Strzygowski. Das orientalische Italien
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sich selbst gestellt, allmählich aus dem römischen Fahrwasser in das der Renaissance
hinübergeglitten wäre. Die dazwisdien liegende Zeit ist vielmehr für ganz Italien eine
orientalische, sie dauert hier länger als im Norden, wo das Orientalische sehr bald
den Dünger abgibt für die große germanische Bewegung der Gotik, die sich dann auf
italienischem Boden zur Renaissance umbildet. Denn auch diese, wie man gern an-
nimmt, spezifisch italienische Kunstblüte ist dem Keim nach von außen wachgerufen.
Ich will nun heute nicht von Kunstwerken reden, die im Gefolge der orien-
talischen Anregungen in Italien selbst entstanden sind, sondern von solchen, die man
für italienisch ausgibt, trotzdem sie fertig aus dem Orient importiert sind. S. Marco
in Venedig ist ja ein ganzes Museum dieser Art, über einzelne Stücke wie die Porphyr-
gruppen von zwei Männern in der Umarmung1) und die aus Acre herübergebrachten
Pfeiler antiochenischer Art habe ich schon an anderer Stelle gehandelt.2) Die einen
kommen aus der syro-ägyptischen, die andern aus der „hettitischen" Ecke, jener Länder-
gruppe, die, hinter Kleinasien liegend, Armenien, Mesopotamien und Nordsyrien um-
faßt. Auch heute möchte ich die Aufmerksamkeit auf zwei Denkmäler derselben
Provenienz lenken, auf die mesopotamischen Stukkaturen von Cividale und auf ein kop-
tisches Möbel in Terracina.
I. Die persisch-hellenistischen Stuckornamente von Cividale.
Die ungemein sauber ausgeführten Stuckornamente von S. Maria in Valle zu
Cividale sind allgemein als eine der reizvollsten Dekorationen Italiens bekannt. Im
Rahmen der italienischen Kunst sind sie nicht unterzubringen. Die Parallelen müssen
in weiter Ferne gesucht werden. An einem sehr abgelegenen Orte, dem syrischen
Kloster der sketischen Wüste, steht eine Kirche aufrecht, deren Allerheiligstes in ähn-
licher Art mit Stuckreliefs geschmückt ist. Ich habe darüber Oriens christianus I,
S. 356f berichtet. Merkwürdig ist, daß schon im Grundriß beider Kirchen wenigstens ein
verwandtes Motiv auftaucht. In Cividale muß auffallen die Art, wie der Chor gebildet
ist (Abb. 1 und 2)"). Statt mit der üblichen halbrunden Apsis schließt S. Maria in Valle
mit einer geraden Wand, vor die, durch Säulenstellungen getrennt, drei tonnengewölbte
Räume gelegt sind, der mittlere breiter als die beiden seitlichen. Auch die Marien-
kirche des Deir es-Surjäni zeigt diese Einteilung4), nur sind die drei ähnlich tiefen
Räume durch massive Mauern gesondert und mit Kuppeln gedeckt. Im Orient hat
diese Chorgliederung nichts Auffallendes, auf italienischem Boden aber wird sie sofort
als fremdartig empfunden. Ich möchte nicht versäumen, auf die Rolle hinzuweisen,
die („Kleinasien, ein Neuland der Kunstgeschichte", S. 211 f.) Mailand und Ober-
italien beim Übergang des gewölbten Kirchenbaues vom Morgen- nach dem Abend-
lande gespielt haben.
9 Beiträge zur alten Geschichte II (1902). S. 105 f.
, Oriens christianus I (1902) S. 421 f.
3) Abb. 1—3 nach Mitt. d. K. K. Centralkommission IV (1859) S. 323 f.
4) Vgl. den Grundriß bei Butler, The ancient coptic churches of Egypt, I, 321 und Gayet,
l'art copte 178.
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sich selbst gestellt, allmählich aus dem römischen Fahrwasser in das der Renaissance
hinübergeglitten wäre. Die dazwisdien liegende Zeit ist vielmehr für ganz Italien eine
orientalische, sie dauert hier länger als im Norden, wo das Orientalische sehr bald
den Dünger abgibt für die große germanische Bewegung der Gotik, die sich dann auf
italienischem Boden zur Renaissance umbildet. Denn auch diese, wie man gern an-
nimmt, spezifisch italienische Kunstblüte ist dem Keim nach von außen wachgerufen.
Ich will nun heute nicht von Kunstwerken reden, die im Gefolge der orien-
talischen Anregungen in Italien selbst entstanden sind, sondern von solchen, die man
für italienisch ausgibt, trotzdem sie fertig aus dem Orient importiert sind. S. Marco
in Venedig ist ja ein ganzes Museum dieser Art, über einzelne Stücke wie die Porphyr-
gruppen von zwei Männern in der Umarmung1) und die aus Acre herübergebrachten
Pfeiler antiochenischer Art habe ich schon an anderer Stelle gehandelt.2) Die einen
kommen aus der syro-ägyptischen, die andern aus der „hettitischen" Ecke, jener Länder-
gruppe, die, hinter Kleinasien liegend, Armenien, Mesopotamien und Nordsyrien um-
faßt. Auch heute möchte ich die Aufmerksamkeit auf zwei Denkmäler derselben
Provenienz lenken, auf die mesopotamischen Stukkaturen von Cividale und auf ein kop-
tisches Möbel in Terracina.
I. Die persisch-hellenistischen Stuckornamente von Cividale.
Die ungemein sauber ausgeführten Stuckornamente von S. Maria in Valle zu
Cividale sind allgemein als eine der reizvollsten Dekorationen Italiens bekannt. Im
Rahmen der italienischen Kunst sind sie nicht unterzubringen. Die Parallelen müssen
in weiter Ferne gesucht werden. An einem sehr abgelegenen Orte, dem syrischen
Kloster der sketischen Wüste, steht eine Kirche aufrecht, deren Allerheiligstes in ähn-
licher Art mit Stuckreliefs geschmückt ist. Ich habe darüber Oriens christianus I,
S. 356f berichtet. Merkwürdig ist, daß schon im Grundriß beider Kirchen wenigstens ein
verwandtes Motiv auftaucht. In Cividale muß auffallen die Art, wie der Chor gebildet
ist (Abb. 1 und 2)"). Statt mit der üblichen halbrunden Apsis schließt S. Maria in Valle
mit einer geraden Wand, vor die, durch Säulenstellungen getrennt, drei tonnengewölbte
Räume gelegt sind, der mittlere breiter als die beiden seitlichen. Auch die Marien-
kirche des Deir es-Surjäni zeigt diese Einteilung4), nur sind die drei ähnlich tiefen
Räume durch massive Mauern gesondert und mit Kuppeln gedeckt. Im Orient hat
diese Chorgliederung nichts Auffallendes, auf italienischem Boden aber wird sie sofort
als fremdartig empfunden. Ich möchte nicht versäumen, auf die Rolle hinzuweisen,
die („Kleinasien, ein Neuland der Kunstgeschichte", S. 211 f.) Mailand und Ober-
italien beim Übergang des gewölbten Kirchenbaues vom Morgen- nach dem Abend-
lande gespielt haben.
9 Beiträge zur alten Geschichte II (1902). S. 105 f.
, Oriens christianus I (1902) S. 421 f.
3) Abb. 1—3 nach Mitt. d. K. K. Centralkommission IV (1859) S. 323 f.
4) Vgl. den Grundriß bei Butler, The ancient coptic churches of Egypt, I, 321 und Gayet,
l'art copte 178.
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