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Monatshefte für Kunstwissenschaft
die Jahrhundertwende zu den ihrigen rechnet.
Der geborene Schweizer hat das glückliche Erb-
teil seines Heimatlandes zum Ruhmestitel seiner
künstlerischen Wünsche zu erheben vermocht:
Freiheit. Erstaunlich ist seine Selbständigkeit,
die unbeirrt dem großen Ziel entgegendrängt.
Dieses Ziel heißt für Kellers Wollen: intensives
Erfassen der sämtlichen malerischen Fähigkeiten
des darzustellenden Gegenstandes in einem öko-
nomisch entsprechenden Raum. Das hat er ge-
konnt schon als ein ganz Junger, und deshalb
bewegt sichseine Entwicklungslinie nicht aufwärts,
sondern ebenmäßig fort, von Höhe zu Höhe.
Die Ausdrucksmittel wechseln. Es kommt ein
äußerliches Moment psychologischen Problem-
künstelns dazu, äußerlich nur, so ernsthaft es
behandelt wird. Das Gegenständliche versucht
seine dramatische Herrschaft auszuüben. Immer
wieder aber gerät die sinnliche Freude am Malen
zum Durchbruch, und in der Verteilung der Far-
ben im Raum leistet der Künstler, dem in ruhiger
Selbstverständlichkeit diese Wirkungen gelingen,
mehr als die aufdringlich berechnenden moder-
nen Franzosen, die sich mit der subtilen Ab-
wägung der Farbwerte auf Grund chemischer
Gesetze brüsten. Kellers Bilder aus der Sphäre
der vierten Dimension haben seinen Weltruf
geschaffen. Sie machen hier eine eigene, dem
natürlich Empfindenden nicht sonderlich sym-
pathische Gruppe aus. Die Aufmerksamkeit des
Malers ersah sich in jenem seltsamen, auf die
erotische Seite der weiblichen Psyche gebannten
Sonderbewußtsein, das fremdem Willen ge-
horcht, ein neues Moment künstlerischer Cha-
rakterisierungsmöglichkeit. Kellers Frauen haben
sämtlich etwas Krankhaftes an sich. Das Ge-
sunde und Kräftige hat er mit der gleichen ver-
feinerten Geschmacksbildung von sich gewiesen,
wie es etwa Wilde getan hat. Er ist der Maler
par excellence des gesellschaftlichen Snobismus,
jener unglaublich ästhetischen Dekadenz, deren
geistige Attribute aber leider schon unter der
Guillotine geblieben sind.~
Entsprechend dem Programme unserer Zeit-
schrift, welche nur in Ausnahmefällen moderne
Kunst in den Rahmen der Betrachtung zu ziehen
beabsichtigt, habe ich mich mit der Nennung
der beiden Namen zu begnügen, deren vorzüg-
liche Werke Keller zur Seite treten: Philipp
Klein, Charles Tooby. Dafür muß der Aus-
stellung gedacht werden, die Bruno Piglheins
Witwe zum 60. Geburtstag des Künstlers im
Münchner Kunstverein veranstaltet hat. Man
hatte keine Kosten gescheut, das Werk des
ersten Präsidenten der ersten deutschen Se-
zession, dessen Andenken noch heute bei seinen
alten Genossen in hohen Ehren steht, in möglichster
Vollzähligkeit zusammenzubringen. Die National-
galerie, die Hamburger Kunsthalle, das Züricher
Künstlergütli und die neue Pinakothek, aus-
wärtige und einheimische Private hatten das
ihrige beigesteuert, um den Eindruck von dem
Lebenswerk des mitten in seinem besten
Schaffen abgerufenen Künstlers vollständig zu
machen. Nicht zu vergessen auch das mancher-
lei Interessante, was aus den Ateliers der Kol-
legen und Freunde des Meisters bei dieser
Gelegenheit zum erstenmal an das Licht der
Öffentlichkeit kam. Neben guten alten Aus-
stellungsbekannten aus den neunziger Jahren,
der berühmten, allzu berühmten „Blinden", dem
großen Kruzifixus der Nationalgalerie, der „Diva",
der Grablegung usw. erschien eine stolze Reihe
von Porträt- und Modellstudien, die zum Geist-
reichsten gehören, was der vielgewandte Mei-
ster gemacht hat. Ausgeführte Charakterschilde-
rungen neben skizzistisch hingehauchten Im-
pressionen;keine eindringlichen Seelen-Analysen,
aber liebenswürdige, humoristisch gewürzte
Charakteristiken aus dem Freundeskreise wech-
seln mit üppigsten, pikanten Frauenbildern in
bunten Reihen. Das meisterhafte Jugendbild-
nis des Freiherrn von Habermann und die
flüchtig hingemalte Sarah Bernhardt mochten
die Spannweite von Piglheins Befähigung zum
Porträtisten, aber auch die Begrenztheit seiner
Begabung bezeichnen.
