Niederschlag, ist der Beitrag des Abendlandes für
die Stilbildung der neueren Malerei. Man braucht
nur die Parallel-Abbildungen in Fig. 32 zu sehen,
um von dieser Tatsache ergriffen zu werden. Das
plastische Formschema stellt Byzanz, das Abend-
land schafft die ausdrucksreiche Silhouette, in der
allein sich für den mittelalterlichen Maler indivi-
duelles Leben verkörpern ließ. Insofern gilt das,
was B. über den Zusammenhang der Fresken mit
den byzantinischen Vorbildern sagt, nur mit einer
gewichtigen Einschränkung: nur das allgemeine
Liniengerüst ist entlehnt, der besondere Linien-
zug ist selbständig. Die Linien besitzen ein
ganz anderes Leben als in Byzanz, sind freier im
Zug, ausdrucksvoll in ihrer Schwellung, sind Träger
eines persönlichen künstlerischen Gefühls. Daher
der stark persönliche Ausdruck der Gestalten, der
uns vor allem berührt. In den byzantinischen
Figurenreihen haben wir es stets mit demselben
Typ zu tun, die Abwandlungen betreffen nur das
Äußerliche. Hier aber werden Persönlichkeiten
vor uns hingestellt: Augustinus und Gregor, Bene-
dikt und Rupert, Sankt Oswald und Sankt Florian.
Dies ist nicht eine Besonderheit des Nonnberger
Malers, sondern er teilt diesen Zug, wie die Byzanti-
nismen, mit der gesamten Salzburger Kunst. Merk-
würdigerweise hat B. zum Vergleich mit den
Wandbildern alle die großen Hss. des XII. Jahr-
hunderts herangezogen bis auf eine: die Gumperts-
bibel in Erlangen. Und doch bietet grade sie die
meisten Analogien zu dem Zeichenstil der Wand-
gemälde, mehr als die Gebhardsbibel und mehr
als das Antiphonar; allerdings handelt es sich nicht
um Typenvergleichung, sondern um Vergleich der
zeichnerischen Qualität. Wer sich hineingelebt
hat in die schwellende Linienführung im Benedikt,
im Gregor und Florian, der wird den gleichen
Geist darin finden, wie in der Erlanger Handschrift,
die sich vor den anderen Erzeugnissen der Salz-
burger Schule durch die Fülle und die Differen-
ziertheit ihres Linienstils hervortut.
Wenn man diese Beziehungen weiter überdenkt,
so kommt man zu einigen Zweifeln, ob B. mit
den einleitenden Ausführungen über das Verhältnis
von Wand- und Buchmalerei im Mittelalter ganz
das richtige getroffen hat. Daß die Buchmalerei
bisher einseitig in den Vordergrund gerückt worden
ist, daß sie nicht die alleinige Trägerin der Ent-
wicklung in der mittelalterlichen Malerei war, ist
gewiß. Aber ob jederzeit die entscheidenden
Wandlungen des Stils sich in der Wandmalerei
vollzogen haben und dann erst von der Buch-
malerei aufgenommen worden sind, darüber ist
das letzte Wort noch nicht gesprochen. „Die Ge-
schichte der malerischen Probleme läßt sich nicht
in der Miniatur und im Tafelbilde, sondern einzig
und allein in der Großmalerei von der Antike bis
zur Barocke in einer Linie in ununterbrochener
Entwicklung verfolgen" sagte Buberl. — Und die
malerischen Probleme der Gotik, aus der die
neue Malerei im Norden unmittelbar herauswächst,
wo wurden sie gelöst? Diese einzige Frage be-
weist, daß jene Behauptung ohne weiteres nicht
gilt, vor allen Dingen nicht für die Kunst, um
die es sich hier handelt. Es muß ein Unterschied
gemacht werden zwischen antiker, byzantinischer
und karolingisch-ottonischer Malerei auf der einen
Seite und der romanisch-gotischen des Nordens
auf der anderen. Diese ist nicht monumentaler
Art. Sie hat keinen Bund mit der Architektur
geschlossen, darf darum auch nicht mit der Plastik
verglichen werden. Die Freskenzyklen erwachsen
nicht dem Gefüge des Raums, sondern drängen
ich in ihn hinein, wo irgend Flächen zur Auf-
nahme von Bildern sich finden, und sei es um
den Preis, in der Luft zu schweben, gewaltsam
eingezwängt in die Kappen der Kreuzgewölbe.
