Literatur
217
leben, interessanten alten Stadtbefestigungen,
Kämpfen, Belagerungen schließt der erste Band,
der das 15. und 16. Jahrhandert umfaßt.
Diese knappe Inhaltsangabe möge zeigen,
welch eine Fülle von Anschauungsmaterial hier
niedergelegt ist. Die Art der Vervielfältigung der
Bilder ist die Strichätzung, die dem feinen Linien-
gefüge des Kupfers gegenüber ja allerdings bis-
weilen versagt, im allgemeinen aber durchaus
befriedigt. Für diejenigen, deren Betrachtung
über das Gegenständliche der Darstellung hin-
ausstrebt, ist die Korrektur durch das Stu-
dium der Originale natürlich überall unerläß-
lich, schon weil die meisten Abbildungen des
Diederidisschen Atlasses die Größenmaße des
Originales willkürlich verkleinern. Damit soll
aber einer Benutzung des Werkes auch für den
Kenner durchaus nicht das Urteil gesprochen
sein. Denn der Atlas ist mehr als ein Bilder-
buch für Leute, die lediglich antiquarische Inter-
essen befriedigen wollen. Dank eines für den
Schluß des zweiten Bandes versprochenen Re-
gisters, das sowohl über die Abbildungen des
Atlasses wie über die der Monographien, d. h.
über ein streng wissenschaftlich bestimmtes
Material von rund 3500 Bildern orientiert, kann
der Atlas ein nützliches Nachschlagewerk für
den jungen Kulturhistoriker werden, das be-
dingt selbst die Zwecke eines Lehrbuches zu
erfüllen imstande ist, indem durch häufige glück-
liche Konfrontationen von Wiedergaben des-
selben Gegenstandes der Betrachter zu formalen
Vergleichen und stilistischen Analysen angeregt
wird.
Hans Vollmer.
Karl Woermann. Von deutscher Kunst
(Führer zur Kunst Nr.11/12). Eßlingen, Neff. 1907.
Die nationale Eigenart der Kunst des eigenen
Volkes zu kennzeichnen, ist eine reizvolle, aber
schwierige Aufgabe. Allzuleicht trübt die Nähe
den Blick, macht gegen das Entferntere ungerecht.
Fast alle populären deutschen Schriften über
deutsche Kunst kranken daran, daß der Gesichts-
kreis ihrer Autoren zu eng oder freiwillig be-
schränkt ist. Den verdienstvollen Direktor der
Dresdner Gemäldegalerie und Verfasser einer
„Geschichte der Kunst aller Zeiten und Völker"
wird man nun nicht gerade eines engen Hori-
zontes zeihen können. Und doch scheint es, als
ob sogar ihn ein derart zum Tendenziösen heraus-
forderndes Thema, wie die volkstümliche Dar-
stellung des Wesens der heimatlichen Kunst, bei
aller Unparteiischkeit zuweilen zu einer leichten
Überschätzung des Deutschen geführt habe.
Allgemeiner Wert und Wesen einer Kunst
sind zweierlei. Vielleicht indes leitet der neu-
tralste Weg zum Verständnis ihres Wesens über
die Feststellung ihres Wertes für die Kunst der
anderen Völker und der Bedeutung der fremden
Kunst für sie. Dieser Weg führt zu der Er-
kenntnis: Die deutsche Kunst hat viel mehr
empfangen als abgegeben. Sie hätte sich ohne
den Einfluß Frankreichs und Italiens nicht zu
dem entwickelt, als was sie uns heute erscheint.
Ohne Frankreich besäßen wir keine Gotik, keine
Barockschlösser, keine Rokoko, keinen Klassi-
zissimus, ohne Italien keine Renaissance. Was
wäre aus Dürer, Holbein, Burgkmair, was aus
unseren größten Architekten des 16. und 17. Jahr-
hunderts ohne die Einwirkung Italiens geworden?
Was umgekehrt wir Frankreich und Italien
gegeben haben, sind vereinzelte Anregungen,
die für die Entwicklung der Kunst jener Länder
nichts bedeuten.
