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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

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Nr. 8
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Weber, Anton: Der heilige Hieronymus: ein neu aufgefundenes Gemälde Albrecht Dürers
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https://doi.org/10.11588/diglit.47723#0361

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327

Der heilige Hieronymus.
Ein neu aufgefundenes Gemälde Albrecht Dürers.

Wer die umfangreiche Dürer-Litteratur, welche
bereits eine Bibliothek für sich bilden könnte, näher
kennt, der weiss, dass jeder Winkel in Öffentlichen
und privaten Sammlungen durchforscht und jedes Ge-
mälde, jeder Stich und Holzschnitt, ja jede Zeichnung
sowie jede Notiz des Künstlers sorgfältig gesammelt
und auch meistens durch Nachbildungen und Verviel-
fältigungen den Kunstforschern und Kunstfreunden zu-
gänglich gemacht wurde. Wichtige neue Funde durfte
man daher kaum erwarten. Dennoch war ich in der
glücklichen Lage, ein bedeutendes Gemälde des grössten
oberdeutschen Künstlers in die Kunstlitteratur einzu-
führen, ein Gemälde, welches der gesamten europäi-
schen Kunstforschung, auch allen Dürerforschern,
unbekannt geblieben war, obgleich es in einer öffent-
lichen Galerie einer grossen europäischen Hauptstadt
hängt.1)
Das Werk ist ein den heiligen Hieronymus dar-
stellendes Gemälde, welches ich bei meinem Aufenthalte
in Lissabon i. J. 1897 im dortigen „Musen Nacional
das Bellas Artes“ erblickte.
Das auf Holz gemalte, 60 cm hohe und 48 cm
breite Bild stellt den Heiligen in halber Figur in etwas
vorgebeugter Stellung dar. Mit der flachen rechten
Hand, deren Arm auf einem pultartigen Kasten ruht,
stützt er nachdenklich das greise Haupt; den Zeigefinger
der vorgestreckten linken Hand legt er an einen Toten-
schädel, der sich auf einem schmalen Tische vor dem
Greise befindet. Die hohe Stirn ist von Furchen durch-
zogen; die feurigen Augen schauen sinnend geradeaus;
der üppige, weisse Bart ist lang und in der Mitte ge-
spalten. Den Kopf deckt eine grüne Mütze; den Körper
umschliesst ein hellrotes Gewand, über welches ein
dunkelroter Mantel geworfen ist. Auf dem Tische er-
blickt man an der Ecke zur Linken des Kirchenvaters
ein Tintenfass, in dem eine Kielfeder steckt. Auf der
andern Seite des Tisches steht neben dem Schädel ein
Lesepult; auf diesem liegt ein Quartband aufgeschlagen,
während unter dem Pulte zwei geschlossene Bücher
sichtbar sind. Diese Umgebung soll andeuten, dass der
Mönch ein Gelehrter war, welcher über eine für die da-
malige Zeit fast unerhörte Fülle von Kenntnissen ver-
fügte. Aus dem grösseren grün gebundenen Buche
ragt ein weisser Buchmerker heraus, welcher oben die
') „A. Weber vient de decouvrir au musee de Lisbonne un tab-
leau de Dürer reste jusqu’ici pour ainsi dire inconnu.“ La Chronique
des Arts. Paris Nov. 1900. Vgl. auch Le Journal des Arts. Paris
Nov. 1900. Zeitschrift für bildende Kunst. N. F. XII. Jahrg. S. 17 ff.:, „Ein
bisher unbekanntes Gemälde Dürers.“ Von A. Weber und M. G. Zimmer-
mann. — Noch im Jahre 1900 beklagt Wilhelm Suida den Verlust des
Bildes. (Repert. f. Kunstwissenschaft S. 315.)

Jahreszahl „1521“ und unten das Monogramm Dürers
aufweist. Die Wand im Hintergründe ist grösstenteils
grün; von dem holzfarbenen Teile derselben hebt
sich ein Kruzifix ab: der Oberkörper des schlanken
Heilands ist vorwärts geneigt, das dornengekrönte
Haupt wendet sich nach der rechten Seite; ein breites
Lendentuch schmiegt sich um Schenkel und Unterleib;
die Füsse sind übereinander gelegt und mit einem Nagel
an den Balken geheftet.
Das Gemälde ist in der Hauptsache gut erhalten,
nur zwei Bretter haben sich ein wenig getrennt, und
störend wirkt der Riss.
Es macht aber im Ganzen keinen voll befriedigenden
Eindruck, weil keine Farbenharmonie daraus hervor-
leuchtet. Die Arbeit ist jedoch ein Denkmal ausser-
ordentlichen Fleisses und eine schöne, sinnige Kom-
position. In dem Bilde haben wir eben einen echten
„Dürer“ zu bewundern.
Als ich vor dem Gemälde im Museum der schönen
Künste in der portugiesischen Hauptstadt stand, wurde
es mir sogleich klar, dass das Bild der seit mehreren
Jahrhunderten verschollene „Hieronymus“ sein müsse,
von dem der Meister selber berichtet. Er
schrieb nämlich zu Antwerpen im März des Jahres 1521
in sein „Tagebuch der niederländischen Reise“ folgende
Bemerkung: „Ich habe einen Hieronymus fleissig in
Oeifarben gemacht und dem Roderigo von Portugal
geschenkt, der hat der Susanna (der Dürer und seine
Frau begleitenden Magd) einen Dukaten1) als Trink-
geld gegeben.“ Dieser Roderigo Fernandez, welcher
damals in Antwerpen „Scriban de Portugal“, d. i. wohl
Sekretär des portugiesischen Konsuls, war, i. J. 1528
aber selbst portugiesischer Faktor d. i. Konsui in der
Handelsmetropole wurde, hatte nämlich den deutschen
Künstler, dem er ein besonderes Interesse entgegen-
brachte, mit Einladungen und Geschenken überhäuft.
In letzterer Beziehung finden sich folgende Einträge
Dürers in seinem „Tagebuche“ von November 1520
bis März 1521: „Signor Roderigo von Portugal schenkte
mir ein Fässchen voll eingemachten Zuckers, allerlei
Sorten, worin auch eine Schachtel Zuckerkandis, ferner
zwei grosse Schüsseln voll Zuckerpenit“ (penet, mittel-
hochdeutsch benit, zu Stangen verarbeiteter Honig),
„Marzipan und allerlei anderes Zuckerwerk2) und einige
>) Der Dukaten hat 7 Mark Goldwert; da die Kaufkraft des Geldes
in jener Zeit ungefähr viermal grösser war, entspricht das Trinkgeld in
der Gegenwart einem Geschenke von 28 Mark.
2) Dürer hatte vom 3. bis 14. Dezember von Antwerpen aus einen
Ausflug nach Seeland gemacht, dabei sich in der rauhen Winterszeit
verdorben; in dieser Krankheit sollten eingemachte Sachen u. a. ihm als
Heilmittel dienen.
 
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