Neuerwerbungen holländischer Gemäldegalerien
Von Kurt Freise (Haag)
Die Ankäufe der Galerien Hollands pflegen sich auf Werke der nationalen
Kunst zu beschränken und vollziehen sich meist in aller Stille. Nur im vergangenen
Jahre wurde durch das in Frage stehende Objekt und durch die für den Staat etwas
schwierigen Kaufsbedingungen die Sache schon vor Abschluß der Verhandlungen auch
in weiteren Kreisen besprochen. Zum Teil war das aber auch die Folge eines Miß-
verständnisses: daß man im Ausland nämlich zuerst glaubte, es handele sich um die
Erwerbung der ganzen Sammlung Six in Amsterdam durch den holländischen Staat.
Der wirkliche Sachverhalt über den Ankauf der 39 Gemälde der Sammlung Six-van
Vromade ist jetzt allgemein bekannt.
Im folgenden soll eine Übersicht über die Gemälde dieser Kollektion gegeben
und im Anschluß daran mögen auch die anderen Neuerwerbungen, sowohl des Rijks-
museums wie der übrigen Galerien Hollands, besprochen werden.
Das „Milchmädchen" von Jan Vermeer van Delft (Abb. 1) stand und steht
natürlich im Vordergrund des Interesses. Es passiert heute nicht mehr oft, daß Bilder von
seinem künstlerischen Werte und von einem Meister, dessen noch erhaltene Werke
sich fast an den Fingern abzählen lassen, überhaupt verkäuflich sind. Die Schätzung
dieser kleinen Leinwand bereitete daher keine geringen Schwierigkeiten. Die enorm
hohe Summe von rund 500 000 Gulden, die bezahlt wurde, erweckte bei vielen, die für
den materiellen Wert des Geldes ein durchschlagenderes Gefühl besitzen als für den ideellen
eines Kunstwerkes, Widerspruch. Und es gesellte sich dazu noch die Erwägung, ob
die Staatskasse einer so außergewöhnlichen Forderung ohne Benachteiligung anderer
Budgets gewachsen sei. Es wurde auch eingeworfen, daß zur Charakterisierung der
Kunst Vermeers die in Amsterdam und im Haag befindlichen Gemälde des Meisters
völlig ausreichten. Im vorliegenden Falle aber war diese mehr kunsthistorische Frage
erst in zweiter Linie zu berücksichtigen. Hier durfte und mußte gekauft werden, schon
aus dem einen Grunde, weil das Bild „schön" ist und weil es ganz unabhängig von
der Person seines Schöpfers — man kann wohl ohne Übertreibung sagen — Ewig-
keitswerte in sich birgt. Es geht von ihm ein seltsames Leben aus, das sich nicht
aus dem dargestellten Vorgang, dem einfachen Sujet erklärt, sondern allein aus dessen
künstlerischer Behandlung. Nur sie löst in dem Betrachter jene geheimnisvolle Wirkung
aus, schenkt einen so rein künstlerischen Genuß, der immer größer und nachhaltiger
wird, je mehr man sich in die Einzelheiten vertieft und sie in ihrer Bedeutung und
Wirkung gegenseitig und zum Ganzen abwägt. Man ahnt, fühlt, wie unendlich reich
ein äußerlich noch so unbedeutend erscheinendes Stück Leben sein kann, wenn ihm
ein sehender und empfindender Mensch gegenübersteht. Ist der zugleich Künstler,
so muß er sein Innerstes offenbaren und den anderen Menschen mitteilen. Ihm in
dieser schöpferischen Arbeit bis ans Ende folgen zu können, ist eine auch nicht leichte,
Von Kurt Freise (Haag)
Die Ankäufe der Galerien Hollands pflegen sich auf Werke der nationalen
Kunst zu beschränken und vollziehen sich meist in aller Stille. Nur im vergangenen
Jahre wurde durch das in Frage stehende Objekt und durch die für den Staat etwas
schwierigen Kaufsbedingungen die Sache schon vor Abschluß der Verhandlungen auch
in weiteren Kreisen besprochen. Zum Teil war das aber auch die Folge eines Miß-
verständnisses: daß man im Ausland nämlich zuerst glaubte, es handele sich um die
Erwerbung der ganzen Sammlung Six in Amsterdam durch den holländischen Staat.
Der wirkliche Sachverhalt über den Ankauf der 39 Gemälde der Sammlung Six-van
Vromade ist jetzt allgemein bekannt.
Im folgenden soll eine Übersicht über die Gemälde dieser Kollektion gegeben
und im Anschluß daran mögen auch die anderen Neuerwerbungen, sowohl des Rijks-
museums wie der übrigen Galerien Hollands, besprochen werden.
Das „Milchmädchen" von Jan Vermeer van Delft (Abb. 1) stand und steht
natürlich im Vordergrund des Interesses. Es passiert heute nicht mehr oft, daß Bilder von
seinem künstlerischen Werte und von einem Meister, dessen noch erhaltene Werke
sich fast an den Fingern abzählen lassen, überhaupt verkäuflich sind. Die Schätzung
dieser kleinen Leinwand bereitete daher keine geringen Schwierigkeiten. Die enorm
hohe Summe von rund 500 000 Gulden, die bezahlt wurde, erweckte bei vielen, die für
den materiellen Wert des Geldes ein durchschlagenderes Gefühl besitzen als für den ideellen
eines Kunstwerkes, Widerspruch. Und es gesellte sich dazu noch die Erwägung, ob
die Staatskasse einer so außergewöhnlichen Forderung ohne Benachteiligung anderer
Budgets gewachsen sei. Es wurde auch eingeworfen, daß zur Charakterisierung der
Kunst Vermeers die in Amsterdam und im Haag befindlichen Gemälde des Meisters
völlig ausreichten. Im vorliegenden Falle aber war diese mehr kunsthistorische Frage
erst in zweiter Linie zu berücksichtigen. Hier durfte und mußte gekauft werden, schon
aus dem einen Grunde, weil das Bild „schön" ist und weil es ganz unabhängig von
der Person seines Schöpfers — man kann wohl ohne Übertreibung sagen — Ewig-
keitswerte in sich birgt. Es geht von ihm ein seltsames Leben aus, das sich nicht
aus dem dargestellten Vorgang, dem einfachen Sujet erklärt, sondern allein aus dessen
künstlerischer Behandlung. Nur sie löst in dem Betrachter jene geheimnisvolle Wirkung
aus, schenkt einen so rein künstlerischen Genuß, der immer größer und nachhaltiger
wird, je mehr man sich in die Einzelheiten vertieft und sie in ihrer Bedeutung und
Wirkung gegenseitig und zum Ganzen abwägt. Man ahnt, fühlt, wie unendlich reich
ein äußerlich noch so unbedeutend erscheinendes Stück Leben sein kann, wenn ihm
ein sehender und empfindender Mensch gegenübersteht. Ist der zugleich Künstler,
so muß er sein Innerstes offenbaren und den anderen Menschen mitteilen. Ihm in
dieser schöpferischen Arbeit bis ans Ende folgen zu können, ist eine auch nicht leichte,