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Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur — 2.1906

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Sechstes Heft (Juni 1906)
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Scherer, Christian: [Rezension von: Cte. de Chavagnac et Mis. de Grollier, Histoire des Manufactures franc̨aises de Porcelaine]
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https://doi.org/10.11588/diglit.50012#0116

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108

Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur.

Juni-Heft.

vorliegenden Falle, nicht nur mit der nötigen
Saclikenntniss, sondern auch mit Gründlichkeit
vorbereitet und ausgeführt werden.
Allerdings enthält das stattliche, beinahe 1000
Seiten starke Werk nicht etwa eine zusammen-
hängende Geschichte des französischen Porzellans,
sondern nur eine Reihe von geschichtlichen Einzel-
darstellungen der französischen Manufakturen, die
aber dadurch, dass sie in chronologischer Folge,
d. h. nach den Gründungsjahren der letzteren an-
geordnet sind, uns zugleich auch ein klares und
anschauliches Bild von dem vollständigen histori-
schen Entwicklungsgang der französischen Porzellan-
industrie vor Augen führen. So lernen wir zunächst
die frühesten, durch die Poterats seit 1673 zu Rouen,
der hochberühmten Fayencestadt, angestellten Ver-
suche erkennen, welche zur Herstellung eines sog.
künstlichen oder Weichporzellans (porcelaine tendre)
führten, das ja später den eigentlichen Ruf der
französischen Porzellanindustrie begründet und
bis zum heutigen Tage lebendig erhalten hat; so
werden wir ferner mit den übrigen Fabrikations-
stätten dieses Weichporzellans, und zwar nicht nur
mit den grösseren und bekannteren, wie Saint-
Cloud (seit 1677), Lille (seit 1711), Chantilly (seit
1725), Mennecy-Villeroy (seit 1748), Vincennes-
Sevres (seit 1738) u. a., sondern auch mit den
kleineren bekannt gemacht, und erhalten endlich
auch von der Gründung und geschichtlichen Ent-
wicklung jener zahlreichen anderen Manufakturen
eingehende Kunde, die sich mit der Fabrikation
des Hartporzellans (porcelaine dure) befassten, das,
um die Mitte der 60er Jahre des 18. Jahrhunderts
auch in Frankreich entdeckt, zunächst in Sevres,
Limoges und Paris, bald aber überall in den
Vordergrund der Fabrikation tritt, um dann
schliesslich seit Beginn des 19. Jahrhunderts das
Weichporzellan fast gänzlich zu verdrängen.
Auf solche Weise zieht in einer langen, fast
unabsehbaren Reihe, durch die uns die hohe Be-
deutung jener Industrie für Frankreich und die
wichtige Rolle, die sie dort während der letzten
zwei Jahrhunderte gespielt, so recht zum Bewusst-
sein kommt, die Geschichte einer jeden dieser Manu-
fakturen an uns vorüber, und ihnen schliessen sich
weiterhin, obwohl dadurch nach unserem Dafür-
halten die eigentlichen Grenzen des Buches nicht
unwesentlich überschritten werden, auch noch
alle jene Verkaufsmagazine und die meist mit
ihnen verbundenen Dekorationsateliers an, die be-
sonders zu Paris im Anfang des 19. Jahrhunderts
in grosser Zahl anzutreffen waren.
Alle diese Fabrikations- und Verkaufsstätten
nun werden auf Grund eines mitunter sehr um-
fangreichen und kritisch gesichteten Urkunden-

materials, das in der Hauptsache aus den vielfach
noch ungehobenen Schätzen der archives nationales
geschöpft zu sein scheint und z. T. wörtlich ab-
gedruckt wird, je nach ihrer Bedeutung bald
knapper und kürzer, bald breiter und ausführlicher,
stets aber mit einer wohltuenden, sich nur an die
reinen Tatsachen haltenden Objektivität geschildert.
Dass unter diesen Monographien diejenige über
die Staatsmanufaktur von Vincennes-Sevres an
erster Stelle steht, ist wohl selbstverständlich.
Dieselbe wird denn auch mit Hilfe der schon vor-
handenen Spezialliteratur, bei der wir auffälliger-
weise Garniers schönes Werk über das Weich-
porzellan von Sevres vermissen, und unter Bei-
bringung zahlreicher Urkunden, darunter auch die
sorgfältig zusammengestellten Listen des Künstler-
und Arbeiterpersonals, nach ihrer rein geschicht-
lichen, technischen, kommerziellen und künstle-
rischen Seite, kurz nach allen Richtungen hin mit
einer solchen Klarheit und Ausführlichkeit darge-
stellt, dass wir ein völlig abgerundetes Bild von
dieser berühmtesten aller französischen Porzellan-
manufakturen erhalten, das unserer bisherigen
Kenntnis manches Neue hinzufügt.
Wie hier, so bemerkt man überall auf Schritt
und Tritt nicht allein die liebevolle Vertiefung der
Verfasser in ihre Aufgabe, sondern auch das
eifrige Bestreben, der geschichtlichen Wahrheit
auf den Grund zu kommen, sich dabei aber vor
jeder allzu kühnen Schlussfolgerung zu hüten und
im allgemeinen nur gesicherte Forschungsresultate
zu geben. Mögen daher im Einzelnen auch noch
hier und da Zweifel bestehen und manche Ver-
mutungen, wie z. B. die über Luneville, wo nach
Ansicht des Referenten wohl kaum jemals wirk-
liches Porzellan, sondern nur Steingut erzeugt
wurde, noch der nötigen Beweiskraft entbehren,
in allen wesentlichen Punkten dürfte das vorsichtig
abwägende Urteil der Verfasser, auch der künftigen
Forschung gegenüber, gewiss Recht behalten.
Wenn somit die rein geschichtliche Seite
ihrer Darstellung — und auf diese kommt es
ihnen augenscheinlich in erster Linie an — un-
eingeschränktes Lob verdient, scheint uns im Ver-
gleich hierzu die künstlerische Seite, d. h. das,
was die einzelnen Manufakturen in Formerei,
Malerei und Plastik geleistet haben, etwas allzu
dürftig und summarisch behandelt zu sein. Denn
auch hier ist es fast allein nur Sevres, dessenErzeug-
nisse wir, z. T. an der Hand der abgedruckten Ver-
kauf slisten der Fabrik, gründlicher und genauer
kennen lernen. Bei den meisten übrigen aber ver-
misst man ein tieferes Eingehen, geschweige denn
eine erschöpfende Würdigung derselben, sodass das
Werk in dieser Hinsicht eine Lücke enthält, die
 
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