Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

DOI issue:
Heft 1/2
DOI article:
Strzygowski, Josef: Das orientalische Italien
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.70400#0040
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
32

Monatshefte für Kunstwissenschaft

zwei Steinpfeilern ab, die ich noch in einem Hause in Bawit in Oberägypten photo-
graphierte; sie sind inzwischen in den Louvre gekommen. (Abb. 12.) Auf der Vorder-
seite oben waren Heilige dargestellt, darunter das ägyptische Wedelornament.1) An
der Seite dieser Pfeiler findet man in der gleichen Relieftechnik das von Doppelstielen
umrahmte Weinlaub in vertikaler Folge wie auf der Truhe von Terracina ausgearbeitet.
Daß die Blätter nach unten statt nach oben laufen und die ganze Steinarbeit sauberer
ausgeführt ist, tut unserer Konstatierung keinen Eintrag.
Baldoria, der erste Bearbeiter der Truhe nahm sie für die freie, nicht vor dem
8. und nicht nach dem Ende des 9. Jahrhunderts ausgeführte Kopie einer anderen, die
sicher im Orient ausgeführt und durch die Byzantiner nach Italien gekommen war.2)
Molinier") datierte sie ins 10. Jahrhundert, Zimmermann4) ins 11., Munoz gar ins 13. Jahr-
hundert.5) Letzterer trat zugleich für den orientalischen Ursprung ein. Entgegen diesen
Meinungen geht Venturi noch über Baldoria hinaus, indem er die Truhe dem 7. Jahr-
hundert zuweist und annimmt „ehe qui sulla cassa siasi sbizzarrita la fantasia nordica
d'un artista idolatra".6) Er spricht sich gegen die symbolische Deutung der Dar-
stellungen aus, und meint, nicht Adam und Eva, sondern Gestalten aus dem Kreise
Odins, „Askr ed Embla, ossia Lift e Lifthrasin suo sposo, sotto l'alato toro androcefalo"
sollten dargestellt sein. Nirgends begegneten christliche Züge; auch habe die eigen-
artige Darstellung der Schlange im Sündenfall als Sphinx keine Parallelen. Venturi
findet zweimal den Raben Odins dargestellt und immer wieder die den Longobarden
heilige Schlange. Alles das gemahne an miti nordici, leggende odiniche. Joseph Sauer
schließt sich Venturi darin an,7) daß die Tiergestalten rein dekorativ, nicht symbolisch
zu deuten seien. Das Werk stamme aus einer Übergangskunst, d. h. noch aus der Zeit
vor dem Einströmen eines symbolischen Gehaltes; selbst die Deutung der sog. Adam
und Eva hätte er (Sauer) noch mit kräftigeren Fragezeichen versehen.
Die Herren kommen alle von der Forschung auf abendländischem Gebiete her
und können meines Erachtens deshalb der Truhe von Terracina nicht gerecht werden.
Ihre Auffassung mag berechtigt sein einem Denkmale wie dem in Clermont-Ferrand ge-
fundenen Runenkästchen, dem Franks casket gegenüber; dem Orient dagegen ist der
abergläubische Symbolismus durchaus geläufig und auch die Verbindung mit Adam und
Eva hat nichts Auffallendes. Vollends irrt Venturi — und so auch schon Baldoria —
wenn er in der Sphinx über den Köpfen von Adam und Eva die Schlange dargestellt
sieht. Diese kommt zwar öfter (vor und nach dem Sündenfall) als vierfüßiges Tier vor,8)
so in den Oktateuchen, hier aber ist sie als richtige Schlange gegeben. Die Herren

9 Vgl. meine koptische Kunst, S. 457 und über Bawit S. 70 und 117 f.

2) Archivio storico dell' arte II (1890), S. 247.

") Le meuble du mögen äge.

4) Oberitalienische Plastik. S. 16.

5) L'art byz. ä l'exposition de Grottaferrata, p. 186.

6) Storia dell' arte II, 107 f.

7) Beilage zur Münchener Allg. Zeitung 1905, S. 314.

8) Vgl. dazu jetzt das in Babylon gefundene Fabeltier aus buntglasierten Ziegeln.
Mitteilungen der deutschen Orient-Gesellschaft und Die Woche 1908, S. 164.
 
Annotationen