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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

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Heft 1/2
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Steinmann, Ernst: Zur Ikonographie Michelangelos
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https://doi.org/10.11588/diglit.70400#0058
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Monatshefte für Kunstwissenschaft

So hat Jacopo del Conte in diesem Römischen Oratorium der Misericordia
von Florenz nidit nur dem größten Florentiner in Rom, sondern auch dem Bruder
von San Giovanni Decollato ein Denkmal gesetzt. Und dies Porträt, welches del Conte
mit so viel Sorgfalt und so viel Takt gemalt hat, in dem er aus den ehrwürdigen Zügen
Buonarrotis die Spuren der Freveltat Torriggianis verdrängte, hat vielleicht den Anlaß
gegeben, daß der Meister seinem jungen Landsmanne auch zu jenem Gemälde saß,
von welchem Vasari zu berichten weiß. Oder sollte gar Vasaris ganz allgemeine
Angabe nur auf der Tatsache beruhen, daß Michelangelo von del Conte in S. Giovanni
Decollato porträtiert worden ist? Bekanntlich haßte Buonarroti es ja, Bildnisse zu
malen und selbst porträtiert zu werden. Nur seinen vertrautesten Freunden gelang es,
ihn für Sitzungen zu gewinnen. So entstanden Bugiardinis Gemälde, Leone Leonis
Medaille und Wachsmodell und endlich die in zahlreichen Nachbildungen bekannte
Büste des Daniello da Volterra.
*
Besonders günstigen Umständen verdanke ich die Möglichkeit, im Anhänge
dieser Studie noch zwei Ölporträts Michelangelos veröffentlichen zu können, die in
zwei glänzenden Privatversammlungen in Paris und London bewahrt werden. In der
Juli-Nummer 1907 der Zeitschrift „Les Arts" publizierte Baron Joseph du Teil zum
erstenmal die Schätze der Sammlung Chaix d'Est-Ange in Paris. Ein unediertes Por-
trät Michelangelos durfte auf die allgemeinste Aufmerksamkeit Anspruch erheben, und
so erbat und erhielt ich die Erlaubnis, das merkwürdige Bildnis auch in einer deutschen
Kunstzeitschrift publizieren zu dürfen. [Abb. 3.] Da ich noch keine Gelegenheit fand, das
Original dieses Porträts in Paris zu sehen, so muß ich mich im wesentlichen darauf
beschränken, in Kürze die Angaben zu wiederholen, die mir Baron du Teil mit größter
Liebenswürdigkeit über die Herkunft des Gemäldes gemacht hat. Er hat dieselben
größtenteils schon selbst in der genannten Nummer von „Les Arts" publiziert. Das
Gemälde wurde von dem Baron Alquier i. J. 1801 in Florenz erworben und gelangte
nach seinem Tode im Dezember 1836 in die Sammlung Chaix d'Est-Ange. Schon
i. J. 1823 hatte Wicar dies Gemälde für das schönste ihm bekannte Porträt Michel-
angelos erklärt, und nicht weniger enthusiastisch lautete das Urteil Ingres' über das-
selbe: „Portrait chef-d'ceuvre, en effet parti de la main de ce colosse de genie! portrait
vivant de ses mceurs, histoire tout entiere de l'art!" Das Porträt wurde, wie Baron du
Teil ermittelt hat, zweimal gestochen, i. J. 1812 von J. G. Potrelle, i. J. 1846 von Alphonse
Francois.
Sehr merkwürdig sind die Pentimenti, welche man auch auf der Photographie
auf dem unausgeführten Teil des Gemäldes entdecken kann. Dort wo man den rechten
Arm Michelangelos sucht, auf der linken Seite des Gemäldes, erkennt man deutlich die
Beine eines Knaben und die Hände, welche ihn halten. Der Kopf eines bärtigen
Heiligen rechts neben dem Kopf Michelangelos ist, wie mir Baron du Teil versicherte,
deutlich im Profil zu erkennen, aber in der Reproduktion nicht sichtbar. Das Porträt
Michelangelos ist also auf eine Holzplatte gemalt, die ursprünglich für ein Madonnen-
bild bestimmt war.
 
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