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Monatshefte für Kunstwissenschaft
Richard Hamann. Der Impressionis-
mus in Leben und Kunst. (Mit 16 Ab-
bildungen und zahlreichen Notenbeispielen. Köln.
M. Dumont-Schaubergsche Buchhandlung 1907.)
Richard Hamann, dem wir die feinfühlige
Interpretation Rembrandt'scher Radierungen ver-
danken, tritt mit einem neuen großangelegten,
aber vielleicht etwas zu eilig geschriebenen
Werk an die Öffentlichkeit, in dem er eine
weitgehende Analyse des impressionistischen
Charakters der modernen Kultur gibt. Daß H.
selbst schon in einer neuen Empfindungswelt
lebt, die über den Impressionismus hinaus zu
einer neuen Klassik strebt, erlaubt ihm, auf den
Seelenzustand der Allgemeinheit schon aus der
Vogelperspektive herabzuschauen. Das gibt dem
Werk einen symptomatischen Charakter, der
vielleicht das Wertvollste an diesem an Werten
nicht armen Buch ist. Mit der Feststellung dieser
Distanz ist schon gesagt, daß Hamann weniger
eine liebevolle Interpretation, als vielmehr eine
kalte verstandesklare Analyse des Impressionis-
mus gibt, die oft geradezu wie eine ernüchterte
Abrechnung mit einer überwundenen Entwick-
lungsstufe anmutet. Da wir eine liebevolle
Interpretation in Karl Schefflers Liebermannbuch,
das er zu einer verständnisinnigen Psychologie
des Impressionismus erweiterte, schon besitzen,
können wir uns unbesorgt dem Reiz der Ha-
mann'schen Distanzstellung hingeben.
Mit dem Schlagwort Impressionismus ist für
H. der spezifische Modus modernen Seelenlebens
getroffen, der sich auf allen Gebieten des Lebens
und der Kunst in gleicher Weise äußert und
mit dem von Lamprecht geprägten Begriff der
„Reizsamkeit" identisch ist. Das Wesen des
Impressionismus läßt sich nicht in einer kurzen
Formel erschöpfen und es gibt keinen anderen
Weg ihm nahezukommen, als allen Erscheinungs-
formen moderner Kultur nachzugehen und ihre
gemeinsamen Grundzüge aufzuspüren. Denn
was wir den Stil einer Zeit nennen, ist ein
Phänomen vonlückenlos organischem Zusammen-
hang, in dem jeder Teil den anderen bedingt
und mit ihm in Wechselwirkung steht. Mit ge-
schickten Fingern geht H. dieser organischen
Verknüpftheit aller modernen Lebenserschei-
nungen nach und stellt sie unter eine einheit-
liche Beleuchtung, die zwar grell und aufdring-
lich ist und mit ihrer scharfen Schattengebung
das unendlich differenzierte Clairobskur kultur-
historischen Geschehens zu einer mageren
Schwarzweißzeichnung vergröbert — Nachteile,
die jedes analytische Verfahren mit sich bringt
— aber unsere kulturelle Selbsterkenntnis in
einer Weise bereichert, daß wir sie um keinen
Preis missen möchten. Schon allein das Ver-
gnügen einen so erstaunlichen auf allen Gebieten
beschlagenen, von einer überraschenden Belesen-
heit unterstützten Geist sich produzieren zu
sehen, entschädigt für das leise Gefühl des Ver-
gewaltigtwerdens, das wir dieser scharfen Sonde
gegenüber unwillkürlich empfinden.
