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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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24. Heft
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E., P.: Futuristen-Konzert
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0730
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MODERNE KUNST.




^Fufurisfen-

m Anfang war das Chaos und der Lärm! Zu diesem
wenig erquicklichen Urzustände kehrt jetzt die Musik,
wenn man den musikalischen „Futuristen“ — oder
sind sie am Ende ganz unmusikalisch ? — glauben darf,
zurück, nachdem sie eine der großartigsten Wandlungen, die
es je gegeben, durchgemacht hat. Fand da kürzlich in
London so ein neuartiges futuristisches Lärmkonzert (Futurist
Concert of Noises) statt, dessen Führung der schon bekannte
Signor Marinetti übernommen hatte. Der Erfolg soll über-
wältigend gewesen sein. Wenn man den Nachrichten traut,
wurde das denkwürdige Konzert infolge eines zweiten ohren-
betäubenden Konzerts der — Zuhörer nicht zu Ende gespielt.
So groß war die Begeisterung für diese aus Italien, dem Lande
der Bel-canto-Melodien, stammende Bereicherung des musi-
kalischen Hausschatzes. Man scheint die Sache als einen
pompösen Ulk aufgefaßt zu haben. Und dennoch muß man
darüber sprechen; denn das futuristische Lärmkonzert ist etwas, das schließlich
kommen mußte, ein Zeichen unserer geräuschvollen Zeit. Werfen wir in der
Musikgeschichte einmal den Blick rückwärts, so finden wir in der Zeit der kultu-
rellen Entwicklung der Musik das ernste Bestreben, einer schön geschwungenen
Melodie ihr Heimatrecht zu geben. Unsere großen Klassiker sind hier das
erhabenste Vorbild, Mozart allen voran, und nur ganz selten und gelegentlich
lassen sie sich
zu kurzen Lärm-
szenen, die aber
immer in den
ästhetischen
Grenzen bleiben,
hinreißen, und
zwar regelmäßig
dann, wenn die
in Frage stehende
Situation, wie
hauptsächlich in
der Oper, es ver-
langt. Ein geläu-
terter künstleri-
scher Geschmack
hielt sie von Ex-
zessen in dieser
Richtung fern. So
war die Musik
im wesentlichen
doch auf schönen
Konsonanzen-
bildungen aufge-
baut. Aber ganz
allmählich rückte
in Phalanx die
Dissonanz und mit ihr das Bestreben vor, die Melodie langsam abzuschieben
und an ihrer Stelle die angeblich stimmungschaffende Musik mit ihren Extremen
einzuführen. Heute haben wir bereits Komponisten, die unter völliger Negie-
rung aller Melodie eine Art Tohuwabohumusik absichtlich schreiben, die für
menschliche Ohren ungefähr das ist, was man gemeinhin unter Katzenmusik
versteht. Sie selbst, meist noch sehr junge Herren, behaupten allerdings mit
einiger Kühnheit, daß unsere heutigen Ohren noch nicht soweit verbildet —
pardon vorgebildet seien, um diese neue „geniale“ Kunsttat zu verstehen. Ja,
wer das so genau wüßte! Nach diesem Entwick-
lungsstadium war es nur noch ein Schritt, die
Musik als solche überhaupt auszuschalten und
an deren Stelle das bloße Geräusch, wie es jetzt
geschehen, zu setzen. Man sieht, es ist eine große
Konsequenz in dieser Entwicklung, die natürlich
ebensoschnell von der Bildfläche verschwinden

Xonsß rf.

