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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

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Heft 1/2
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Studien und Forschungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.70400#0067
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Studien und Forschungen

59

ZU DEN HILANDERAS DES
VELASQUES
Wer zu öfteren Malen in dem Velasquez-
saale des Prado geweilt hat, wird die Bemer-
kung gemacht haben, wie geringer Gunst beim
Publikum sich das Bild der Hilanderas erfreut,
trotz der zwei Sterne im Bädeker und trotz
einer Berühmtheit, die der der Aleninas nur
wenig nachsteht. Es ist nicht die Art der Auf-
stellung allein, das gesonderte Kabinett der
Aleninas, das Neugierige und Ruhebedürftige
in gleicher Weise anzieht, im Gegensatz zu
der Einreihung in dem großen Saale, die die
Hilanderas sich gefallen lassen müssen. Auch
die Übergabe von Breda hängt hier, und das
Bild hat noch nie seine Wirkung verfehlt.
Die künstlerische Absicht der Hilanderas
geht auf die starke Gegensatzwirkung des vor-
deren halbbeleuchteten Arbeitsraumes zu dem
rückwärtigen, sonnendurchfluteten Raume, in
dem vornehme Damen die Teppiche betrachten.
Durch Nacht zum Licht. Was in trübem Dun-
kel geschaffen, wird in hellem Lichte genossen.
Die Tendenz ist deutlich genug. Aber es bleibt
ein Nebeneinander. Ein eigentlicher Gesamt-
eindruck kommt nicht zustande. Die mächtige
Bewegung der Arbeit spricht nicht als solche.
Der Sonnenstrahl im rückwärtigen Raume will
nicht leuchten, und es bleibt dort hinten eine
peinliche Unklarheit in den räumlichen Ver-
hältnissen und im Nebeneinander des Wirk-
lichen und Unwirklichen.
Man wird dieses Urteil von unbefangenen
Betrachtern immer von neuem bestätigt hören.
Und der Schlüssel, der die Lösung des Unbe-
friedigenden gibt, ist, wenn man sich über
dieses selbst nur erst klar ist, unschwer ge-
funden. Das Bild ist — wie auch an jeder
Photographie leicht zu sehen — stark angestückt,
jederseits ist ein Streifen und zumal oben ein
breites Stück hinzugekommen. Oben verläuft
der Schnitt genau horizontal durch das obere
Ende der Leiter, die an der Rückwand lehnt,
links fällt der Vorhang beinahe ganz fort, in
dem die Arme der Seitwärtsgreifenden ver-
schwinden, rechts bleibt von der Dienerin, die
den Korb hereinbringt, nur eben Kopf und Arm.
Diese auffällige Tatsache konnte natürlich
nicht unbemerkt bleiben. Beruete erwähnt sie
und fügt hinzu: Einige nehmen an, daß das
Originalgemälde nur den Mittelteil umfaßte.
Aber damit geht der perspektivische Effekt
verloren, und es bleibt weniger Raum über den
Figuren, als ihn Velasquez in seiner letzten
Zeit liebte. Beruete scheint sich hier auf münd-
liche Äußerungen zu beziehen, da er kein Zitat

gibt. Auch in der einschlägigen Literatur ist es
mir bisher nicht gelungen, eine solche Andeu-
tung zu finden. Und doch enthält die von
Beruete kurz verworfene Ansicht sicherlich einen
richtigen Kern.
So ungewohnt es auf den ersten Blick
scheinen mag, deckt man die angesetzten Teile
ab, so wird man erstaunen, wie das Bild plötz-
lich lebendig wird. Es kommt Rhythmus und
starke Bewegung in die Gruppen der arbeiten-
den Frauen vorn, auch der rückwärtige Raum
wird durchsichtiger, klarer, und vor allem be-
kommt der Sonnenstrahl jetzt erst Helligkeit
und Leuchtkraft.
Man verlasse sich nicht auf eine Nachprüfung
an der Photographie, man muß es vor dem
Original selbst erlebt haben, wie das, was vor-
her stumpf schien, nun strahlend und farbig
wird. Man kann bei jedem Kopisten das
Streben beobachten, das Bild zu verbessern,
hier oben durch irgend ein Mittel der Wirkung
aufzuhelfen. Man sehe nur, wie in dem Holz-
schnitt, der Justis Buch beigegeben ist, nicht
nur die Tonwerte verschoben sind, sondern auch
der Sonnenstrahl selbst höher hinaufgezogen
ist, während er im Original bemerkenswerter-
weise genau in der Höhe der Schnittlinie ab-
setzt.
Was man auch an der Photographie nach-
zuprüfen vermag, ist die ganz andere Art der
Raumfüllung, die sich durch Ausschaltung der
angesetzten Streifen ergibt. Alles wird voller,
gedrängter, und den in engen Linien gefaßten
Figuren wohnt eine andere Spannkraft inne.
Nirgends bleibt die Fläche unbesetzt, Vorhang
und Leiter zur Linken, das schwere Bündel an
der Wand über dem Kopfe der Garnwicklerin
rechts, in der Mitte der Einblick in den hellen,
farbigen Raum. Das einzige Motiv des großen
Rundbogens, das der Beweglichkeit des surren-
den Rades unten durch Wiederholung der Form
mehr schadet als nützt, ist alles, was hinzu-
kommt. Sonst bleibt der obere Streifen un-
besetzt in auffälligem Gegensatz zu der ge-
drängten Fülle unten. Auch an den Seiten ist
durch die Verbreiterung nur die Energie der
Bewegungen geschwächt, ganz abgesehen von
der empfindlichen Unklarheit, die zur Linken
entsteht.
Aber — so meint Beruete — es bleibt we-
niger Raum über den Figuren, als ihn Velas-
quez in seiner letzten Zeit liebte. Offenbar ist
an die Meninas gedacht. Auch Stevenson zieht
diesen Vergleich: „Auf beiden Bildern ver-
schwimmt der obere Teil im Dunkel, obwohl
das gewölbte Zimmer der Spinnerinnen nicht
 
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