Das Schlagwort Impressionismus war bisher
nur in der Malerei gebräuchlich. Daß dieses
Charakteristikum moderner Malerei nun ohne
Zwang auf das gesamte Kulturgeschehen der
Zeit ausgedehnt werden kann, beweist, wie
sehr die Malerei das gegebene Äußerungsmittel
modernen Empfindens und damit die eigentliche
Kunst unserer Tage ist. In klarer Erkenntnis
dieses paradigmatischen Charakters der modernen
Malerei widmet ihr H. das erste Kapitel seiner
Analyse. Den entscheidenden Wesenszug des
malerischen Impressionismus sieht H. in der Be-
schränkung der künstlerischen Wiedergabe auf
das unmittelbare vom Auge aufgenommene und
weitergeleitete Erlebnis. Alle Formandeutungen,
die über die optische Wahrnehmbarkeit hinaus
an Tastvorstellungen appellieren, alle Eindrücke,
die der Ergänzung durch vorausliegende Er-
fahrungsmomente bedürfen, werden ausge-
schaltet, jeder verknüpfenden und verarbeiten-
den geistigen Funktion wird der Boden ent-
zogen. „Die Wirkung dessen zu steigern, was
übrig bleibt, wenn man die intellektuellen Be-
ziehungen ausschaltet, darin sieht der Impres-
sionismus seine eigentümliche Schönheit." (S. 37.)
Die aktive formgebende Zeichnung wird ersetzt
durch eine formenauflösende malerische Ge-
staltung, die all ihre Kräfte aus der passiven
Empfänglichkeit des Auges zieht. Meines Er-
achtens hätte H. hier, um einer mißverstehenden
Auffassung Fernstehender vorzubeugen, an der
Frage nicht vorübergehen dürfen, welche Modi-
fikation die Synthese zwischen Natureindruck
und Abstraktion, dieses Grundproblem jedes
Stils, im Impressionismus gefunden hat. Denn
die Tatsache, daß der Natureindruck durch das
von jeder Trübung gereinigte Medium des
Augenerlebnisses reproduziert wird, hätte
höchstens einen verfeinerten und geläuterten
Naturalismus geschaffen, erst die parallele Be-
wegung, daß die Mittel der künstlerischen Dar-
stellung den letzten Rest von Dienstbarkeit dem
darzustellenden Objekt gegenüber aufgaben und
zum Selbstzweck wurden, machte aus diesem
Naturalismus einen großen in sich notwendigen
Stil. Indem das Objekt endgültig in dem
höheren Leben der Darstellungsmittel oft bis
zur Unerkenntlichkeit aufging, war eine Ab-
straktion, eine Symbolik des Dargestellten er-
reicht, die das Erleben des Kunstwerks in eine
ganz andere Sphäre verlegte als das Erleben
Monatshefte für Kunstwissenschaft
Richard Hamann. Der Impressionis-
mus in Leben und Kunst. (Mit 16 Ab-
bildungen und zahlreichen Notenbeispielen. Köln.
M. Dumont-Schaubergsche Buchhandlung 1907.)
Richard Hamann, dem wir die feinfühlige
Interpretation Rembrandt'scher Radierungen ver-
danken, tritt mit einem neuen großangelegten,
aber vielleicht etwas zu eilig geschriebenen
Werk an die Öffentlichkeit, in dem er eine
weitgehende Analyse des impressionistischen
Charakters der modernen Kultur gibt. Daß H.
selbst schon in einer neuen Empfindungswelt
lebt, die über den Impressionismus hinaus zu
einer neuen Klassik strebt, erlaubt ihm, auf den
Seelenzustand der Allgemeinheit schon aus der
Vogelperspektive herabzuschauen. Das gibt dem
Werk einen symptomatischen Charakter, der
vielleicht das Wertvollste an diesem an Werten
nicht armen Buch ist. Mit der Feststellung dieser
Distanz ist schon gesagt, daß Hamann weniger
eine liebevolle Interpretation, als vielmehr eine
kalte verstandesklare Analyse des Impressionis-
mus gibt, die oft geradezu wie eine ernüchterte
Abrechnung mit einer überwundenen Entwick-
lungsstufe anmutet. Da wir eine liebevolle
Interpretation in Karl Schefflers Liebermannbuch,
das er zu einer verständnisinnigen Psychologie
des Impressionismus erweiterte, schon besitzen,
können wir uns unbesorgt dem Reiz der Ha-
mann'schen Distanzstellung hingeben.
