Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
65

MUSS MALEREI

DER ARCHITEKTUR GEGENÜBER
ALS MINDERWERTIG GELTEN?

Heute, wo sich alles aufs praktische Leben zu konzentrieren beginnt, sehen
wir, daß viele die Malerei konsequenterweise als »Spiel« oder als »Phantasie«
betrachten. Im Gegensatz zur Architektur, die man als »praktischen«, »sozialen«
Wert betrachtet, sieht man in der Malerei nur »Verannehmlichung des Lebens«.
Diese Auffassung ist ziemlich verbreitet. Im Dictionär Larousse findet man
unter dem Wort Verannehmlichung (agrement): »Künste der Verannehm-
lichung: Musik, Malerei, Tanz, Reit- und Fechtkunst«. Ein Übersehen des
Bildenden, Gestaltenden in der Kunst, dessen logische Folgerung ein Ver-
hüllen des rein Gestaltenden ist. Also eine Reaktion auf Kunstmißbrauch. —
Die Verwirrung des rein Gestaltenden in der Form oder mit launenhaftem
Rhythmus macht Kunst zum Spiel. Die daraus entstandene »lyrische« (be-
schreibende oder besingende) Schönheit ist spielerisch. Lyrik ist ein Über-
bleibsel aus der Kindheit der Menschen und stammt aus einer Zeit, in der man
zwar die Leier, aber nicht die Elektrizität kannte. Will man in der Malerei die
Lyrik beibehalten, so bleibt erstere nur ein schönes Spiel. Sowohl für die, die
das »Praktische« fordern oder fordern müssen, wie für die, die das »rein Ge-
staltende« in der Kunst verlangen. Erstere »wollen« nächst dem trocken Prak-
tischen das »Spiel« und Phantasie. Letztere läßt launenhaftes Spiel in der Kunst
ungerührt. Ist die Zeit aber nicht da, daß, wer Spiel und Phantasie in der Kunst
sucht, solche im Kino usw. findet, wenn er im Leben selbst sie nicht sehen
und besitzen kann? Und daß die Kunst reine »Kunst« wird?

Und wenn Baukunst auch nicht als »Spiel« betrachtet wird, ist sie in anderer
Hinsicht doch reine Lebensverannehmlichung. Baukunst erweist sich gegen-
wärtig meist als praktischer, Malerei als idealer Ausdruck von subjektiv mensch-
lichem, anstatt von gestaltendem Gefünl. Wie in der gesamten alten Kunst
ist auch heute das gestaltende Gefühl sekundär, — statt primär zu sein. Denn
alle Formplastik stellt das rein Gestaltende in den Hintergrund. —

Das rein Gestaltende ist keine Reproduktion des Lebens. Es ist das Gegen-

5
 
Annotationen