Der äußere Erfolg der Ausstellung war enorm.
Seit Lenbachs Tode hat der Kunstverein keinen
solchen Zusammenfluß an Publikum erlebt. Aber
soll ich den endgültigen Eindruck dieser Aus-
stellung festhalten, so muß ich gestehen, daß
sie für den Neuling wohl ein Ereignis be-
deutet, für die älteren Verehrer Piglheins aber
eine Enttäuschung. Gerade die Menge und
Vielgestaltigkeit des Gebotenen wirkte fatal er-
nüchternd. Es ist ein stupendes Können, das
sich hier spielend an den verschiedensten Gegen-
ständen und in den verschiedenartigsten Ma-
nieren bewährt. Hunde und Affen, Mondänen
und Heilige, Engel und Balleteusen, Pierrots
und Zentauren — schon die einfache Aufzäh-
lung verwirrt. Noch proteischer muten die dar-
stellerischen Mittel an: von der improvisieren-
den Manier des leichtbeschwingten Chikisten
(wie man in den Anfängen der Sezession selbst-
gefällig sagte) bis zur großen biblischen Historie
akademischen Kalibers hat der bewegliche Künst-
ler nichts unversucht gelassen. Er war ein Vir-
tuose, freilich einer mit selten solider Schulung.
Wie süß und glatt wirkt heute das Kleider-
und Toilette-Stilleben, das er „Diva" nannte, und
wie oberflächlich diese Pastellparaphrasen über
schöne Frauenköpfe. Selbst der groß konzi-
Monatshefte für Kunstwissenschaft
die Jahrhundertwende zu den ihrigen rechnet.
Der geborene Schweizer hat das glückliche Erb-
teil seines Heimatlandes zum Ruhmestitel seiner
künstlerischen Wünsche zu erheben vermocht:
Freiheit. Erstaunlich ist seine Selbständigkeit,
die unbeirrt dem großen Ziel entgegendrängt.
Dieses Ziel heißt für Kellers Wollen: intensives
Erfassen der sämtlichen malerischen Fähigkeiten
des darzustellenden Gegenstandes in einem öko-
nomisch entsprechenden Raum. Das hat er ge-
konnt schon als ein ganz Junger, und deshalb
bewegt sichseine Entwicklungslinie nicht aufwärts,
sondern ebenmäßig fort, von Höhe zu Höhe.
Die Ausdrucksmittel wechseln. Es kommt ein
äußerliches Moment psychologischen Problem-
künstelns dazu, äußerlich nur, so ernsthaft es
behandelt wird. Das Gegenständliche versucht
seine dramatische Herrschaft auszuüben. Immer
wieder aber gerät die sinnliche Freude am Malen
zum Durchbruch, und in der Verteilung der Far-
ben im Raum leistet der Künstler, dem in ruhiger
Selbstverständlichkeit diese Wirkungen gelingen,
mehr als die aufdringlich berechnenden moder-
nen Franzosen, die sich mit der subtilen Ab-
wägung der Farbwerte auf Grund chemischer
Gesetze brüsten. Kellers Bilder aus der Sphäre
der vierten Dimension haben seinen Weltruf
geschaffen. Sie machen hier eine eigene, dem
natürlich Empfindenden nicht sonderlich sym-
pathische Gruppe aus. Die Aufmerksamkeit des
Malers ersah sich in jenem seltsamen, auf die
erotische Seite der weiblichen Psyche gebannten
Sonderbewußtsein, das fremdem Willen ge-
horcht, ein neues Moment künstlerischer Cha-
rakterisierungsmöglichkeit. Kellers Frauen haben
sämtlich etwas Krankhaftes an sich. Das Ge-
sunde und Kräftige hat er mit der gleichen ver-
feinerten Geschmacksbildung von sich gewiesen,
wie es etwa Wilde getan hat. Er ist der Maler
par excellence des gesellschaftlichen Snobismus,
jener unglaublich ästhetischen Dekadenz, deren
geistige Attribute aber leider schon unter der
