Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

DOI issue:
23. Heft
DOI article:
Buss, Georg: Zur modernen Tierplastik
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0701
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
MODERNE KUNST.




Zup modernen

m

alentvolle Vertreter der Tierplastik haben

auch die Vogelwelt schon längst in den

Kreis ihrer Darstellungskunst gezogen. Der
Franzose Barye, der geniale Begründer der
modernen Tierplastik, dessen Tätigkeit
der Zeit von 1830 bis 1875 angehört,
gestand, daß die Wiedergabe eines Vogels
den Plastiker vor eine besonders schwie-
rige Aufgabe stelle. Die meisten Mit-
glieder der gefiederten Welt sind ja so
menschenscheu und beweglich, daß ein
Künstler von Glück sagen kann, wenn es
ihm gelingt, ihr Tun und Treiben in freier
Natur zu beobachten und den günstigen
Moment für eine charakteristische Skizze zu
erhaschen. Als Professor der Zeichenkunst am
Musee d'histoire naturelle fand Barye die beste Ge-
legenheit, sich auch mit ihrer Anatomie zu beschäftigen ;
aber beim Modellieren bevorzugte er Vögel phlegmatischen
Temperaments, darunter Kranich, Storch, Marabout, Pelikan,
Kormoran und Geier, die sich im Jardin des Plantes und im Jardin
d'Acclimatation darboten. Die Modelle dienten für den Guß in
Bronze, auch für den in Silber. Mochte ihm auch das Phlegma
dieser Vögel die Beobachtung erleichtern, so bestimmten ihn für seine Wahl
doch ihre ausdrucksvolle Form, die Schärfe ihrer Silhouette, das Statuarische,
das ihnen infolge ihres soliden Knochenbaues eigentümlich ist, und ihr mehr

‘Piepplosti^.

Emil Pottner: Perlhuhn.
Steinzeug mit farbigen Einlagen.
Scharffeuerarbeit.

ist meist vorzüglich, aber die unter dem Ein-
fluß des Japonismus und der Verwendung
von Unterglasurfarben üblich gewordene
allzu matte Tongebung gibt zu Wider-
spruch Anlaß. Solche Farbenstimmung
mag für elegische Landschaften passen,
nicht aber für Darstellungen von Menschen
und Tieren, die zur Lebendigkeit des
Ausdrucks und des ganzen Habitus
frische Farben verlangen. Ein kolo-
ristischer Schematismus wirkt auf die
Dauer langweilig. Die Farbengebung der
alten Meißener Leistungen mutet dagegen
kraftvoll an, zumal ihre Wirkung durch den
Schimmer der weißen Glasur noch gehoben
wird. Dabei sind die aufgebrannten Farben doch
noch recht haltbar geblieben. Großes Interesse und
warme Anerkennung verdienen die Arbeiten des in Salz-
burg 1872 geborenen, seit geraumer Zeit in Berlin ansässigen
Malers und Bildhauers Emil Pottner, der weiteren Kreisen durch seine
in der Sezession ausgestellten Bilder, Figuren, Landschaften und
Stilleben, bekannt geworden ist. Sein künstlerischer Entwicklungs-
gang begann auf der Münchner Akademie bei Johann Herterich und
Paul Höcker. Alsbald gings im Sommer zum Malen hinaus an den Ammersee
und aufs Land. Während einer Studienreise in Holland empfing er durch die

Emil Pottner: Staar, Puter, Erpel, Ente. Steinzeug mit farbigen Einlagen aus Porzellan. Scharffeuerarbeiten.