Und vor den Kompositionen dieser Wandgemälde
hat man stets das Gefühl, als seien sie müh-
sam hineingesteigert aus kleinem Format in den
großen Maßstab der Wand, ohne doch dehnbar
und gesättigt genug für ihn zu sein, wie ein
Dürerscher Holzschnitt, der in der vielfachen Ver-
größerung des Lichtbildes erst seine ganze Gewalt
offenbart. Ebensowenig monumental ist die Zeichen-
weise. Sie ist vielmehr durchaus graphischer
Natur. Vom XII. bis zum XVI. Jahrhundert ist
die Entwicklung der Malerei eine Entwicklung der
Linie aus abstrakt ornamentaler Haltung zur Durch-
dringung mit Leben, Ausdruck und Bewegung, zu
symbolischer Kraft. Diese Entwicklung konnte
sich aber nur in der Miniatur vollziehen. Es läßt
sich doch nicht leugnen, daß die Miniatur die
Führung hat bis zum Einsetzen des neuen Natura-
lismus, der den gesamten Komplex der Erschei-
nungswelt in zusammenhängendem malerischen
Bilde wiedergeben will. Wenn ca. 1420 das große
Tafelbild der Miniatur die Führung abnimmt, so
geschieht das nicht, weil man vordem keine Tafeln
malte oder von jetzt ab keine Handschriften mehr
illustrierte, sondern weil der neue Stil sich nur in
einem großen Maßstab ausprägen konnte — ebenso
wie er vordem an das kleine Format gebunden war.
Das Abendländische in den Nonnberger Fresken
ist eine Frucht der in der Miniatur erwachsenen
freien, flüssigen, differenzierten Zeichenweise, die
die strengen byzantinischen Typen, ohne ihre
Weihe zu zerstören, zu individuellen Gestalten
Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft 2,
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die Stilbildung der neueren Malerei. Man braucht
nur die Parallel-Abbildungen in Fig. 32 zu sehen,
um von dieser Tatsache ergriffen zu werden. Das
plastische Formschema stellt Byzanz, das Abend-
land schafft die ausdrucksreiche Silhouette, in der
allein sich für den mittelalterlichen Maler indivi-
duelles Leben verkörpern ließ. Insofern gilt das,
was B. über den Zusammenhang der Fresken mit
den byzantinischen Vorbildern sagt, nur mit einer
gewichtigen Einschränkung: nur das allgemeine
Liniengerüst ist entlehnt, der besondere Linien-
zug ist selbständig. Die Linien besitzen ein
ganz anderes Leben als in Byzanz, sind freier im
Zug, ausdrucksvoll in ihrer Schwellung, sind Träger
eines persönlichen künstlerischen Gefühls. Daher
der stark persönliche Ausdruck der Gestalten, der
uns vor allem berührt. In den byzantinischen
Figurenreihen haben wir es stets mit demselben
Typ zu tun, die Abwandlungen betreffen nur das
Äußerliche. Hier aber werden Persönlichkeiten
vor uns hingestellt: Augustinus und Gregor, Bene-
dikt und Rupert, Sankt Oswald und Sankt Florian.
Dies ist nicht eine Besonderheit des Nonnberger
Malers, sondern er teilt diesen Zug, wie die Byzanti-
nismen, mit der gesamten Salzburger Kunst. Merk-
würdigerweise hat B. zum Vergleich mit den
Wandbildern alle die großen Hss. des XII. Jahr-
hunderts herangezogen bis auf eine: die Gumperts-
bibel in Erlangen. Und doch bietet grade sie die
meisten Analogien zu dem Zeichenstil der Wand-
gemälde, mehr als die Gebhardsbibel und mehr
als das Antiphonar; allerdings handelt es sich nicht
um Typenvergleichung, sondern um Vergleich der
zeichnerischen Qualität. Wer sich hineingelebt
hat in die schwellende Linienführung im Benedikt,
im Gregor und Florian, der wird den gleichen
Geist darin finden, wie in der Erlanger Handschrift,
die sich vor den anderen Erzeugnissen der Salz-
burger Schule durch die Fülle und die Differen-
ziertheit ihres Linienstils hervortut.