Futuristenmusik: Herr Piatti, einer der Mit
erfindet der Instrumente mit dem „Säusler“

Futuristenmusik: Das Orchester.

wird, wie sie gekommen ist, da ja alle Menschen noch nicht
für diesen Lärm reif sind. Bedauerlich ist es, daß sich
überhaupt einige wenige finden, die einen solchen Unfug —
denn darum handelt es sich — inszenieren, anscheinend
sogar allen Ernstes, wenn man ihnen nicht eine spaßhafte
Reklame für sich selbst, die sie sonst mit künstlerischen
Mitteln nicht erreichen können, zuschreiben will. Es ist ein
Unsinn, die Geräusche des Rascheins, Schnarchcns, Pfeifens,
des Löwengebrülls, des Hundegebells usw. prinzipiell „musi-
kalisch“ verwerten zu wollen. Diese vielartigen Geräusche,
vom Donner angefangen bis zum Rattern der Autos, geben
uns Natur und Ausdehnung des Verkehrs so überreichlich
wieder, daß wir ihrer als selbständige musikalische, richtiger
unmusikalische Entladung völlig entraten können. Unsere
größten Musikheroen haben solche Geräusche, sogar selbst
in sinfonischer Form, auf das glücklichste bei bestimmter
passender und sich logisch entwickelnder Gelegenheit mit Hilfe der Pauken, der
Glocken- und Stahlspiele, der Zimbeln und des Xylophons, ferner der großen und
kleinen Trommeln, Becken, Tamtam, Triangel, Kastagnetten, Tamburins usw.
angewendet, und in neuerer Zeit haben Richard Strauß und Gustav Mahler mit
Hilfe der Kinderknarren und Ruten sogar noch besondere Effekte erreicht.
Niemals aber war der bloße Lärm Selbstzweck allein, sondern er wurde in
Verbindung mit
wirklicher Musik
gesetzt, um eine
bestimmte Augen-
blickscharakteri -
stik zu erzeu-
gen. Ganz anders
unsere „Futuri-
sten“. Sie ver-
zichten auf die
althergebrachte
lächerliche Be-
zeichnung Musik
ganz und lassen
dem ungezwun-
genen „Lärm“
freien Lauf. Diese
fürchterlichen
Lärminstrumente
sehen wir auf un-
serer Abbildung
mit Schaudern. Es
sind Kasten und
Kisten mit ent-
sprechender In-
neneinrichtung,
bestimmt zur Er-
zeugung irgendwelcher charakteristischer Geräusche, die durch den niemals
fehlenden Aufputz von Grammophon-Schalltrichtern gebührend „verstärkt“
werden. Anders als in andern Menschenköpfen malt sich bei diesen „Zukünft-
lern“ das Wort „Musik“; ihre Ohren sind nur noch auf Lärm und abermals
Lärm abgestimmt. Über den Geschmack läßt sich bekanntlich nicht streiten.
Der ist ja individuell. Aber schließlich gibt es doch immer noch einen so-
genannten guten Geschmack, der alle Zeiten überdauert. Und so wird der
„gute“ Geschmack auch der verdammende Richter über diese neue unerhörte
Geschmacklosigkeit sein, und zwar eher, als man
denkt, ln einiger Zeit wird man nur noch ein
charakteristisches Lächeln haben für eine Ver-
irrung, die schon heute dem Fluche der Lächer-
lichkeit preisgegeben ist. Die verlachten „Futu-
risten der Musik“ aber als Märtyrer ihrer „Kunst“
zu preisen, dazu liegt kein Anlaß vor. Dy. P. E.

Zick-

Ein Denkmal für Otto Lilienthal. Für
alle Zeiten ist der Name Otto Lilienthal
mit der Geschichte der Flugtechnik aufs engste
verknüpft. Lilienthals Versuche eröffneten eine
neue Ära der Lösung des Problems, das seit Jahr-
tausenden die Menschen beschäftigte, und das
im letzten Dezennium einen so gewaltigen und

Zack,.

überraschenden Aufschwung genommen hat. Auf
seiner Methode bauten die Gebrüder Wright,
Octave Chanute, der Engländer Percy S. Pilcher
und der französische Kapitän Ferber — jeder
auf seine Art — weiter. Durch den Märtyrertod
des genialen Bahnbrechers erlitt die Flugtechnik
nicht nur einen unersetzlichen Verlust, sie wurde

Futuristenmusik: Der „Raßler“

XXVIII. 24. Z.-Z.
 
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