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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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19. Heft
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Heiland, Karl Heinz: Shrawana Belgola
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0585
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MODERNE KUNST.





Shrawana

fie Nacht weicht — ein ungewisses gespenstiges Licht
füllt den Weltenraum — malt grau verschwommen
die Konturen der uralten Baumriesen der heiligen Boo,
die die Straße mit ihren weit ausladenden Ästen zu
umklammern scheinen.
Die Reflexe der mächtigen Scheinwerfer des Wagens
huschen auf den weißgrauen Stämmen — den im Morgen-
winde gaukelnden Luftwurzeln. Sie wirbeln und tanzen
über Felsblöcke und dürre Halden, die sich am Rande
der Straße emportürmen.
Leise — in einschläferndem Rhythmus arbeitet der
Motor, während wir in langsamer Fahrt dahingleiten.
Verschwommen plötzlich die seitlichen Konturen der
Straße, nächtliches Dunkel gähnt zu beiden Seiten des
schmaler und schmaler werdenden Pfades. Ein Staudamm —
unheimlich glitzert das Sternenlicht auf der regungslosen
Wasserfläche, in deren Tiefe uns der geringste Fehler im
Steuern schleudern muß. Keine Seitenmauern, kein Schutz
geiänder, nur eine schmale, von den tropischen Regenfluten
zerrissene Dammkrone.
Vorwärts — wieder nimmt uns die uralte Straße auf. Heller
und heller wird das ungewisse Licht, das die weite Ebene füllt.
Gerade zucken die ersten feurigen Strahlen des steigenden Tagesgestirnes am
östlichen Horizont empor, da gleitet der Wagen aus dem Schatten der heiligen

Belgola.

[Nachdruck verboten.]

Indrabetta.

. . . mit nackten Füßen.
Boobäume wiederum hinaus auf einen jener hohen Dämme. Eine weite Wasser-
fläche, über der die Blätter des Lotos gaukeln, dehnt sich in mächtiger Weite,
doch drüben ragt kahl schwärzliches Gestein, aus fernem Schoß der Fluten ragen
schwindelnde Felswände zum leuchtenden Äther empor.
Von einer Gloriole farbigen Lichtes umzuckt, der Grat Indrabettas. — Gleich
einem Titanen, einem steingewordenen gigantischen Dämon, dräutvon schwindelnder
Höhe Gomata Rajas Riesenbild, dessen dunkle Konturen
sich gespenstig gegen den leuchtenden Horizont heben.
Eine Akropolis, im kahlen Granitgestein wurzelnd,
umdrängt den Gipfel, terrassenförmig emporsteigend im
wilden Spiel der Formen. Festungswerke und Tempel,
schlanke Säulenschäfte und Pavillons, Torbauten und
Altäre, höher und höher in wilder Phantastik der Linien,
endend in jenem gewaltigsten Steinbilde, das die Erde
trägt. Mehr denn siebenzig Fuß ragt das Jahrtausende
alte Werk der Jains empor über dem felsigen Sockel
— aus einem einzigen Granitblock gemeißelt.
Welche, unseren Zeiten unbekannte religiöse Be-
geisterung und Ausdauer erforderte es, ein solches Bild
zu schaffen. Es stellt den Gipfel jenes, aus härtestem
Granit bsstehenden Berges dar, dessen ungeheure Massen
man mühsam mit dem primitiven Meißel und Hammer
entfernte, um nur einen gigantischen Block stehen zu
lassen, aus dem dann die Hand des Künstlers jenes
Riesenbild schuf.
Eine Zeitlang weile ich auf der Höhe der Damm-
krone, gefesselt von dem im Lichte des jungen Tages
überirdisch schönen Bilde, dann lenke ich den Motor
hinein in das schmale Tal, das die beiden heiligen
Tempelberge Indrabetta und Chandragiri trennt. Eine
kleine Stadt — heute wie vor zweitausend Jahren von

