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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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20. Heft
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Rittland, Klaus: Die Ehen des Herrn von Brenkhusen, [14]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0606
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MODERNE KUNST.

255

Und er las den Brief, so weit es ihm möglich war. Vor seinen
Augen wogte und flimmerte es. „Geliebte, angebetete Frau! Ich kann
das Leben nicht länger so ertragen. Ich muß Sie Wiedersehen. Ich muß.
Seit ich das weiß, was mich so glücklich macht, habe ich keinen andern
Gedanken mehr als immer nur Sie, Sie. Morgen kann ich mich frei-
machen, auf wenige Stunden — —“ Dann kam die Angabe des Zuges.
Sie sollte ihn am Bahnhofe, vor dem Denkmal Ernst Augusts, erwarten.
„Aber Sie müssen da sein. Sie dürfen mich nicht enttäuschen. Es wäre
schrecklich, wenn ich Sie nicht fände. Seien Sie gut. Ich verlange ja
so wenig. Nur Sie Wiedersehen, nur ein Wort der Liebe hören. Ein
kurzer Spaziergang, irgendwohin, wo es einsam ist!“ —• Dann ein kurzer
Schluß.
Brenkhusen legte das Blatt vor sich nieder und starrte es an, lange
Zeit, als ob es noch deutlicher werden müßte, mehr ihm enthüllen — —
Dann sagte er, und die Worte tönten vor seinem Ohre, wie von
fremdem Munde gesprochen — ganz klanglos, seelenlos: „Was ist da
geschehen?“ — —
„Nichts,“ stieß Fanny hervor, keuchend, wie außer Atem, „und wenn
du auch noch so sehr in mich dringst und nachforschst und — und alle
Mittel anwendest, du wirst nichts erfahren, denn es ist nichts geschehen.
Nichts hab’ ich mir zuschulden kommen lassen. Nur das eine, und das
verberg’ ich nicht länger: ich hab' ihn lieb, von ganzem Herzen lieb.
Er ist mein einziges Glück auf der Welt.“
Sie krampfte die Hände ineinander und wartete.
Ihr Mann aber blieb stumm.
Starr blickte er vor sich nieder.
Dieses Schweigen ängstigte sie mehr, als die heftigsten Vorwürfe es
vermocht hätten.
Eine kurze Weile hörte man nichts im Zimmer als ihren keuchenden
Atem.
Dann ertrug sie diese lähmende Stille nicht länger.
Sie nahm alle Kraft zusammen und suchte ruhig zu sprechen.
„Es mußte ja einmal so kommen. Du selber hast es nicht anders
gewollt. Du selber trägst die größte Schuld daran. Damals — da bin
ich ganz ehrlich gewesen. Ich hab’ dich gern gehabt, wie eine Frau
ihren Mann gern haben muß — so wie ich es damals verstand —“ Diese
Worte fügte sie leise hinzu. „Aber sehr bald schon hab’ ich gemerkt,
daß es nicht das Rechte war; ich hab’ dir halt nicht genügt, ich war dir
zu einfach und dumm. Glaubst du, so was fühlt man nicht heraus? Und
statt Geduld mit mir zu haben — wenn man jung ist, kann sich noch
manches ändern — hast du dich hochmütig zurückgezogen und hast mich
aufgegeben in deinem Herzen. Du hast gemeint, ich merkt’ es nicht.
Wenn ich nur mein Vergnügen hätt’, dann braucht’ ich weiter nichts,
hast du gemeint Als ob ich nicht auch ein lebendiges Herz in der
Brust trüge. Von gelehrten Sachen versteh’ ich nix. Aber von all dem
andern — was im Gefühle vorgeht, da versteh’ ich mehr, als du ahnst.
Ganz deutlich hab’ ich’s empfunden: ich bin eigentlich gar nicht deine
Frau. Deine Wirtschafterin bin ich und deine Puppe. Jawohl. Die
eigentliche, der du alles anvertraust und der du innerlich gehörst, das
ist die hochmütige Person dort“ — sie machte eine wegwerfende Hand-
bewegung und ihre Stimme wurde schriller, leidenschaftlicher — „die
Frau, die ihren kranken Mann betrügt —“
„Pfui, schämst du dich nicht?“ Es war das erste Wort, das sie
wieder von ihm hörte.
„Nein, ich schäme mich nicht,“ fuhr sie erbittert fort, „erst hab’ ich
mir alles gefallen lassen, ich hab’ sogar versucht, sie zu verehren“ — ein
höhnisches Lachen — „dann hab’ ich mich gegiftet und gegrämt, und
schließlich hab’ ich’s halt gehen lassen, wie es ging. Aber gefroren hab’
ich neben dir, diese ganzen letzten Jahre, gefroren.“ Sie schauderte, als
ob ein körperliches Kältegefühl sie überrieselte. „Und dann ist er ge-
kommen, so jung und feurig, mit einem Herzen, das richtig lieben kann“
— Jubel klang durch ihre Stimme, Jubel und Trotz — „da hab’ ich erst
gefühlt, wie schön das Leben sein könnte. Und nun hab’ ich keine
andere Sehnsucht mehr, als frei sein, frei!“
Sie streckte die Arme aus und richtete sich hoch empor. Ihre Augen
glühten. Schön war sie in ihrer Erregung, die alles Bangen, alle Lüge,
alle Rücksicht beiseite warf.