Delfter Fayence Anregung zur Beschäftigung mit der keramischen Plastik. Da-
bei faßte er eine Vorliebe für die mit der Natur besonders eng
verschwisterte Vogelwelt. Einige seiner schönen Plastiken sind
bildlich diesen Zeilen beigefügt. Der Künstler erzielt mit seiner
Palette, die aus Unterglasurfarben und farbigen Glasuren be-
steht, recht erfreuliche Effekte. Aus jeder seiner wahren und
lebendigen Schöpfungen läßt sich erkennen, daß sie der soliden
Grundlage eingehenden Naturstudiums entsprungen sind. Die
Besonderheiten der verschiedenen Vogelfamilien sind genau gekenn-
zeichnet und auch in bezug' auf ihren physiognomischen Ausdruck
und ihre Bewegung gut getroffen. Es gelangt bei alledem ein feiner
Humor zur Geltung, veranlaßt durch die Art, wie der Vogel gierig
einen fetten Leckerbissen in Gestalt eines langen Wurmes herunter-
zuwürgen sucht, oder wie er listig auf Beute lauert und sich in
seiner Haltung gibt. In der Gans liegt ein gut Teil Drolerie. Wenn
sie so gravitätisch, schwerfällig und hocherhobenen Hauptes ein-
herwatschelt und mit ihren kleinen Äuglein blinzelt, hat es den
Anschein, als ob ihr das Denkvermögen nur homöopathisch zu-
gemessen sei, während sie es doch an Verschlagenheit mit manchen
gefiederten Vettern aufnehmen kann. Die intelligenter blickende
Ente, das schön gezeichnete Perlhuhn, der stattliche Puter, dessen
monochromes Gefieder - Eigenschaften, die sie für den Guß in Bronze oder Silber nackter, mit Warzen bewachsener, blauroter Kopf und Hals, ebenso wie die von
besonders geeignet machen. Es läßt sich in diesem Material vieles wiedergeben, der Wurzel des Oberschnabels und von der Kehle herabhängenden roten Fleisch-
aber gegen die Wiedergabe eines farbenprächtig gefiederten oder weicher und lappen sich geradezu barock ausnehmen, der bunte Specht und noch ver-
feiner geformten Vogels lehnt sich die Ideenassoziation auf — ihr will die Ver- schiedene andere Vögel haben für Pottners Kunst brillante Vorwürfe geliefert,
bindung des leichtbeschwingten Bewohners der Lüfte mit schwerem Erz nicht Hervorzuheben ist, daß der Künstler jede Plastik in dem von ihm benutzten
recht behagen. Für solche Aufgabe ist ein leichteres Material erforder-
lich, bei dem sich auch mit dem vollen Effekt der Farben einsetzen läßt.
Beide Vorzüge bietet die Keramik.
Bereits die Porzellankunst des Rokoko hat die Vogelwelt plastisch
verwertet, wenngleich in mehr dekorativer Auffassung und nicht wie
die moderne Plastik, mit der tieferen Absicht, das eigenartige Leben des
Tieres nach Möglichkeit zum Ausdruck zu bringen. Sie hat trotzdem
mit feinem Takt herausgefühlt, daß besonders zarte, weiche, mollige und
farbenschöne Vögel geeignete Vorwürfe für eine plastische Wiedergabe
in dem sanft anmutenden Porzellan sind. Meißen ging natürlich voran.
Was der 1731 angestellte Bildhauer Kaendler, ein Meister seines Faches,
bis zum Jahre 1775 auf diesem Gebiete geleistet hat, gehört zu den
Perlen der Meißener Rokokofiguren. Andere Manufakturen ahmten nach.
Buntspechte, Papageien, Pfauen, Hühner und Fasanen waren die
beliebtesten Vorwürfe. Daß gerade auf sie so hoher Wert gelegt wurde,
geschah wohl unter dem Einfluß der Dekorationsmalerei des Rokoko,
die von den gemalten Bailustraden der Decken gern farbenprächtige
Vögel herabschauen ließ. Es war gewissermaßen eine Fortsetzung der
Geflügelherrlichkeiten, mit denen die holländischen Maler des 17. Jahr-
hunderts und am vorzüglichsten der treffliche Melchior d’Hondecoeter,
aufgewartet hatten.
Der modernen Porzellanplastik sind die Motive aus der Vogelwelt
gleichfalls nicht fremd geblieben. In Kopenhagen fanden sie wohl zuerst
Aufnahme, wonach andere Manufakturen nachfolgten. Die Modellierung

XXVIII. Z.-Z. 23.

Emil Pottner: Strichelhäher und Kapuzenhäher. Steinze.i; mit farbigen Glasuren. Scharffeuerarbeiten.
 
Annotationen