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Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur — 2.1906

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Siebentes Heft (Juli 1906)
DOI article:
Wendland, Hans: [Rezension von: Berthold Daun, Siemering. Künstlermonographien]
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Dülberg, Franz: [Rezension von: Karl Voll, Die altniederländische Malerei von Jan van Eyck bis Memling. Ein entwicklungsgeschichtlicher Versuch]
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https://doi.org/10.11588/diglit.50012#0136

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128

Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur.

Juli-Heft.

Aber aus den Werken bis 1870 geht das noch
nicht hervor, sie zeigen alle Talent und Kennt-
nisse und Ueberlegung.
Siemering gehört zu den vielen, die man als
Akademiker bewundert, die aber mit dem Augen-
blick verloren sind, wo sie sich sicher genug
fühlen, um eigene Wege zu gehen.
Es ist sattsam bekannt, welchen verheerenden
Einfluss die politischen Erfolge von 1870 und 71
auf die deutsche Kunst geübt haben. Besonders
in Berlin lässt sich der Anbruch dieser neuen
schrecklichen Zeit überall erkennen. In der Archi-
tektur und in der Plastik äussert sie sich am
schlimmsten.
Siemering hat sich ohne Bedenken dieser neuen
widerlichen Richtung zugewendet. Er bekam einen
19 m langen Eries in Auftrag für ein riesiges
Stuckdenkmal zur Eeier des Einzugs der Truppen.
Er lieferte in 14 Tagen 35 Figuren von 8 Fuss
Höhe, die die Erhebung des deutschen Volkes dar-
stellten. Das Werk machte ihn zum populärsten
Bildhauer Berlins.
„Aus demselben Geiste echter Vaterlandsliebe
wie der Fries entstanden auch in den Jahren
1873—1877 als Denkmal für den Krieg die aus
je drei Figuren bestehenden Bronzereliefs des
Auszuges und der Heimkehr am Au-Tor zu
Kassel.“
„Welch tiefe Auffassung spricht aus dem
Relief: „Gott sei mit uns!“ Dieser ernste Husar,
dieser mutige Landwehrmann, die sich beide die
Hände drücken, und dieser gottbegeistert die Fahne
haltende Soldat sind keine schablonenhaften
Figuren, die bloss in vorschriftsmässige Uniformen
gesteckt sind, sondern wirklich lebende und füh-
lende Menschen, vom reinsten Realismus geschaffen.
Und wie rührend ist in dem Relief: „Gott war
mit uns“ das Willkommen in der Heimat geschil-
dert! Der an der Stirn verwundete, aber mit
Eichenlaub bekränzte Sohn wird von dem alten
Vater, dessen Gesicht die Spuren der kummervollen
Sorge noch durchfurchen, umarmt, während sein
treuer Kamerad in stolzer Freude beide betrachtet.
Sie sind wahre Abbilder des wirklichen Lebens:
so echt jede Falte der Uniform und jede Bewe-
gung ist, so echt ist auch ihr Empfinden, (sic)
Sorgfältig hatte Siemering seine lebenden Modelle
zu diesen Gruppen gestellt.“
So lobt diese Darstellungen der Biograph. Man
wird an Schaubuden erinnert.
Siemering hat an dieser Art der Tätigkeit Ge-
schmack gefunden und sich immer mehr in einen
Naturalismus hineingeritten, den er je nach den
Anforderungen der Aufgabe mit irgend einer „stil-
vollen“ Monumentalität verband; Siemering hat

„altdeutsch“ gearbeitet, barock, klassizistisch u. s. w.
fort und führte so noch Jahrzehnte lang Auf-
träge aus:
„Fähndriche, Sekretärs oder Husarenmajors.“
Es sind in dem Buche von Daun Modellphoto-
graphien abgebildet, nach denen die Reliefbilder
angefertigt worden sind. Die Modelle sind fix und
fertig angezogen und bis auf die Strumpffalten
und Holzpantinen in den Reliefdarstellungen
kopiert. So sieht man es beim Graefedenkmal, und
bei den patriotischen Arbeiten geschah es natürlich
eher noch schlimmer.
Adolf Hildebrand hat sich schon zu Anfang des
Jahres 1872 aus Berlin geflüchtet und sich erst
12 Jahre später wieder hier gezeigt in jener Son-
derausstellung von Fritz Gurlitt, die so grosses
Aufsehen erregte.
Er hat es sicherlich nie bereut, dass er den
künstlerischen Wandlungen der siebziger Jahre in
Deutschland ferngeblieben ist. Man hatte damals
eigentlich alles verloren, was man mit dem Worte
Stil bezeichnet.
Hans Wendland
Niederländische Kunst.
Karl Voll. Die altniederländische Malerei
von Jan van Eyck bis Memling. Ein ent-
wicklungsgeschichtlicher Versuch. Text-
band und Tafel werk (57 Autotypien) Leipzig
1906. Verlag Poeschel & Kippenberg. Preis
broschiert 13,— Mk, geb. 16,— Mk.
Dieses ernsthafte Buch, das alles, was bis in
die letzten Tage hinein von fleissigen Notizen-
sammlern und kühnen Hypothesenbaumeistern zur
Kenntnis der altniederländischenMalereibeigebracht
wurde, mit kritischer Gewissenhaftigkeit und
eigenem, oft eigenwilligem Anschauen der Dinge
berücksichtigt, wird jedem, der sich wissenschaft-
lich mit dieser Kunstgruppe beschäftigt, auf lange
hinaus unentbehrlich sein. Keiner von den Lesern,
an die sich Voll hier in erster Linie wendet, wird
den Ansichten des Verfassers in allen Punkten zu-
stimmen, jeder wird nach Durcharbeitung des
Buches bekennen, etwas gelernt zu haben. Den
„Crowe und Cavalcaselle“ ist das Werk eher zu
ergänzen als zu verdrängen berufen. Neue Freunde
für die altniederländische Malerei zu werben, hat
Voll sich hier wohl selbst nicht zum Ziel gesetzt,
der Laie aber, der einen grösseren Teil des Bilder-
materials aus eigener Anschauung kennt, wird,
wenn er einigen Ernst und Eifer mitbringt, sich
aus dem freilich für eine Nachmittagslektüre zu
 
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