Untersucht man, worin das Wesen der meisten
Kunstrichtungen besteht, die Deutschland ein-
geführt hat, so ergibt sich: in ihrer Monumen-
talität. Die deutsche Kunst mußte von außen
her ergänzen, was ihr von Natur aus fehlte.
Selbständig groß ist sie nur im Übergangsstil
und dann noch in vereinzelten Fällen, wie in
den Werken des Grünewald und Veit Stoß. Ihr
eigentliches Kennzeichen aber ist nicht Größe,
sondern gerade Kleinheit, Intimität. Auf dem
Gebiete der Graphik und des Kunstgewerbes
hat Deutschland sein Eigenstes geschaffen. Dieser
Sachverhalt sollte billigerweise anerkanntwerden.
Der einzige Mangel an Woermanns Büchlein
ist, daß es zuweilen die Vorzüge und die Priorität
der fremden Kunst nicht recht gelten läßt und
anderseits Eigenschaften der deutschen Kunst
von zweifelhaftem Werte als besonders gut hin-
stellt. Kein Wort darüber, wie oft in Deutsch-
land die Prinzipien der Monumentalkunst des
Auslandes durch Doktrinarismus zu Tode gehetzt
oder in Dekoration erstickt wurden; man ver-
gleiche den gotischen Kathedralgrundriß, etwa
Amiens mit Köln, die gotische Turmbildung, etwa
St. Nicaise in Reims mit dem ungeheuerlichen
Entwürfe zu der eintürmigen Regensburger Dom-
fassade, den italienischen Renaissancepalazzo
mit dem deutschen Renaissanceschloß.
Zu Einzelheiten ließe sich noch mancherlei
bemerken, so zu der Behauptung, in den Domen
von Naumburg und Limburg sei „fast ein be-
sonderer in sich abgeschlossener deutscher Bau-
stil" zu erblicken, und zu den Versuchen, die
Hallenkirche als eine nationaldeutsche Schöpfung
hinzustellen. Allerdings sind diese Behauptungen
stets wieder derart eingeschränkt, daß man sie
nicht widerlegen kann. Aber in dem Laien, für
14
217
leben, interessanten alten Stadtbefestigungen,
Kämpfen, Belagerungen schließt der erste Band,
der das 15. und 16. Jahrhandert umfaßt.
Diese knappe Inhaltsangabe möge zeigen,
welch eine Fülle von Anschauungsmaterial hier
niedergelegt ist. Die Art der Vervielfältigung der
Bilder ist die Strichätzung, die dem feinen Linien-
gefüge des Kupfers gegenüber ja allerdings bis-
weilen versagt, im allgemeinen aber durchaus
befriedigt. Für diejenigen, deren Betrachtung
über das Gegenständliche der Darstellung hin-
ausstrebt, ist die Korrektur durch das Stu-
dium der Originale natürlich überall unerläß-
lich, schon weil die meisten Abbildungen des
Diederidisschen Atlasses die Größenmaße des
Originales willkürlich verkleinern. Damit soll
aber einer Benutzung des Werkes auch für den
Kenner durchaus nicht das Urteil gesprochen
sein. Denn der Atlas ist mehr als ein Bilder-
buch für Leute, die lediglich antiquarische Inter-
essen befriedigen wollen. Dank eines für den
Schluß des zweiten Bandes versprochenen Re-
gisters, das sowohl über die Abbildungen des
Atlasses wie über die der Monographien, d. h.
über ein streng wissenschaftlich bestimmtes
Material von rund 3500 Bildern orientiert, kann
der Atlas ein nützliches Nachschlagewerk für
den jungen Kulturhistoriker werden, das be-
dingt selbst die Zwecke eines Lehrbuches zu
erfüllen imstande ist, indem durch häufige glück-
liche Konfrontationen von Wiedergaben des-
selben Gegenstandes der Betrachter zu formalen
Vergleichen und stilistischen Analysen angeregt
wird.
Hans Vollmer.
Karl Woermann. Von deutscher Kunst
(Führer zur Kunst Nr.11/12). Eßlingen, Neff. 1907.
