königin dar. Auf schwel-
lendem Divan ruht der schöne Leib der Tänzerin,
umgeben von ihren Frauen und Mädchen. Sie er-
wacht und eilt sogleich zur Büste des geliebten
Antonius, welcher einen Hauptschmuck des Bou-
doirs bildet. Unbeweglich schaut das erzene Brust-
bild auf sie hernieder. Die schöne Kleopatra ringt
die Hände und möchte das Wohlgefallen des Unbe-
weglichen finden. Schließlich tanzt sie ihren sinn-
betörenden Tanz mit einer mächtigen Schlange,
die ihr von den Dienerinnen gebracht wird. Ver-
geblich erhitzt sich das Blut der Schönen; das
steinerne Antlitz des Antonius bringt sie zur Ver-
zweiflung, und sie beschließt zu sterben. Die

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Phantasietänzerin Miß Rajah.
Phot. Ernst Schneider, Beilin.

Königin Luise von Preußen.
Verlag Karl Er
Schlange soll ihr, gereizt, den
Tod bringen, denn ihr Biß ist
tödlich. Erschrocken stiebt die
Schar der Dienerinnen davon,
als das Unglück geschieht; je-
doch hochaufgerichtet schreitet
Kleopatra, den Tod im Herzen,
die hohe Treppe hinan, auf deren
Podest sie noch einmal zu tanzen
beginnt. Da plötzlich zuckt ihr
Körper konvulsivisch auf; sie
dreht sich rasend im Kreise, um
endlich entseelt die vielstufige
Treppe hinabzustürzen. Dieses
Finale ist von außerordentlicher
Wirkung. Daran schließt sich
der Tanz der Gauklerin. Hier
zeigt sich Miß Rajah als Kraft-
künstlerin, denn sie schwingt,
während sie tanzt, mit den
Zähnen einen Stuhl wirbelnd um
sich herum. Grazie und Anmut feiern bei den Tänzen der schlanken Ägypterin, die
ihren harmonischen Körper zur vollen Wirkung bringen, ihre schönsten Triumphe.
* * * V. ir.
Mlle. Blanche Allarty, die vornehme französische Sportinglady, die seil
Jahren in der Manege Molier in Paris, Rue Benouville 6, gelegentlich der dort
stattgehabten Vorstellungen als erster weiblicher Amateur auf dem
Gebiet der Reitkunst gilt, präsentiert, wie unser Bild zeigt, das
Schulpferd „Artagnan“ in der Caprioie, der höchsten Pro
duktion der haute ecole. Die Caprioie ist der höchste
und gleichzeitig der vollkommenste aller Schulsprünge,
bei dem das Pferd, wenn es sich mit der Hinter-
hand in der gleichen Höhe der Vorhand befindet,
mit den Hinterbeinen so kräftig ausstreicht, als
wolle es sich zerreißen. Von „Artagnan“ wird
dieser sog. Hirschsprung aus dem Stand ohne
Hindernis glänzend ausgeführt. Es gehört für
eine Dame Talent und Mut dazu, eine solche
Caprioie „auszusitzen“. Da die Erschütterung
beim Streichen eine sehr heftige ist, so muß die
Reiterin nach dem Absprunge des Pferdes mit
geschmeidigem Oberkörper den linken Schenkel
fest geschlossen in den Bügel strecken, um den
Hüften einen Gegenhalt zu bieten, damit der Körper
auch trotz des starken Stoßes die senkrechte Stellung
zum Erdboden behaupten kann. Mlle. Allarty erlernte
diese schwere Kunst unter der Leitung von M. Molier
selbst, des bekannten Pariser Sportsmanns, der seine Elevin
vor mehreren Jahren auch nach Berlin begleitete, als sie mit

Nach einem französischen Stich,
list Henrici, Berlin.

drei Reitdromedaren ein Gastspiel im Zirkus
Alb. Schumann absolvierte. Gegenwärtig hat
Molier in Paris bei Pierre Lafitte & Co. ein inter-
essantes Buch erscheinen lassen, betitelt „L’Equi-
tation et le cheval“, welches seine reichen Er-
fahrungen auf dem Gebiete des Reitsports ent-
hält. Auch der Damenreiterei ist ein um-
fassendes Kapitel gewidmet. Das Buch ist reich-
illustriert nach Photographien des bekannten
Pariser Photographen Jean Delton, in dessen
Atelier im Bois de Boulogne fast alle sport-
treibenden Damen und Herren der Gesellschaft
Zusammentreffen. V. H.

