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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

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Heft 1/2
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Habich, Georg: Ein Burgkmairbildnis von Hans Holbein d. A.
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https://doi.org/10.11588/diglit.70400#0022
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Monatshefte für Kunstwissenschaft

Von neuem entsteht die Frage: was stellt das Bild vor? — Der Vorgang rechts ist
klar. Die heilige Ottilie im Äbtissinnengewand erlöst durch inbrünstiges Gebet die Seele
ihres Vaters, des Herzogs Eticho vom Elsaß (nicht „eines Königs", wie der Prager Katalog
schreibt) aus dem Fegefeuer. Das „Eidolon" schwebt in Gestalt eines nackten Menschleins,
nur durch eine Fürstenkrone näher gekennzeichnet, aus dem flammenden Erdspalt hervor,
um alsbald von einem Engel zu weiterer Beförderung himmelwärts in Empfang genommen
zu werden. — Die Darstellung ist nicht vereinzelt. Israel von Meckenem hat die Geschichte in
einem ziemlich unbeholfenen Blatt (B. 131) mit den ihm eigenen drastischen Mitteln erzählt.
Er verlegt den Vorgang in die „Tränenkapelle", die an der Stelle des Wunders erriditet
wurde und noch heute ein viel aufgesuchtes Wallfahrtsziel auf dem Odilienberg im Elsaß
bildet. Ebenso gibt ein sogleich näher zu bezeichnendes fränkisches Altarwerk die Szene
wieder. Dagegen schildert ein herrlicher, um 1480 entstandener Gobelin von oberrheinischer
Arbeit mit einer zyklischen Darstellung der Ottilienlegende, der sich bis auf den heutigen Tag
in dem von der Schwester der Heiligen, Adala, gegründeten Stift St. Stephan in Straßburg be-
findet, das Wunder in einer mit dem Prager Bild merkwürdig übereinstimmenden Komposition.1)
Selbst das hübsche Stadtbild (nicht der Weiler Ehenheim, die Residenz Herzog Etichos, sondern
wohl Straßburg ist gemeint) fehlt nicht; es füllt den Hintergrund wie auf dem Bilde in Prag.
Aber was sind das für weltliche Dinge, die Holbein da Freund Burgkmair hinter
dem Rücken der Heiligen treiben läßt? — Die ungemein reichhaltige Literatur, deutsche
wie französische, die sich mit der heiligen Ottilie und ihrer Verehrung auf dem Odilien-
berg beschäftigt und sich am vollständigsten in Pottharsts bibliotheca historica medii
aevi (2) II. S. 1497 verzeichnet findet, weiß nichts von einem Begebnis, das sich auf
die vorliegende Darstellung beziehen ließe. Das Rätsels Lösung kam mir nach langem
Suchen und Fragen unerwartet aus einer entlegenen fränkischen Dorfkirche. In Mör-
sach, einem im Bezirksamt Feuchtwangen nahe bei Gunzenhausen gelegenen Dörfchen,
befindet sich ein ansehnlicher Schnitzaltar, der nach gefälliger Mitteilung des Herrn
Pfarrers Anton Nibler aus dem nahen Stifte Herrieden stammen soll und teils dem Ende
des 15., teils dem Anfang des 16. Jahrhunderts angehört. Die Flügel sind mit Malereien
aus dem Leben der heiligen Ottilie, in 8 Feldern geschmückt. Darunter findet sich
auch die fragliche Szene: die Heilige, nodi ganz mädchenhaft, und ein Mann, wie auf
dem Prager Bilde, mit dem Wellbaum beschäftigt. Im Hintergrund eine Mühle. Die
Erklärung gibt eine Inschrift, die nach der von Herrn Pfarrer Nibler freundlichst
revidierten Lesung folgendermaßen lautet: „Hie sant Otilia, die Heilig andeditig
Jungfraw zart, Zoch ein kürze welbem (Wellbaum), das er lank genueg
wart." — In der Tat eine Leistung selbst für eine angehende Heilige! — Ein frommer
Zimmermann, so mag die aus der Volkserzählung wohl niemals in die Heiligenliteratur
eingedrungene Legende gelautet haben, hatte sich bei der Zurichtung einer Mühlrad-
welle im Ausmessen geirrt und stand trübselig vor seinem mißglückten Werk, als die
9 Der Teppich ist zusammen mit einem anderen als Gegenstück gearbeiteten, auf die Vita
der Äbtissin Adala bezüglichen Weberei, ebenfalls in St. Stephan befindlich, abgebildet bei Jac. v.
Königshoven, Elsass, u. Straßb. Chronik (Straßb. 1698), S. 515 in Kupferstichen von S. A. Seupel.
Darnach wiederholt Forrer, Odilienberg (Straßb. 1899), Taf. XIII; vgl. auch Schricker, Kunstschätze
im Elsass. Taf. 112.
 
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