Das orientalische Italien
Von Josef Strzygowski (Graz)
Die Aufdeckung von S. Maria antiqua ist zum Kristallisationspunkt für die vom
5.— 8. Jahrhundert auf römischem Boden nachweisbaren Denkmäler „byzantinischer"
Art geworden. Es handelte sidi dabei hauptsächlich um die Malerei. Neuerdings ist
nun die Erschließung des Schatzes Sancta Sanctorum dazu gekommen. Was im liber
pontificalis literarisch vor uns ausgebreitet wird, das läßt sich nun im Schrein
Leos III. mit Händen greifen. Und wie wir die Dinge nun Stück für Stück ans Tages-
licht ziehen, stellen sie sidi dar als orientalischer Provenienz, zumeist herstammend
aus den Allerwelts -Werkstätten von Jerusalem, die für jede Art von Pilger und Be-
steller arbeiteten, für Arme so gut wie für Reiche und Kirchenschätze. Wo bleibt denn
solchen Zeugen orientalischen Massenimportes gegenüber Rom selbst, seine eigene
Leistung auf dem Gebiete der bildenden Kunst in der zweiten Hälfte des ersten Jahr-
tausends? Ein neuer orientalischer Stoß kommt nach dem Beginn der folgenden
tausend Jahre, an deren Ende wir selbst leben, von Süden her, die Cosmaten sind
seine Träger. Was wir in ihren Hauptwerken, den Klosterhöfen von S. Giovanni in
Laterano und S. Paolo auf römischem Boden so fremdartig empfinden, das ist die
farbige Pracht der islamischen Welt. Von Sizilien wandert diese Art hinauf bis über
Rom hinaus, ein Vergleich des Klosterhofes von Monreale und seinem Brunneneinbau
mit dem Löwenhofe der Alhambra legt diese Beziehung ebenso nahe, wie ein Blick
auf die farbigen Steinintarsien in Sizilien selbst dann drüben in Kairo und der gesamten
islamischen Welt mit den bekannten Schöpfungen der Cosmaten.
Wie dieser Südstrom so hatte schon Jahrhunderte vorher ein Nordstrom Ele-
mente orientalischer Schmuckkunst über den italienischen Boden bis hinunter nach Rom
verbreitet, so daß die Fluten von Nord und Süd nacheinander gerade über der ewigen
Stadt zusammensdilagen. Denn was Goten und Longobarden aus dem Osten über
die Alpen mitbringen, der Goldschmuck mit Glasemail und allerhand plastische Ornamente,
ist zum guten Teil orientalisches Lehngut. Erst nach dem Abstoßen dieser Völker-
scharen entwickelt der Norden seine eigenartige, zur Flächenfüllung bestimmte Tier-
ornamentik. Und da die Moslim wie die Germanen vom selben Zentrum empfangen,
so kann man auf den Kirchengeräten in Stein, den Kanzeln, Altären und Baptisterien
in Nord und Süd von Italien dieselben Ornamente ausgeführt finden, im Süden in der
farbenfreudigen Technik des Islam, im Norden in der das Steinrelief ungewohnten Art
der Barbaren. Nimmt man dazu, daß die Adria samt der gegenüberliegenden Küste
dauernde Einfallstore für die orientalische Kunst blieben, nicht nur das an sich orien-
talische Unteritalien oder Ravenna und später Venedig, so drängt sich die Vorstellung
eines orientalischen Italiens auf, die der Titel dieses Aufsatzes vorwegnimmt.
Freilich in den kunstgeschichtlichen Handbüchern findet man davon nichts, am
allerwenigsten bei Venturi, der doch im Material wühlt, wie kein zweiter vor ihm. Es
wird noch sehr lange dauern, bevor man sich an die neue Auffassung gewöhnen und
dem Glauben absagen wird, als wenn Italien, durchaus oder auch nur vorwiegend auf
Von Josef Strzygowski (Graz)
Die Aufdeckung von S. Maria antiqua ist zum Kristallisationspunkt für die vom
5.— 8. Jahrhundert auf römischem Boden nachweisbaren Denkmäler „byzantinischer"
Art geworden. Es handelte sidi dabei hauptsächlich um die Malerei. Neuerdings ist
nun die Erschließung des Schatzes Sancta Sanctorum dazu gekommen. Was im liber
pontificalis literarisch vor uns ausgebreitet wird, das läßt sich nun im Schrein
Leos III. mit Händen greifen. Und wie wir die Dinge nun Stück für Stück ans Tages-
licht ziehen, stellen sie sidi dar als orientalischer Provenienz, zumeist herstammend
aus den Allerwelts -Werkstätten von Jerusalem, die für jede Art von Pilger und Be-
steller arbeiteten, für Arme so gut wie für Reiche und Kirchenschätze. Wo bleibt denn
solchen Zeugen orientalischen Massenimportes gegenüber Rom selbst, seine eigene
Leistung auf dem Gebiete der bildenden Kunst in der zweiten Hälfte des ersten Jahr-
tausends? Ein neuer orientalischer Stoß kommt nach dem Beginn der folgenden
tausend Jahre, an deren Ende wir selbst leben, von Süden her, die Cosmaten sind
seine Träger. Was wir in ihren Hauptwerken, den Klosterhöfen von S. Giovanni in
Laterano und S. Paolo auf römischem Boden so fremdartig empfinden, das ist die
farbige Pracht der islamischen Welt. Von Sizilien wandert diese Art hinauf bis über
Rom hinaus, ein Vergleich des Klosterhofes von Monreale und seinem Brunneneinbau
mit dem Löwenhofe der Alhambra legt diese Beziehung ebenso nahe, wie ein Blick
auf die farbigen Steinintarsien in Sizilien selbst dann drüben in Kairo und der gesamten
islamischen Welt mit den bekannten Schöpfungen der Cosmaten.
Wie dieser Südstrom so hatte schon Jahrhunderte vorher ein Nordstrom Ele-
mente orientalischer Schmuckkunst über den italienischen Boden bis hinunter nach Rom
verbreitet, so daß die Fluten von Nord und Süd nacheinander gerade über der ewigen
Stadt zusammensdilagen. Denn was Goten und Longobarden aus dem Osten über
die Alpen mitbringen, der Goldschmuck mit Glasemail und allerhand plastische Ornamente,
ist zum guten Teil orientalisches Lehngut. Erst nach dem Abstoßen dieser Völker-
scharen entwickelt der Norden seine eigenartige, zur Flächenfüllung bestimmte Tier-
ornamentik. Und da die Moslim wie die Germanen vom selben Zentrum empfangen,
so kann man auf den Kirchengeräten in Stein, den Kanzeln, Altären und Baptisterien
in Nord und Süd von Italien dieselben Ornamente ausgeführt finden, im Süden in der
farbenfreudigen Technik des Islam, im Norden in der das Steinrelief ungewohnten Art
der Barbaren. Nimmt man dazu, daß die Adria samt der gegenüberliegenden Küste
dauernde Einfallstore für die orientalische Kunst blieben, nicht nur das an sich orien-
talische Unteritalien oder Ravenna und später Venedig, so drängt sich die Vorstellung
eines orientalischen Italiens auf, die der Titel dieses Aufsatzes vorwegnimmt.
Freilich in den kunstgeschichtlichen Handbüchern findet man davon nichts, am
allerwenigsten bei Venturi, der doch im Material wühlt, wie kein zweiter vor ihm. Es
wird noch sehr lange dauern, bevor man sich an die neue Auffassung gewöhnen und
dem Glauben absagen wird, als wenn Italien, durchaus oder auch nur vorwiegend auf