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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

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Nr. 2
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Halm, M.: Deutsche Kunst in Italien im Zeitalter der Gothik und Renaissance
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Deutsche Kunst in Italien im Zeitalter der Gothik und Renaissance.

Von Dr. Ph. M. Halm.

»O wie wird mich nach der Sonnen frieren! Hier
bin ich ein Herr, daheim ein Schmarotzer.«
Wie oft wohl wurde dieser Seufzer, der sich Dürers
Brust entrang, als er seinem Gönner und Freunde Willi-
bald Pirkheimer über die bevorstehende Abreise von
Venedig Kunde giebt, schon zitiert! Der Schmerzens-
ruf wurde zum Schlagwort, wenn man die Gegensätze
der italienischen und deutschen Kunstverhältnisse, nament-
lich wenn man die Unterschiede der sozialen Stellung
des italienischen und deutschen Künstlers kurz und
treffend charakterisieren wollte. Das vermochte man
auch kaum besser als in diesen ebenso schlichten wie
markigen, wahrheitsvollen Worten. Mir dünkt aber, als
hätten die Worte oft auch zu einer Ueberschätzung der
italienischen oder doch zu einer Unterschätzung der
deutschen Kunst —- im Allgemeinen — geführt. Wohl am
meisten verführte dazu die Thatsache, dass im Zeit-
alter der Renaissance eben vorherrschend Italien gab
und Deutschland nahm. Man vergass aber ganz oder
hob es wenigstens nicht genügend hervor, dass auch
vielfach deutsche Kunst in italienische Werke drang.
Eine Geschichte der Wechselbeziehungen zwischen
italienischer und deutscher Kunst ist leider noch nicht
geschrieben. Sie müsste meines Bedünkens ihr Schwer-
gewicht auf den nach Italien wirkenden deutschen Ein-
fluss verlegen, damit man zur richtigen Erkenntnis der
Thatsachen käme, denn, wie schon angedeutet, fand die
Einwirkung der italienischen Kunst auf die deutsche
schon jederzeit genügende Würdigung. Diese Einwirk-
ung war ja auch eine viel tiefergreifende, viel mehr
die ganze Kunst umfassende als die umgekehrten Be-
ziehungen, die sich auf einzelne Künstler, auf engere
Kunstgebiete erstreckte.
Es liegt mir fern, hier mehr als eine Skizze geben
zu wollen; erscheint einerseits der zu Gebot stehende
Raum zu gering, so sind auch die Einzelforschungen,
die hier in Frage kommen, durchaus noch nicht so weit
gediehen, dass eine abschliessende Arbeit auf sicherem
Fundament sich erheben könnte. So gebe ich hier nur
einige allgemeine Züge aus dem Zeitalter der Gothik
und Renaissance.
Jakob Burckhardt bezeichnete einmal das Eindringen
der gothischen Bauformen in die italienische Kunst als
ein Schicksal, ein Unglück; wohl oder übel sind es die
Deutschen, die hier haftbar zu machen sind, trotz
Enlarts Untersuchungen, die auf eine Einführung der
Gothik aus Burgund hinzielen. Es mag dahin gestellt
sein, ob es wirklich nach dem Zeugnisse Vasari’s einen
Jacopo Tedesco gab, der schon um 1230 einen gothi-
schen Bau, die Doppelkirche des hl. Franziskus zu
Assisi zu bauen vermochte, da in Deutschland kaum
die ersten Keime des neuen Stils in Magdeburg und
Trier sich regten. Aber unbestreitbar fest steht die
Thatsache, dass man an dem umfangreichsten — in
gewissem Sinne auch bedeutendsten -—■ gothischen Bau-
werke Italiens, dem Mailänder Dome, kaum fünf Jahre
nach dem Beginne des Baues, äusser bei einem franzö-

sischen Architekten Nicolas de Bonneaventure sich bei
einem deutschen Meister Hans von Fernach und bei zwei
weitberühmten deutschen Dombaumeistern, dem Heinrich
Arier von Gmünd und Ulrich von Ensingen Rats er-
holte, freilich ohne ihn auch zu befolgen. Und kaum
hundert Jahre darnach bedarf man wegen der Kuppel
wiederum des Rates der Deutschen; der Meister des
Chors des Freiburger Münsters Niessenberger zieht mit
vielen Deutschen den Italienern zu Hilfe. Der oben-
genannte Hans von Fernach war überdies für die bild-
nerische Ausgestaltung des Domes thätig wie zu gleicher
Zeit ein anderer deutscher Bildhauer, Pietro di Giovanni
Tedesco, am Dome zu Florenz. Doch weder in der
Architektur noch in der Bildhauerei gewannen die
Deutschen massgebenden Einfluss; der italienische Bau-
gedanke siegte überall; die Horizontale überwand die
Vertikale. Und schliesslich liess man dem Hasse gegen
die gothische Baukunst freien Lauf, wie z. B. Filarete
schon etwa 1460, sie verwünschend, ausrief: »Verflucht,
der diese Pfuscherei erfand! Ich glaube, nur Barbaren-
volk konnte sie nach Italien bringen.« (Vgl. Burckhardt,
Gesch. d. Ren. in Italien 1868, S. 29.) Als Beispiel
für einen Einfluss der gothisch-italienischen Baukunst
auf Deutschland, speziell auf Bayern, führe ich die meist
spitzbogigen Arkaden der Häuser in vielen der zwischen
Inn und Salzach gelegenen Orten an, die mit ihren
nach oben gerade abschliessenden Frontseiten unwill-
kürlich an italienische Städte »wie Padua und Bologna
erinnern«, worauf zuerst Berthold Riehl in seinen kunst-
historischen Wanderungen in Bayern hinwies.
Weiter und skrupelloser öffneten die italienischen
Maler und Stecher des Quattrocento und Cinquecento
ihr Herz und Auge den deutschen Werken der zeich-
nenden Künste, die noch die deutsche Gothik geschaffen
hatte. In erster Linie war es Dürers Vorläufer, Martin
Schongauer, dessen Stiche zur Nachahmung reizten.
Allgemein angenommen wird, dass selbst Michelangelo
einmal Schongauer kopierte in seiner Versuchung des
hl. Antonius; es handelt sich um eine kolorierte Kopie
dieses Stiches, die Mr. de Triqueti in Pisa erworben
haben soll. Eine in Oel gemalte Kopie des gleichen
Werkes — ein Tafelbild —, das in Bologna 1877 bezw.
1881 auftauchte, wurde als Fälschung verworfen. Müntz
erwähnt noch eine Federzeichnung Fra Bartolomeos im
Louvre, welche eine genaue Copie der Kreuztragung
Schongauers sei, die neben Dürers Kreuztragung in
der grossen Holzschnitt-Passion bekanntermassen in
Raffaels Spasimo di Sicilia noch nachklingt. Besonders
waren es die oberitalienischen Kupferstecher, die sich
mit Nachstichen Schongauers und Dürers befassten. So
die beiden mantegnesken Meister Zoan Andrea und
Giovanni Antonio da Brescia, die sich namentlich an
Dürer hielten, dann Nicoletto da Modena, den Schon-
gauers kleinere Blättchen wie der »Müller und der Esel«
oder die »zu Markt ziehende Bauernfamilie« zu kopieren
reizten und der in köstlicher Weise Dürers »drei Hexen«
in ein Parisurteil umwandelte. Ein anderer Modeneser
 
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