Ihr Mann hörte das Bekenntnis finster schweigend an. Kein Wimper-
zucken verriet ihr, was in ihm Vorgehen mochte.
Das brachte sie beinahe aus der Fassung.
Jetzt hatte sie doch irgend etwas anderes erwartet, einen Zornaus-
bruch, ein Wort der Verachtung oder des Vorwurfs.
Aber er erhob sich mit ruhiger Bewegung und sagte kalt und fest:
„Ich halte dich nicht, Fanny. Du sollst deine Freiheit wiederhaben.“ —
In dieser Nacht durchlebte Curt Brenkhusen, der fünfzigjährige
Mann, eine Fülle der Empfindungen, wie sie in seinen stürmischsten
Jugendjahren wohl nie in dieser verwirrenden Menge und Leidenschaft
ihn umdrängt hatten.
Elin und her gerissen ward er von einem Wirbel seltsamer Wider-
sprüche. Vor wenigen Stunden noch, da er die wahre Natur seiner Liebe
zu Annelise erkannte, war sein innigster Herzenswunsch auf dasselbe Ziel
gerichtet gewesen, dem Fanny in ihrer rücksichtslosen Leidenschaft Aus-
druck gegeben: Frei sein, nur frei! — —
Ganz losgelöst von seiner Frau hatte er sich gefühlt. Als quälende
Fessel war ihm das Band erschienen, das ihn äußerlich noch an sie
knüpfte. Sie konnte ihm nicht mehr wohl noch wehe tun.
Und nun, da sie vor ihm gestanden hatte in ihrer Erregung, so
schön und trotzig, voll heißflutenden Lebens — da hatte sich etwas in
ihm aufgebäumt, das nicht nur verletzte Mannesehre, Manneseitelkeit ge-
wesen, etwas, das nicht mehr Liebe war, aber jenes uralte Gefühl, das
tief in der Natur wurzelt und von Anbeginn der Menschheitsgeschichte
das Herrengelüst des Mannes bestimmt hat: der Willen, das Weib allein
zu besitzen, als sein wertvollstes Eigentum, und dieses Eigentum zu ver-
teidigen gegen ruchlose Räubergier.
Curt Brenkhusen liebte seine schöne Frau nicht mehr, und doch er-
füllte der Gedanke ihn mit Schmerz und Empörung, daß ein anderer die
Hand nach dem Schatz ausgestreckt hatte, der wertlos für ihn selber
geworden war.
Betrogen, das war das Schändliche. Offen hätte sie vor ihn hin-
treten müssen, vor langer Zeit schon. Aber sie hatte ihn feig und listig
hintergangen. Der Gedanke, daß andere vielleicht schon schadenfroh
auf den betrogenen Ehemann weisen könnten, stürzte sich auf ihn herab
in seiner ganzen eklen Gemeinheit. Wild jagte das Blut durch seine
Adern, und widerliche Bilder stiegen vor ihm auf, ein Knäuel von Vor-
stellungen, so häßlich, so unerträglich, daß ihm nur eine Lösung schien,
die eine — —
Nennt es Narrheit, Donquichoterie, unwürdig des reifen Menschen,
unvereinbar mit den Erkenntnissen der Vernunft — es. gibt doch Wirr-
nisse, aus denen nur der Weg hinausführt, der mit roter Spur ge-
zeichnet ist.
Curt Brenkhusen stand auf und zündete Licht an. Noch einmal ent-
faltete er den Brief und las ihn wieder, immer wieder. Endlich aber
legte er ihn beiseite und atmete auf — etwas Kühlendes, Beschwich-
tigendes kam über ihn.
Das waren die Worte eines leidenschaftlich Vei liebten, aber nicht
die Worte — eines glücklichen Liebhabers.
Je länger Curt Brenkhusens mißtrauisch forschende Gedanken den
Stoff der gegebenen Tatsachen, der Gründe und Anzeichen durch-
wühlten, desto fester wurde in ihm die Überzeugung: als Fanny ihm
heute gesagt hatte, daß nichts geschehen war — nichts, so wie sie es
verstand, im groben, körperlichen Sinne — da hatte sie die Wahrheit
gesprochen.
Sie war ein junges, unfertiges Geschöpf, zu allerlei verliebten Tor-
heiten fähig — aber sie war nicht eines jener Weiber, die von der Natur
zur Heldin eines Ehebruchdramas bestimmt sind.
Banal, eitel, verliebt, ein wenig leichtsinnig — aber im letzten Grunde
doch das anständige Bürgerkind, auf dem Boden schlichter Ehrbarkeit
erwachsen, die Frau, der die gute Sitte noch kein überwundener Stand-
punkt ist. Je weiter die Stunden dieser ruhelosen Nacht voranschritten,
desto fester wurde in Brenkhusen diese Gewißheit.
Und das dunkle Wirrsal lichtete sich.
Die Vorstellungen, die vor kurzem noch in fieberhaftem Durchein-
ander sein Hirn durchjagt hatten, glitten zurück in das Dunkel. Still
wurde es in dem einsam Wachenden, kühl und klar. [Schluß folgt.]
 
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