Habich. Ein Burgkmairbildnis von Hans Holbein d. Ä.
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junge Herzogstochter des Weges kam. Seine Jammermiene erbarmte sie; ihrer zarten
Jugend ungeachtet ergreift sie das mißratene Werkstück und mit göttlicher Hilfe zieht
sie das Holz in die gehörige Länge, nicht anders als wenn es Wachs wäre. Dem
traurigen Handwerksmann, für den Holbein kein besseres Modell fand als seinen etwas
grämlig dreinblickenden Kunstgenossen, hat sein Glauben geholfen.1)
Die beiden Prager Tafeln sind seit Woltmann wenig beachtet worden. Ihr Platz
im Werke des Meisters scheint noch nicht bestimmt. Was das Burgkmairporträt allenfalls
für die zeitliche Bestimmung lehren kann, ist nicht allzuviel. Man könnte auf Grund der
Tatsache, daß Meister Hans hier schon ein wenig ältlich, älter jedenfalls als auf der Dürer-
zeichnung und nicht eben viel jugendlicher als auf dem späten Selbstbildnis scheint, ver-
sucht sein, die Bilder in die Spätzeit Holbeins, in die Elsässer Jahre 1517—1524 zu setzen.
Der Gedanke, die große, durch die Zuteilung des Lissaboner Madonnenbildes an den
jungen Holbein neuerdings wieder vergrößerte Lücke zu füllen, ist lockend genug. Aber
wer Bescheid weiß in der deutschen Porträtkunst dieser Epoche, wird solche Alters-
bestimmungen nach Bildern, Medaillen usw. nur mit größter Zurückhaltung wagen.
Freilich die Wahl des Gegenstandes, das Leben der elsässischen Landesheiligen,
würde trefflich zu Holbeins Aufenthalt in Isenheim passen, und auch der bereits er-
wähnte Gobelin von St. Stephan, der geradezu als eine Vorstufe zu Holbeins Kom-
position gelten kann, ließe sich in diesem Sinne verwerten. Indes die Verehrung der
berühmten Augen-Heiligen war unendlich verbreitet, vom Elsaß bis nach Prag, allwo sie
schon seit 1354, da Kaiser Karl IV. der Domkirche einen Armknochen als Reliquie
stiftete, eine Kultstätte besaß. Und in böhmischem Besitz fanden sich die beiden Altar-
flügel im Rudolphinum, laut Katalogvermerk, noch in Anfang des 19. Jahrhunderts. —
Aber all diese „tatsächlichen" Momente wiegen nichts gegenüber der stilistischen
Tatsache, daß die Prager Bilder auf einer Entwicklungsstufe stehen, die Holbein, als er
nach Isenheim verzog, bereits längst überwunden hatte. Wenn die Figuren auch in der
Bewegung fast völlig losgelöst sind von alter Befangenheit, so verschwinden die im übrigen
noch recht altertümlich-gracilen Körper vielfach in der Überfülle der gotischen Gewandmotive.
Und so reizvoll das Ornament- und Architekturwerk 2) mit Renaissanceformen mit Balustern,
Akanthus und Puttenköpfen spielt, diese zierliche Arkadenstellung ist noch keine Architektur
in dem monumentalen Sinne des neuen Stils, sondern eben doch gotisches Astwerk, nur
in die antikische Formensprache übersetzt. So wird also der Altar, von dem die Prager
Flügel der Rest sind, in jene Zeit fallen, die für den alten Maler noch eine Werdezeit war,
in die Jahre 1508 bis 1510. Hier erhält dann die leibhafte Erscheinung des eigentlichen
Trägers des modernen Stils in dem Werk des alternden Meisters eine besondere Pointe:
nicht eine zufällige Erscheinung ist sie für uns historisch Betrachtende, sondern ein Symbol
für die große neue Kunstanschauung, die ja insofern etwas von dem Wunder der heiligen
Ottilie hat, als sie das, was an der alten Handwerkskunst noch unzulänglich war, mit
götterleichten Zauberkünsten streckte und ins rechte Maß brachte.
9 Die Erzählung ist, worauf mich G. Keyßner aufmerksam macht, wohl eine Analogiebildung
nach einer der „Kindheitslegenden", die den kleinen Jesusknaben einen vom h. Joseph für König Herodes
hergestellten, aber zu schmal geratenen Thron mit seinen Kinderhändchen in die richtige Fa^on bringen
2) Fehlt hier auf Abb. 4. Vgl. kl. Bilderschatz III. 422 u. 423. [läßt.
