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Moholy-Nagy, László
Von Material zu Architektur — München, 1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.29204#0100
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maßgebend für die neue gestaltung sind und daß der sinn nicht im zeitlich und
technisch bedingten formalen, sondern in der Offenbarung der formungskräfte des
menschen liegt.

mit dieser erkenntnis war der weg einer neuen entwicklung geebnet, die eine
radikale änderung der malerischen und plastischen gestaltung mit sich brachte,
die alten begriffe ,,maler“ oder „bildhauer“ bersten, weil sie plötzlich viel mehr
enthalten, als aus ihnen — nach bisherigem sprach* und sinngebrauch — heraus*
zulesen ist.

der neue maler wird gestalter von lichtrelationen und der neue plastiker gestalter
von volumen* und bewegungsbeziehungen. beide werden recht wenig mehr mit
den bisherigen erscheinungsformen der malerei bzw. plastik zu tun haben, wenn
auch heute noch — üblich und ungewollt — alle Vorstellungen von der alten
basis abgeleitet werden.

grundhaltungen bei der bearbeitung von materialien

gibt man einzelnen menschen gelegenheit, sich mit einem materialblock, z. b.
einem holzstamm, zu beschäftigen, ohne daß sie jemals bildhauerische absichten
gehabt haben, wird sich bei allen eine grundtendenz zeigen in der art, wie sie
das material behandeln.

zunächst respektiert der mensch die homogenität des blocks. er geht damit über*
aus behutsam, fast ehrfurchtsvoll um. er besieht, betastet ihn von allen seiten,
wägt seine schwere, schätzt seine beschaffenheit, ausdehnung vorsichtig ab und
findet ihn in seinem lebendigen umfang, schon im Urzustand ausdrucksvoll.

dann fängt er an — je nach neigung: beschaulich*passiv oder experimentativ*aktiv
— den block mit einem Werkzeug zu bearbeiten, zunächst mit unmerklicher, später
mit deutlicherer planmäßigkeit.

nach kürzerer oder längerer zeit steigert sich der mensch mit überraschender
lebendigkeit in die rolle eines leidenschaftlichen bastlers. er merkt die beziehun*
gen zwischen masse und figur, zwischen rund und eckig, stumpf und spitz,
klein und groß, gewölbt und vertieft, langsam lernt er material und Werkzeug
besser kennen, er erfindet metoden, findet neue Werkzeuge; wagt fester zuzu*
greifen; löcher, höhlungen zu machen; dringt immer tiefer in den block ein.
auf diese weise entstehen — teils zufällig, teils durchaus bewußt — auch negative
volumen (dafür oft der unpräzise ausdruck: „hohlräume“).

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