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Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur — 2.1906

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Fünftes Heft (Mai 1906)
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Scherer, Christian: [Rezension von: Richard Graul, Das XVIII. Jahrhundert. Dekoration und Mobiliar]
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Schapire, Rosa: [Rezension von: Siegfried Levinstein, Kinderzeichnungen bis zum 14. Lebensjahr]
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https://doi.org/10.11588/diglit.50012#0100

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92

Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur.

Mai-Heft.

der Höhe der heutigen Reproduktionstechnik, da
manche der nötigen Schärfe entbehren, bei andern
dagegen der Massstab zu klein gewählt ist, sodass
sich das Detail nicht immer deutlich genug er-
kennen lässt. Indessen genügt die Mehrzahl für
den Zweck, eine nähere Illustrierung zu den
Worten des Textes zu bilden, vollkommen.
Christian Scherer
Kunsterziehung.
Siegfried Levinstein: Kinderzeichungen
bis zum 14. Lebensjahr. Mit Parallelen aus
der Urgeschichte, Kulturgeschichte und
Völkerkunde. Dazu 169 Figuren auf 85
Tafeln und 18 Tabellen im Text. Mit einem
Anhang von Dr. p hil. L. L. D. Karl Lamp-
recht, Kgl. Sächs. Geh. Hofrat und Pro-
fessor an der Universität Leipzig. R. Voigt-
länder’s Verlag in Leipzig 1905. Lex.-
Format VII, 119 und XIV S. Preis: brosch.
Mk. 10.—.
Kinderzeichnungen bis zum 14. Jahre hat
Levinstein in einer ausserordentlich interessanten
und anregenden Arbeit untersucht und seinem
Buche ein sehr anschauliches Abbildungs- und
Tabellenmaterial beigegeben. An den von ihm ge-
wonnenen Resultaten wird niemand vorübergehen
können, der sich mit dem Seelenleben des Kindes
wissenschaftlich befasst, oder sich die Krage vor-
legt, wie die Reform des Zeichenunterrichtes zu
gestalten ist, welche Bilderbücher für das Kind,
welcher Wandschmuck für das Kinderzimmer ge-
eignet sind. Seine „pädagogischen Konsequenzen“
sind nicht absolut neu, und nicht darin liegt der
Wert des Buches; er stützt sich hier an Hand
einer Fülle von Zitaten auf bewährte Vorbilder,
von denen nur Herbert Spencer und Liberty Tadd
genannt seien.
Neu ist der Nachweis, an dem nach dem ver-
öffentlichten, sehr geschickt zusammengestellten
Material nicht zu zweifeln ist, dass das Kind „in
dem kurzen Zeitraum von etwa 12 Jahren an-
deutungsweise die Entwicklung der Rasse durch-
macht“, dass seine Zeichnungen die Merkmale auf-
weisen, die für die der Naturvölker charakteristisch
sind.
Levinstein unterscheidet mit Hermann T.
Lukens drei Stadien in der Kinderzeichnung. Auf
die Periode des „Kritzelns“ folgt die der „lokalen
Anordnung“, die von der Periode des „einfachen
Umrisses“ abgelöst wird. Mit diesem wichtigen
Schritt hört der Zusatz bedeutungsloser Linien

rasch auf. Der „Mann“, den das Kind zeichnet,
besteht aus Kopf und Beinen, Körper und Füsse
treten sehr bald, die Arme erst relativ später hin-
zu — nur 95 % der 13jährigen Kinder haben ihren
„Mann“ mit Armen versehen —, Hals, Kopfhaar
und Bart (51 °/0) werden noch viel häufiger ver-
gessen. Wie Naturvölker bilden auch Kinder
Beine und Nase im Profil, während Rumpf, Augen
und Mund in voller Face gegeben sind. Der
Rumpf wird vom Kinde überhaupt am stief-
mütterlichsten behandelt und dient quasi nur
dazu, um Knöpfe anzubringen und Gliedmassen
anzuhängen. Dabei zeichnen Kinder wie Natur-
völker Menschen häufiger und besser als Tiere
und Pflanzen.
Die Parallele lässt sich weiter fortführen.
Auf Anregung des Verfassers wurden an säch-
sischen Schulen 4945 Zeichnungen von Knaben
und Mädchen im Alter von 6-14 Jahren zum
„Hans-Guck-in-die-Luft“ aus dem „Struwelpeter“
gesammelt. Auch hier lässt sich eine durchaus
gesetzmässige Entwicklung verfolgen. Auf die
erste Stufe der „Fragmentbilder“, in denen die
Kinder, ohne eine bestimmte Szene herauszugreifen,
sich damit begnügen, die wichtigsten Personen
und Requisiten der Geschichte nebeneinander zu
fixieren, folgt die Etappe der „Erzählungsbilder“, in
denen die Hauptmomente der Geschichte dargestellt
werden. Diese Gruppe wird im 12. und 13. Jahre
von den „Stimmungsbildern“ abgelöst; das Kind
greift nur eine einzelne Szene heraus, die ihm die
„Stimmung“ der Geschichte am prägnantesten ver-
körpert. — Für jeden, der sich mit Franz Wick-
hoff’s geistreichen Unterscheidungen der „kom-
pletierenden“, „kontinuierenden“ und “distingu-
ierenden“ D ar stellungs weise auseinandergesetzt
hat, liegt es auf der Hand, dass Levinstein —
unabhängig von Wickhoff, obgleich ei' ihn zitiert
— die verwandte Darstellungsart in der Kunst
des Kindes aufgespürt hat.
Es ist hier nicht der Ort, auf Levinsteins sehr
interessante Untersuchungen über Perspektive,
Farbe und ihre allmähliche Entwicklung in der
Kunst des Kindes einzugehen. Die Abbildungen
und Tabellen, die es einem jeden ermöglichen, die
Resultate nachzuprüfen, führen eine beredte Sprache.
Sie beweisen, dass Kinder „nach Vorstellungen
und nicht nach Sinnes Wahrnehmungen“ zeichnen.
Sie zeichnen was sie von den Dingen wissen,
nicht was sie sehen, sie versehen den Face-
kopf mit der Profilnase, weil sie sich ihnen am
stärksten eingeprägt hat, zeichnen die Haare unter
dem Hute und den Magen im bekleideten Körper.
Es muss aber im Zeichenunterricht darauf an-
kommen, das Kind „von der logischen Art des
 
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