Wenn man diese Beziehungen weiter überdenkt,
so kommt man zu einigen Zweifeln, ob B. mit
den einleitenden Ausführungen über das Verhältnis
von Wand- und Buchmalerei im Mittelalter ganz
das richtige getroffen hat. Daß die Buchmalerei
bisher einseitig in den Vordergrund gerückt worden
ist, daß sie nicht die alleinige Trägerin der Ent-
wicklung in der mittelalterlichen Malerei war, ist
gewiß. Aber ob jederzeit die entscheidenden
Wandlungen des Stils sich in der Wandmalerei
vollzogen haben und dann erst von der Buch-
malerei aufgenommen worden sind, darüber ist
das letzte Wort noch nicht gesprochen. „Die Ge-
schichte der malerischen Probleme läßt sich nicht
in der Miniatur und im Tafelbilde, sondern einzig
und allein in der Großmalerei von der Antike bis
zur Barocke in einer Linie in ununterbrochener
Entwicklung verfolgen" sagte Buberl. — Und die
malerischen Probleme der Gotik, aus der die
neue Malerei im Norden unmittelbar herauswächst,
wo wurden sie gelöst? Diese einzige Frage be-
weist, daß jene Behauptung ohne weiteres nicht
gilt, vor allen Dingen nicht für die Kunst, um
die es sich hier handelt. Es muß ein Unterschied
gemacht werden zwischen antiker, byzantinischer
und karolingisch-ottonischer Malerei auf der einen
Seite und der romanisch-gotischen des Nordens
auf der anderen. Diese ist nicht monumentaler
Art. Sie hat keinen Bund mit der Architektur
geschlossen, darf darum auch nicht mit der Plastik
verglichen werden. Die Freskenzyklen erwachsen
nicht dem Gefüge des Raums, sondern drängen
ich in ihn hinein, wo irgend Flächen zur Auf-
nahme von Bildern sich finden, und sei es um
den Preis, in der Luft zu schweben, gewaltsam
eingezwängt in die Kappen der Kreuzgewölbe.
Und vor den Kompositionen dieser Wandgemälde
hat man stets das Gefühl, als seien sie müh-
sam hineingesteigert aus kleinem Format in den
großen Maßstab der Wand, ohne doch dehnbar
und gesättigt genug für ihn zu sein, wie ein
Dürerscher Holzschnitt, der in der vielfachen Ver-
größerung des Lichtbildes erst seine ganze Gewalt
offenbart. Ebensowenig monumental ist die Zeichen-
weise. Sie ist vielmehr durchaus graphischer
Natur. Vom XII. bis zum XVI. Jahrhundert ist
die Entwicklung der Malerei eine Entwicklung der
Linie aus abstrakt ornamentaler Haltung zur Durch-
dringung mit Leben, Ausdruck und Bewegung, zu
symbolischer Kraft. Diese Entwicklung konnte
sich aber nur in der Miniatur vollziehen. Es läßt
sich doch nicht leugnen, daß die Miniatur die
Führung hat bis zum Einsetzen des neuen Natura-
lismus, der den gesamten Komplex der Erschei-
nungswelt in zusammenhängendem malerischen
Bilde wiedergeben will. Wenn ca. 1420 das große
Tafelbild der Miniatur die Führung abnimmt, so
geschieht das nicht, weil man vordem keine Tafeln
malte oder von jetzt ab keine Handschriften mehr
illustrierte, sondern weil der neue Stil sich nur in
einem großen Maßstab ausprägen konnte — ebenso
wie er vordem an das kleine Format gebunden war.
Das Abendländische in den Nonnberger Fresken
ist eine Frucht der in der Miniatur erwachsenen
freien, flüssigen, differenzierten Zeichenweise, die
die strengen byzantinischen Typen, ohne ihre
Weihe zu zerstören, zu individuellen Gestalten
Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft 2,
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