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Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur — 2.1906

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Achtes/Neuntes Heft (August/September 1906)
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Michel, Hermann: [Rezension von: Gustave Cohen, Histoire de la mise en scène dans le theâtre religieux franc̨ais du moyen âge]
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Sirén, Osvald: [Rezension von: Paul Schubring, Moderner Cicerone. Berlin I. Das Kaiser Friedrichs-Museum]
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https://doi.org/10.11588/diglit.50012#0168

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160

Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur. Aug./Sept.-Heft.

Verschiedenes.
Gustave Cohen, Histoire de la mise en scene
dans le theätre religieux fran^ais du moyen äge.
Paris, Champion 1906. 304 S. 8°.
Dass die bildende Kunst des ausgehenden
Mittelalters von der Bühnenkunst starke Impulse
erfahren hat, war bereits Kunsthistorikern wie
Springer, Weltmann, Bahn, und Literarhistorikern
wie Mone, Wackernagel, Scherer vollkommen klar.
Neuerdings hat man sich mit diesem ungemein
reizvollen Problem mehrfach beschäftigt*), ohne
dass doch die Diskussion zu einem einwandfreien
Ergebnis gelangt wäre. Auch das vorliegende Buch,
dessen drittes Kapitel (S. 104 ff) über diese Frage
handelt, bringt keine endgiltige Lösung. Der
fleissige und begabte Verfasser, ein Schüler Maurice
Wilmottes, wandelt trotz mancher eigenen Be-
obachtung die alten Pfade. Seine Führer sind vor-
nehmlich der Kunsthistoriker Male und der Philolog
Wilhelm Meyer. Male hat 1904 in der „Gazette
des Beaux-Arts“ eine Abhandlung geschrieben,
deren Titel - „Le renouvellement de l’art par les
mysteres“ — schon ihren Inhalt andeutet. Meyer,
einer der besten Kenner der mittellateinischen Litte-
ratur, hat ein Jahr zuvor in den „Nachrichtenvon der
K. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen“
(Phil.-hist. Kl., Heft 2) ausgeführt, dass die mittel-
alterlichen Künstler vor dem Schauspiel die Auf-
erstehung Christi höchstwahrscheinlich überhaupt
nicht dargestellt, sicherlich aber späterhin die
szenische Darstellung in ihren Bildern kopiert haben.
Mit Male und Meyer ist nun Cohen der Ansicht,
dass die Schöpfungen der Maler und Bildhauer
von den dramatischen Spielen in bedeutsamer Weise
beeinflusst worden sind. Durch ein paar neue Be-
weisstücke — darunter einige bisher noch nicht
veröffentlichte Miniaturen — sucht er diese An-
sicht noch besser zu stützen.
Mir scheint, so einfach liegt die Sache nicht.
Dass dramatische Vorführungen oft genug auf
Bilder und Skulpturen eingewirkt haben, will ich
keineswegs bestreiten. Aber damit ist noch lange
nicht erwiesen, dass es immer sogewesen ist und
dass es von Anfang an so gewesen ist. Gegen
Ende des Mittelalters und in der Beformationszeit
wird man eine Wechselwirkung zwischen Theater
und bildender Kunst annehmen müssen, wobei nur
von Fall zu Fall entschieden werden kann, ob die
*) Vgl. zuletzt K. Tscheuschner im „Bepertorium
für Kunstwissenschaft“ Bd. 27 und 28 (1904/6), der
zu Anfang seiner Arbeit eine Uebersicht über die
Literatur bietet. Cohen hat diese Untersuchung
noch nicht benutzt.

bildende Kunst oder das Theater die Priorität zu be-
anspruchen hat. Und in den früheren Jahrhunderten?
Das eben ist die Frage. Meyer mag recht haben mit
seinerThese —ich zweifle noch daran—, dass die Auf-
erstehung Christi erst im Bilde dargestellt wurde,
nachdem sie auf der Bühne dargestellt war. Allein es
gibt Themata, die ganz bestimmt zunächst von der
bildenden Kunst behandelt wurden. Franz Xaver
Kraus, der in seiner „Geschichte der christlichen
Kunst“ (II. 1, S. 422 f.) unserem Gegenstände
wenige, doch sehr beachtenswerte Worte gewidmet
hat, weist unter anderm darauf hin, dass sogar
dem früh auftretenden „Ludus de Antichristo“
Illustrationen dieses Vorwurfs in der Miniatur-
malerei vorausgehen. Hier muss also die Forschung
von neuem einsetzen, um zu gesicherten Besultaten
zu gelangen.
Nur über einen kleinen Bruchteil des offenbar
tüchtigen Buches konnte an dieser Stelle berichtet
werden. Es seinem gesamten Inhalte nach zu
würdigen, bleibt literarhistorischen Zeitschriften
überlassen. Hermann Michel
Moderner Cicerone. Berlin I. Das Kaiser
Friedrichs-Museum von Paul Schubring. Mit
276 Abbildungen und 2 Grundrissen. Union,
Deutsche Verlagsgesellschaft.
Das vorliegende Büchlein braucht gewiss keine
Empfehlung; es gehört zu den Büchern, die durch
ein praktisches Bedürfnis hervorgerufen werden.
Seitdem die Kunstsammlungen in Berlin aus ihrem
wohlbekannten, alten, intimen Heim in das laby-
rinthartige Prachtgebäude überführt wurden, ist das
Bedürfnis eines guten übersichtlichen und be-
lehrenden Führers besonders fühlbar geworden.
Hunderte und wieder Hunderte von Besuchern
verbringen hier ihre Freistunden, in dem Wunsche,
aus der alten Kunst etwas zu lernen, nicht nur
des Augengenusses wegen, denn das ist wohl dem
deutschen Museumsbesucher im allgemeinen eine
Nebensache. Allen diesen Leuten kann gewiss
kein besseres Buch gegeben werden als der vor-
liegende Führer; die amtlichen Kataloge sind ihnen
zu schwerfällig, neue Attributionen, Signaturen und
wissenschaftliche Begründungen sind ihnen ziem-
lich gleichgültig. Die Besucher fragen nach dem
persönlichen Leben in den Kunstwerken, nach den
dargestellten Geschichten und den kulturhistorischen
Verhältnissen, die die Kunstwerke bedingen. Das
alles gibt dieser Führer in sehr klarer, übersicht-
licher und fliessender Form. Der sehr beschränkte
Umfang des Buches und der aussserordentliche
Beichtum an Material haben natürlich den Ver-
fasser gezwungen, bisweilen etwas zu klangvolle
Worte zu brauchen, aber vielleicht ist das sogar
 
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