Die nationale Eigenart der Kunst des eigenen
Volkes zu kennzeichnen, ist eine reizvolle, aber
schwierige Aufgabe. Allzuleicht trübt die Nähe
den Blick, macht gegen das Entferntere ungerecht.
Fast alle populären deutschen Schriften über
deutsche Kunst kranken daran, daß der Gesichts-
kreis ihrer Autoren zu eng oder freiwillig be-
schränkt ist. Den verdienstvollen Direktor der
Dresdner Gemäldegalerie und Verfasser einer
„Geschichte der Kunst aller Zeiten und Völker"
wird man nun nicht gerade eines engen Hori-
zontes zeihen können. Und doch scheint es, als
ob sogar ihn ein derart zum Tendenziösen heraus-
forderndes Thema, wie die volkstümliche Dar-
stellung des Wesens der heimatlichen Kunst, bei
aller Unparteiischkeit zuweilen zu einer leichten
Überschätzung des Deutschen geführt habe.
Allgemeiner Wert und Wesen einer Kunst
sind zweierlei. Vielleicht indes leitet der neu-
tralste Weg zum Verständnis ihres Wesens über
die Feststellung ihres Wertes für die Kunst der
anderen Völker und der Bedeutung der fremden
Kunst für sie. Dieser Weg führt zu der Er-
kenntnis: Die deutsche Kunst hat viel mehr
empfangen als abgegeben. Sie hätte sich ohne
den Einfluß Frankreichs und Italiens nicht zu
dem entwickelt, als was sie uns heute erscheint.
Ohne Frankreich besäßen wir keine Gotik, keine
Barockschlösser, keine Rokoko, keinen Klassi-
zissimus, ohne Italien keine Renaissance. Was
wäre aus Dürer, Holbein, Burgkmair, was aus
unseren größten Architekten des 16. und 17. Jahr-
hunderts ohne die Einwirkung Italiens geworden?
Was umgekehrt wir Frankreich und Italien
gegeben haben, sind vereinzelte Anregungen,
die für die Entwicklung der Kunst jener Länder
nichts bedeuten.
Untersucht man, worin das Wesen der meisten
Kunstrichtungen besteht, die Deutschland ein-
geführt hat, so ergibt sich: in ihrer Monumen-
talität. Die deutsche Kunst mußte von außen
her ergänzen, was ihr von Natur aus fehlte.
Selbständig groß ist sie nur im Übergangsstil
und dann noch in vereinzelten Fällen, wie in
den Werken des Grünewald und Veit Stoß. Ihr
eigentliches Kennzeichen aber ist nicht Größe,
sondern gerade Kleinheit, Intimität. Auf dem
Gebiete der Graphik und des Kunstgewerbes
hat Deutschland sein Eigenstes geschaffen. Dieser
Sachverhalt sollte billigerweise anerkanntwerden.
Der einzige Mangel an Woermanns Büchlein
ist, daß es zuweilen die Vorzüge und die Priorität
der fremden Kunst nicht recht gelten läßt und
anderseits Eigenschaften der deutschen Kunst
von zweifelhaftem Werte als besonders gut hin-
stellt. Kein Wort darüber, wie oft in Deutsch-
land die Prinzipien der Monumentalkunst des
Auslandes durch Doktrinarismus zu Tode gehetzt
oder in Dekoration erstickt wurden; man ver-
gleiche den gotischen Kathedralgrundriß, etwa
Amiens mit Köln, die gotische Turmbildung, etwa
St. Nicaise in Reims mit dem ungeheuerlichen
Entwürfe zu der eintürmigen Regensburger Dom-
fassade, den italienischen Renaissancepalazzo
mit dem deutschen Renaissanceschloß.
Zu Einzelheiten ließe sich noch mancherlei
bemerken, so zu der Behauptung, in den Domen
von Naumburg und Limburg sei „fast ein be-
sonderer in sich abgeschlossener deutscher Bau-
stil" zu erblicken, und zu den Versuchen, die
Hallenkirche als eine nationaldeutsche Schöpfung
hinzustellen. Allerdings sind diese Behauptungen
stets wieder derart eingeschränkt, daß man sie
nicht widerlegen kann. Aber in dem Laien, für
14