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junge Herzogstochter des Weges kam. Seine Jammermiene erbarmte sie; ihrer zarten
Jugend ungeachtet ergreift sie das mißratene Werkstück und mit göttlicher Hilfe zieht
sie das Holz in die gehörige Länge, nicht anders als wenn es Wachs wäre. Dem
traurigen Handwerksmann, für den Holbein kein besseres Modell fand als seinen etwas
grämlig dreinblickenden Kunstgenossen, hat sein Glauben geholfen.1)
Die beiden Prager Tafeln sind seit Woltmann wenig beachtet worden. Ihr Platz
im Werke des Meisters scheint noch nicht bestimmt. Was das Burgkmairporträt allenfalls
für die zeitliche Bestimmung lehren kann, ist nicht allzuviel. Man könnte auf Grund der
Tatsache, daß Meister Hans hier schon ein wenig ältlich, älter jedenfalls als auf der Dürer-
zeichnung und nicht eben viel jugendlicher als auf dem späten Selbstbildnis scheint, ver-
sucht sein, die Bilder in die Spätzeit Holbeins, in die Elsässer Jahre 1517—1524 zu setzen.
Der Gedanke, die große, durch die Zuteilung des Lissaboner Madonnenbildes an den
jungen Holbein neuerdings wieder vergrößerte Lücke zu füllen, ist lockend genug. Aber
wer Bescheid weiß in der deutschen Porträtkunst dieser Epoche, wird solche Alters-
bestimmungen nach Bildern, Medaillen usw. nur mit größter Zurückhaltung wagen.
Freilich die Wahl des Gegenstandes, das Leben der elsässischen Landesheiligen,
würde trefflich zu Holbeins Aufenthalt in Isenheim passen, und auch der bereits er-
wähnte Gobelin von St. Stephan, der geradezu als eine Vorstufe zu Holbeins Kom-
position gelten kann, ließe sich in diesem Sinne verwerten. Indes die Verehrung der
berühmten Augen-Heiligen war unendlich verbreitet, vom Elsaß bis nach Prag, allwo sie
schon seit 1354, da Kaiser Karl IV. der Domkirche einen Armknochen als Reliquie
stiftete, eine Kultstätte besaß. Und in böhmischem Besitz fanden sich die beiden Altar-
flügel im Rudolphinum, laut Katalogvermerk, noch in Anfang des 19. Jahrhunderts. —
Aber all diese „tatsächlichen" Momente wiegen nichts gegenüber der stilistischen
Tatsache, daß die Prager Bilder auf einer Entwicklungsstufe stehen, die Holbein, als er
nach Isenheim verzog, bereits längst überwunden hatte. Wenn die Figuren auch in der
Bewegung fast völlig losgelöst sind von alter Befangenheit, so verschwinden die im übrigen
noch recht altertümlich-gracilen Körper vielfach in der Überfülle der gotischen Gewandmotive.
Und so reizvoll das Ornament- und Architekturwerk 2) mit Renaissanceformen mit Balustern,
Akanthus und Puttenköpfen spielt, diese zierliche Arkadenstellung ist noch keine Architektur
in dem monumentalen Sinne des neuen Stils, sondern eben doch gotisches Astwerk, nur
in die antikische Formensprache übersetzt. So wird also der Altar, von dem die Prager
Flügel der Rest sind, in jene Zeit fallen, die für den alten Maler noch eine Werdezeit war,
in die Jahre 1508 bis 1510. Hier erhält dann die leibhafte Erscheinung des eigentlichen
Trägers des modernen Stils in dem Werk des alternden Meisters eine besondere Pointe:
nicht eine zufällige Erscheinung ist sie für uns historisch Betrachtende, sondern ein Symbol
für die große neue Kunstanschauung, die ja insofern etwas von dem Wunder der heiligen
Ottilie hat, als sie das, was an der alten Handwerkskunst noch unzulänglich war, mit
götterleichten Zauberkünsten streckte und ins rechte Maß brachte.
9 Die Erzählung ist, worauf mich G. Keyßner aufmerksam macht, wohl eine Analogiebildung
nach einer der „Kindheitslegenden", die den kleinen Jesusknaben einen vom h. Joseph für König Herodes
hergestellten, aber zu schmal geratenen Thron mit seinen Kinderhändchen in die richtige Fa^on bringen
2) Fehlt hier auf Abb. 4. Vgl. kl. Bilderschatz III. 422 u. 423. [läßt.