den Gliedern jener zäh ausdauernden Sekte der Shravans
oder Jains bewohnt — drängt sich zwischen die Felswände,
umrahmt den viereckigen heiligen Teich mit bizarren
Gopuras und Tempelbauten.
Bald hält der Wagen am Fuße Indrabettas, und
ich mache mich zur Besteigung der heiligen Höhe bereit.
Erfrischend kühl der Morgen. Noch hat die Sonne
Südindiens ihre schaffende und vernichtende Strahlen-
macht nicht erreicht. Ich durchschreite ein Tor, das
mit seltsamen Steinmetzarbeiten geziert, und stehe vor
der nackten Felswand, die sich, von keinem Einschnitt,
keiner Unebenheit durchbrochen, hinaufzieht, bis dort-
hin, wo die Mauern der Tempelburg dräuen.
Eine Glutwelle schlägt mir entgegen, als ich die roh-
gehauenen Stufen hinaufsteig'te, die zunächst an den Mauern
eines kleinen Vortempels vorbeiführen. Die kurze Tropen-
nacht vermochte dem Granitgestein nur wenig von der Glut
zu rauben, die es während des Tages aufgesogen, den prallenden
Sonnenstrahlen schutzlos preisgegeben.
Es weitet sich der Blick — zur Tiefe senkt sich das enge
Straßengewirr Belgolas, da ragt weißgetüncht ein steinerner Bogen
über der endlosen Stufenreihe. Ein Priester tritt aus seinem spär-
lichen Schatten, mit vorwurfsvollem
Blicke auf mein Schuhwerk deutend.
Hier beginnt der Bezirk des Tem-
pels. Nur auf nacktem Fuß darf der
Pilger der heiligen Höhe nahen. Für
die wenigen Europäer, die im Laufe
des Jahres den weit, weit vom Ver-
kehrsweg gelegenen Felsen aüfsuchen,
eine Tortur, die den meisten eine Be-
steigung unmöglich macht — es sei
denn in den frühesten Morgenstunden.
Die Schuhe sind abgelegt, langsam
geht es der steilen Flöhe entgegen.
Endlich ist das äußerste Tor, das Tor
der Festungsmauer, erreicht — weit
geöffnet sind die schweren Flügel,
und bald stehe ich im Vorhof des
Tempels. Eine Fülle von Bauformen —
Werke des Architekten und Bild-
hauers — wurzeln hier im Granitge-
stein, dessen Schoß sie entstiegen.
Unmittelbar vor dem Nahenden ein
wuchtiges Gebäude auf hoherTerrasse,
deren Massen durch schräggestellte,
viereckige Granitbalken gestützt sind —
in einer Art, die aufs genaueste eine
hölzerne Konstruktion nachahmt. Ein

Treppe Indrabetta (Rutschbahn).

Tempel Brahmas — ein seltener Anblick in den weiten Landen Indiens, trug
doch die dritte Person der Trimurti, der Dreieinheit
des Hinduglaubens, Shiwa, das Prinzip des Bösen, —
der Zerstörer — den Sieg über Brahma, den gütigen
Schöpfer, davon.
Ihm sind heute fast alle Tempel geweiht, überall
erhebt sich seine cynische Impersonifikation, der Lingam,
den züchtige Frauenhände mit wohlriechenden Ölen
salben und mit Blumen schmücken.
Auch hier auf der heiligen Höhe der Jains erhebt
sich das ekle Zeichen am Fuße der mächtigen Frei-
treppe, die zu den oberen Terrassen emporführt. Ich
eile vorüber — ebenso unbeachtet bleiben die übrigen
Bauten — drängt es mich doch, das Steinwunder anzu-
staunen, wegen dessen ich die weite Fahrt unternommen.
Ein zweites Tor, unmittelbar in die Felswand hin-
eingezwängt, gähnt über der Treppe — eine seltsame
Mischung zweier Religionen, zweier Weltanschauungen.
Das äußere Bildwerk mythische Darstellungen von Hindu-
göttern. ln halbdunklen Nischen nackte Gestalten aus
schwarzem Gestein, ln seltsam steifer Haltung — Gomata
Raja, der Buddha der Jains.
Weiter führt die Treppe, unmittelbar in die senk-
rechte Felswand hineindringend. Wiederum dehnt sich
eine Terrasse mit weiten Säulenhallen und Tempelpa-
villons. In unendliche Fernen schweift das Auge von

XXVIII. 19. Z.-Z.

Aufgang zur .oberen Terrasse.
 
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