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Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur — 2.1906

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Drittes Heft (März 1906)
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Schapire, Rosa: [Rezension von: Johanna de Jongh, Die holländische Landschaftsmalerei. Ihre Entstehung und Entwicklung]
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https://doi.org/10.11588/diglit.50012#0058

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Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur.

März-Heft.

Die holländische Landschaft beginnt in
dem Augenblicke, wo das Gefühl für das Atmo-
sphärische, für Licht und Luft erwacht. Das ist
der leitende Gesichtspunkt der Verfasserin, und
der Erscheinung des Atmosphärischen spürt sie
vom 14. bis ins beginnende 17. Jahrhundert nach.
Hier liegt der trennende Punkt zwischen hollän-
discher und flämischer Landschaft: „mit Rücksicht
auf die Landschaft gibt es keine Niederlande, es
gibt nur ein Holland und ein Eiandern“, und weiter
heisst es noch viel schärfer: „die Anwesenheit der
Atmosphäre schliesst die Möglichkeit flämischen
Einflusses ein- für allemal aus“.
Die Verfasserin, die Privatdozentin an der
Utrechter Universität ist, begnügt sich mit dem
Registrieren von Daten und Tatsachen nicht; sie
forscht nach den Gesetzen, die für das Werden der
Landschaftsmalerei gelten, und fasst das Ergebnis
ihrer Untersuchungen in knappen Sätzen am
Schlüsse jedes Kapitels zusammen. Neben scharfem,
begrifflichem Denken eignet ihr ein feines, ästhe-
tisches Vermögen, und sie bringt Bilderanalysen
von ausserordentlicher Feinheit. Der Umschwung,
den die Kunstgeschichte in den letzten 20 Jahren
gemacht hat, ein Umschwung, der mit dem Namen
Justi und Wölfflin in Zusammenhang steht, zeigt
sich auch hier in erfreulicher Weise
Der Sinn für Landschaft erwacht, verglichen
mit dem Sinn für das Bildnis, relativ spät in bil-
dender Kunst*', selbst bei einem Volke, das so
eminent für Landschaft begabt ist, wie das hol-
ländische.
Zwei Faktoren sind ein Hemmschuh für die
Weiterentwicklung: die Kirche und der Akademis-
mus. „Wo es eine kirchliche Kunst gibt, welche
eine bestimmte Seite des Lebens und von ihr ab-
hängige Vorstellungen fordert, bewahrt die Land-
schaft immer ihren ursprünglichen accessorischen
Wert, entsteht für- sie nimmer die Möglichkeit,
sich loszureissen und selbständig zu entwickeln,
ebensowenig wo eine offizielle und akademische
Kunst ihr Gesetze und Formeln vorschreibt; da
wird die Landschaft ein unnatürlicher Auswuchs,
denn in ihrer Natürlichkeit kann sie für diese
Kunstgattung keine Bedeutung haben.“
Mit der profanen Kunst ist die Landschafts-
malerei aufs innigste verknüpft, und ihre höchste
Blüte erreicht sie in Holland erst im 17. Jahr-
hundert, in dem Augenblicke, wo die Kunst sich
*) Darauf hat auch Felix Posen „die Natur in
der Kunst“ (Leipzig 1903), der sich ein ganz an-
deres Ziel stellt, als J. de Jongh, in feinsinnigen
Untersuchungen hingewiesen Sein Name fehlt im
Buche.

von der Kirche emanzipiert hat. Ehre Anfänge
liegen weit zurück, da für die Holländer der Frei-
raum eine Bedeutung für sich beansprucht und
„als das Uebergeordnete und Primäre die mensch-
liche Figur in seine Einheit einbegreift“.*)
Keime der Landschaft enthalten die „dröleries“.
jene profanen Darstellungen, die wie ein Klang-
ans dem Alltag ihren Platz in den mit Miniaturen
geschmückten Gebetbüchern behaupten. „Sie hatten
das Leben in sich, weil sie selber das Leben waren.“
Da das holländische Handschriftenmaterial aus dem
XIV. Jahrhundert sehr grosse Lücken hat, weist
die Verf das Erwachen des Sinnes für Landschaft
an der flämischen „Bible historiee“ von 1372 (Mu-
seum Westreenianum, Haag) nach. Aus diesen
tastenden Versuchen entwickelt sich im 15. Jahr-
hundert in den Kalenderblättern der „Tres beiles
heures“ des Herzogs von Berry (1413) das hollän-
dische Leben, die holländische Landschaft zu ihrer
ganzen Fülle. Die Natur atmet im zitternden
Spiel der Atmosphäre, Mensch und Tier, weich
von Luft umflossen, sind im richtigen Verhältnis
zum Kaum gesehen, in dem sie sich bewegen, und
' die Vorliebe für das Breitformat der Bilder, das
für Holland bezeichnend ist — im Gegensatz zum
Hochformat der Flamen —, setzt hier schon ein.
Schlichte Natur ausschnitte, flaches Land, Wald
und Meer und Düne wie hier sollten in der hollän-
dischen Landschaft erst im XVII. Jahrhundert
wieder auftauchen. Im weiteren Verlauf des XV.
Jahrhunderts gelangt die Kunst immer mehr unter
die Botmässigkeit der Kirche, „die einen Aufbau
nach einer gegebenen Formel verlangt“; in Brügge
siegen die flämischen Elemente und holländische
Landschaftsauffassung erhält sich nur in der Haar-
lemer Provinzialschule. Die prinzipiellen Unter-
schiede zwischen holländischer und flämischer Land-
schaftsauffassung treten schon in jener frühen Zeit
klar zutage: „. . . in der holländischen (Schule)
existiert der- landschaftliche Hintergrund für sich
selbst, während die Figuren sich in ihm befinden
und die Handlung in ihm vorgeht, dergestalt, dass
ohne sie der Hintergrund Landschaft ist und bleibt,
dagegen in der flämischen Schule die Landschaft
um die Figur hin aufgebaut ist und bloss als Zu-
gabe erscheint, welche gleich zerfällt, wenn der
Kontakt mit den Figuren aufhört“.
Die Signatur des beginnenden XVI. Jahr-
hunderts ist Manierismus und Ausländerei; das
rächt sich an der Kunst, und es ist nicht die
Landschaftsmalerei allein, die zu Grunde geht. Ihr
Retter ward Lucas van Leyden, der sie wieder in
*) E. Freiherrr von Bodenhausen: Gerard
David und seine Schule. S. 55. München 1905.
 
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