Läszlo Ipolyi. Nicht geringes Aufsehen
erregt seit einiger Zeit ein junger Knabe aus
Tokayerland, der bereits jetzt schon, erst drei-
zehn Jahre alt, die Geige mit Meisterhand führt.
Läszlo Ipolyi heißt das neue Wunderkind. Er
ist am 11. März 1900 zu Ujvidek im südlichen
Ungarn geboren und hat begreiflicherweise noch
nicht viel der Erlebnisse. Wie bei solchen künst-
lerischen Frühnaturen üblich, zeigte sich das musi-
kalische Talent im ersten Kindesalter. Kaum drei
Jahr alt, begann Ipolyi, dessen Eltern übrigens gänz-
lich unmusikalisch sind, schon auf einem Klavier
verschiedene ungarische Volksmelodien nachzu-
tasten, und zur selben Zeit schenkte man ihm
eine Dreiviertelgeige, als man gesehen hatte, wie

sehr das Kind von dem Auf-
treten eines damals bekannten
Geigenvirtuosen innerlich be-
rührtwar. Nun machte Ipolyi ge-
radezu riesenhafte Fortschritte.
Unter der Leitung des Konzert-
meisters der Kgl. Budapester
Oper wurde er so rasch ge-
fördert, daß er bereits 1905
zum ersten Male öffentlich,
natürlich zum Erstaunen aller
Musiker, auftreten konnte. Die
Eltern hatten dann das Glück,
in dem berühmten Violiumeister
Avrigo Serato, der zurzeit
in Berlin wohnt, einen erst-
klassigen Lehrer zu finden.
Nichts ließ er unversucht, um
seinem hochbegabten Schützling
die Mysterien des künstlerisch-
vollendeten Geigenspiels bei-
zubringen, und als Ipolyi im
Alter von I I ‘/s Jahren dann im
Berliner Beethovensaal die Kon-
zerte in H von Saint-Saens und
in D von Paganini mit dem Phil-
harmonischen Or-
chester einem
großen
neugierigen Auditorium vermittelte, da gab es ein
Erstaunen, wie es selten durch die Reihen eines Kon-
zertsaales geht. Denn der kleine Künstler bekundete
besonders bei Paganini eine solche Reife in tech-
nischen Dingen und eine solche Tonschönheit, daß
man sich sofort über einen aufgehenden Stern im
klaren sein mußte. Es würde zu weit führen,
alle Reize seines Spiels hier aufzuzählen; außer-
dem bürgt dafür der Name Seratos, der keinen
Schüler von mittelmäßigen Qualitäten in die
Öffentlichkeit hinausstellt. Vernünftigerweise
spielt der Knabe noch nicht die Konzerte von
Beethoven und Brahms; trotzdem ist sein Reper-
toire nicht etwa klein. Außer einer Reihe von
Werken geringeren Umfanges finden wir dabei
noch die Konzerte in Fis-Moll von Ernst, in D von
Wieniawski und das von Tschaikowski, also für den
Kenner eine Blutenlese schwierigster Virtuosenstücke,
deren Bewältigung in so jungen Jahren natürlich allgemeines
Aufsehen erregen muß. Dr. P. E.

Der dreizehnjährige Geigenkünstler Läszlo Ipolyi.
Phot. Willinger, Berlin.

Die Caprioie, geritten von Blanche Allarty.
Phot. Jean Delton. Paris.
 
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