Mit dem Schlagwort Impressionismus ist für
H. der spezifische Modus modernen Seelenlebens
getroffen, der sich auf allen Gebieten des Lebens
und der Kunst in gleicher Weise äußert und
mit dem von Lamprecht geprägten Begriff der
„Reizsamkeit" identisch ist. Das Wesen des
Impressionismus läßt sich nicht in einer kurzen
Formel erschöpfen und es gibt keinen anderen
Weg ihm nahezukommen, als allen Erscheinungs-
formen moderner Kultur nachzugehen und ihre
gemeinsamen Grundzüge aufzuspüren. Denn
was wir den Stil einer Zeit nennen, ist ein
Phänomen vonlückenlos organischem Zusammen-
hang, in dem jeder Teil den anderen bedingt
und mit ihm in Wechselwirkung steht. Mit ge-
schickten Fingern geht H. dieser organischen
Verknüpftheit aller modernen Lebenserschei-
nungen nach und stellt sie unter eine einheit-
liche Beleuchtung, die zwar grell und aufdring-
lich ist und mit ihrer scharfen Schattengebung
das unendlich differenzierte Clairobskur kultur-
historischen Geschehens zu einer mageren
Schwarzweißzeichnung vergröbert — Nachteile,
die jedes analytische Verfahren mit sich bringt
— aber unsere kulturelle Selbsterkenntnis in
einer Weise bereichert, daß wir sie um keinen
Preis missen möchten. Schon allein das Ver-
gnügen einen so erstaunlichen auf allen Gebieten
beschlagenen, von einer überraschenden Belesen-
heit unterstützten Geist sich produzieren zu
sehen, entschädigt für das leise Gefühl des Ver-
gewaltigtwerdens, das wir dieser scharfen Sonde
gegenüber unwillkürlich empfinden.
Das Schlagwort Impressionismus war bisher
nur in der Malerei gebräuchlich. Daß dieses
Charakteristikum moderner Malerei nun ohne
Zwang auf das gesamte Kulturgeschehen der
Zeit ausgedehnt werden kann, beweist, wie
sehr die Malerei das gegebene Äußerungsmittel
modernen Empfindens und damit die eigentliche
Kunst unserer Tage ist. In klarer Erkenntnis
dieses paradigmatischen Charakters der modernen
Malerei widmet ihr H. das erste Kapitel seiner
Analyse. Den entscheidenden Wesenszug des
malerischen Impressionismus sieht H. in der Be-
schränkung der künstlerischen Wiedergabe auf
das unmittelbare vom Auge aufgenommene und
weitergeleitete Erlebnis. Alle Formandeutungen,
die über die optische Wahrnehmbarkeit hinaus
an Tastvorstellungen appellieren, alle Eindrücke,
die der Ergänzung durch vorausliegende Er-
fahrungsmomente bedürfen, werden ausge-
schaltet, jeder verknüpfenden und verarbeiten-
den geistigen Funktion wird der Boden ent-
zogen. „Die Wirkung dessen zu steigern, was
übrig bleibt, wenn man die intellektuellen Be-
ziehungen ausschaltet, darin sieht der Impres-
sionismus seine eigentümliche Schönheit." (S. 37.)
Die aktive formgebende Zeichnung wird ersetzt
durch eine formenauflösende malerische Ge-
staltung, die all ihre Kräfte aus der passiven
Empfänglichkeit des Auges zieht. Meines Er-
achtens hätte H. hier, um einer mißverstehenden
Auffassung Fernstehender vorzubeugen, an der
Frage nicht vorübergehen dürfen, welche Modi-
fikation die Synthese zwischen Natureindruck
und Abstraktion, dieses Grundproblem jedes
Stils, im Impressionismus gefunden hat. Denn
die Tatsache, daß der Natureindruck durch das
von jeder Trübung gereinigte Medium des
Augenerlebnisses reproduziert wird, hätte
höchstens einen verfeinerten und geläuterten
Naturalismus geschaffen, erst die parallele Be-
wegung, daß die Mittel der künstlerischen Dar-
stellung den letzten Rest von Dienstbarkeit dem
darzustellenden Objekt gegenüber aufgaben und
zum Selbstzweck wurden, machte aus diesem
Naturalismus einen großen in sich notwendigen
Stil. Indem das Objekt endgültig in dem
höheren Leben der Darstellungsmittel oft bis
zur Unerkenntlichkeit aufging, war eine Ab-
straktion, eine Symbolik des Dargestellten er-
reicht, die das Erleben des Kunstwerks in eine
ganz andere Sphäre verlegte als das Erleben