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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

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Heft 6
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.70400#0562
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554 Monatshefte für Kunstwissenschaft

Stellung von Porträts veranstaltet, die diesmal
die Periode von 1830 bis heute umfaßt. Die Aus-
Stellung ist nicht so gelungen wie die früheren:
sie ermangelt der Einheit. Historisch war es
nicht richtig, einen so breitenZeitraum umspannen
zu wollen, so fehlen wichtige Persönlidikeiten
und andere hätten wir unschwer entbehrt.
Künstlerisch fehlt erst recht die Einheit. Be-
sonders die moderne Gruppe ist arg zu-
sammengewürfelt und enthält zahlreiche un-
interessante und unsympathische Stücke. Es
wäre wünschenswert, daß künftige Retrospek-
tiven auf eine engere Zeit beschränkt und sorg-
fältiger gewählt werden. Die diesjährige Aus-
stellung interessiert zunächst durch die Werke
Ingres und seiner Schule, über die wir an
anderer Stelle sprechen werden. Die elegante
Porträtmalerei der fünfziger und sechziger Jahre
zeigt sich in ihrem Virtuosentum mit all seinen
Schwächen und Niedlichkeiten in den Werken
Winterhalters, Dubufes, Jalaberts u. a. m. Eine
Offenbarung ist das entzückende Damenporträt
von L. G. Isabey aus dem Besitze des Herrn
de Massary. Das ist mit einer herzerfreuenden
Frische der Auffassung, leicht, graziös und har-
monisch heruntergemalt. Von großem Interesse
ist die schöne Serie der Porträtbüsten von
Carpeaux. Unter den modernen Werken ragt
ein vorzüglicher, diskreter und psychologisch
feinfühliger Verlaine von Aman Jean hervor,
ein ausgezeichnetes Porträt, auch ein frühes
Porträt von Blanche gefällt. Roll dagegen wirkt
banal, Boldini unausstehlich.
An Ausstellungen moderner Kunst fehlt es
nicht. Großen Zulauf hat wiederum der von
dem Witzblatt „Le Rire" veranstaltete Salon
des Humouristes gehabt. Inwieweit die künst-
lerische Qualität der ausgestellten Werke zu
diesem Erfolge mitgeholfen hat, wird schwer zu
entscheiden sein. Immerhin haben die Organi-
satoren das Verdienst gehabt, eine interessante
retrospektive Sektion der englischen Karikatur
und eine Ausstellung von Werken Gustave
Dores zusammengebracht zu haben. Unter den
Modernen waren alle bekannten französischen
Karikaturisten und neben ihnen allzuviele Un-
bekannte reichlich vertreten. Bei Durand-Ruel
sind Landschaften von Monet und Renoir aus-
gestellt. Von ganz besonderem Reiz waren die
letzteren. Renoirs Landschaften gelten vielfach
für eine Liebhaberei des Porträtisten, aber ge-
rade in ihnen finden wir, in dieser seltsamen
irisierenden Technik all die weibliche sensitive
liebevolle Feinheit des großen Bildnismalers
wieder. Druet hat Werke von Herrmann Paul
und dem talentvollen belgischen Koloristen
Georges Lemmen ausgestellt. Bei den Bern-

heims sind kraftvolle norwegische Landschaften
von Edward Diriks zu sehen. Hebrard ver-
einigte bei sich eine Kollektion Bronzen von
TroubetzkoT.
Für den Kunsthistoriker von großem Inter-
esse war die von der Societe St. Jean veran-
staltete Ausstellung von Schülern Ingres.
Es ist sehr bemerkenswert, daß gleich zwei
Ausstellungen zur selben Zeit auf diese Künst-
lergruppe hinweisen, die in den vierziger und
fünfziger Jahren zahlreiche Kirchen in Paris und
in der Provinz, besonders in Lyon, ausmalte.
Der Maler Maurice Denis hat in einer Serie
von Aufsätzen im „Occident" darauf hingewiesen,
inwieweit diese heute fast vergessene Schule
Vorläufer Puvis de Chavannes und mancher mo-
derner dekorativer Bestrebungen war. Wir
werden demnächst in einer kurzen Skizze auf
diese historisch so bemerkenswerte Bewegung
zurückkommen, die in Mottez, Flandrin, Janmot
Henry Lehmann und Amaury Duval ihre wich-
tigsten Vertreter hatte.
Eine große Überraschung bildete die vom
Musee des Arts Decoratifs organisierte Aus-
stellung der Kunst des Theaters. Die äußerst
rührige Direktion dieses Museums, dessen Kon-
servator Herr Louis Metmann ist, hat in frühe-
ren Jahren eine Reihe sehr bemerkenswerter
Spezialausstellungen veranstaltet. Die jetzige
bringt in ungefähr 2000 Nummern alles zu-
sammen, was in Pariser Privatsammlungen
über Kunst und Theater aufzutreiben war: die
kostbare Sammlung Sambon, die alles zu ver-
einigen sucht, was auf das antike Theater Be-
zug hat: antike Skulpturen, Vasenmalereien,
Terrakotten, Bronzestatuetten mit einschlägigen
Darstellungen, Theatermasken, Theater- und
Zirkusmarken usw. Dann folgt eine mehrere
hundert Nummern umfassende Sammlung von
Ölbildern, Zeichnungen und Gouachen, die auf
das Theater Bezug haben, meist Schauspieler-
porträts, unter denen die ersten Meister des
XVIII. und XIX. Jahrhunderts vertreten sind.
Hervorzuheben ist der wundervolle Berlioz von
Courbet, ein wertvolles Gegenstück zu dem
Meisterwerk Daumiers. Unter den Skulpturen
entzücken besonders die Bronzestatuetten von
Schauspielerinnen und Tänzerinnen aus der Zeit
von 1830—1860. Eine reiche Sammlung von
Theaterdekorationsmodellen, von Marionetten,
Puppen und meist die Gestalten der Commedia
dell' arte darstellenden Porzellanfiguren undHun-
derte von Kupferstichen runden diese Ausstel-
lung zu der vollständigsten Vorführung ab, die
wohl je über die Geschichte des Theaters ge-
boten wurde.
Bei Georges Petit wurde unter dem Vorsitze
 
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