Guillotine geblieben sind.~
Entsprechend dem Programme unserer Zeit-
schrift, welche nur in Ausnahmefällen moderne
Kunst in den Rahmen der Betrachtung zu ziehen
beabsichtigt, habe ich mich mit der Nennung
der beiden Namen zu begnügen, deren vorzüg-
liche Werke Keller zur Seite treten: Philipp
Klein, Charles Tooby. Dafür muß der Aus-
stellung gedacht werden, die Bruno Piglheins
Witwe zum 60. Geburtstag des Künstlers im
Münchner Kunstverein veranstaltet hat. Man
hatte keine Kosten gescheut, das Werk des
ersten Präsidenten der ersten deutschen Se-
zession, dessen Andenken noch heute bei seinen
alten Genossen in hohen Ehren steht, in möglichster
Vollzähligkeit zusammenzubringen. Die National-
galerie, die Hamburger Kunsthalle, das Züricher
Künstlergütli und die neue Pinakothek, aus-
wärtige und einheimische Private hatten das
ihrige beigesteuert, um den Eindruck von dem
Lebenswerk des mitten in seinem besten
Schaffen abgerufenen Künstlers vollständig zu
machen. Nicht zu vergessen auch das mancher-
lei Interessante, was aus den Ateliers der Kol-
legen und Freunde des Meisters bei dieser
Gelegenheit zum erstenmal an das Licht der
Öffentlichkeit kam. Neben guten alten Aus-
stellungsbekannten aus den neunziger Jahren,
der berühmten, allzu berühmten „Blinden", dem
großen Kruzifixus der Nationalgalerie, der „Diva",
der Grablegung usw. erschien eine stolze Reihe
von Porträt- und Modellstudien, die zum Geist-
reichsten gehören, was der vielgewandte Mei-
ster gemacht hat. Ausgeführte Charakterschilde-
rungen neben skizzistisch hingehauchten Im-
pressionen;keine eindringlichen Seelen-Analysen,
aber liebenswürdige, humoristisch gewürzte
Charakteristiken aus dem Freundeskreise wech-
seln mit üppigsten, pikanten Frauenbildern in
bunten Reihen. Das meisterhafte Jugendbild-
nis des Freiherrn von Habermann und die
flüchtig hingemalte Sarah Bernhardt mochten
die Spannweite von Piglheins Befähigung zum
Porträtisten, aber auch die Begrenztheit seiner
Begabung bezeichnen.
Der äußere Erfolg der Ausstellung war enorm.
Seit Lenbachs Tode hat der Kunstverein keinen
solchen Zusammenfluß an Publikum erlebt. Aber
soll ich den endgültigen Eindruck dieser Aus-
stellung festhalten, so muß ich gestehen, daß
sie für den Neuling wohl ein Ereignis be-
deutet, für die älteren Verehrer Piglheins aber
eine Enttäuschung. Gerade die Menge und
Vielgestaltigkeit des Gebotenen wirkte fatal er-
nüchternd. Es ist ein stupendes Können, das
sich hier spielend an den verschiedensten Gegen-
ständen und in den verschiedenartigsten Ma-
nieren bewährt. Hunde und Affen, Mondänen
und Heilige, Engel und Balleteusen, Pierrots
und Zentauren — schon die einfache Aufzäh-
lung verwirrt. Noch proteischer muten die dar-
stellerischen Mittel an: von der improvisieren-
den Manier des leichtbeschwingten Chikisten
(wie man in den Anfängen der Sezession selbst-
gefällig sagte) bis zur großen biblischen Historie
akademischen Kalibers hat der bewegliche Künst-
ler nichts unversucht gelassen. Er war ein Vir-
tuose, freilich einer mit selten solider Schulung.
Wie süß und glatt wirkt heute das Kleider-
und Toilette-Stilleben, das er „Diva" nannte, und
wie oberflächlich diese Pastellparaphrasen über
schöne Frauenköpfe. Selbst der groß konzi-