Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Müller, Hans
Betrachtungen über das Studium der Kunstwissenschaft — Köln: M. Lengfeld'sche Buchhandlung (C. Reissner & Ganz), 1878

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.69964#0011
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
II

Kunstwissenschaft, welche vor allem den Wegweiser bil-
det auf die goldne Mittelstrasse zwischen der Verworren-
heit und der Einseitigkeit. Wie die Kunst überhaupt weit
mehr als die Wissenschaft mit Ernst, Würde und Ge-
messenheit ihr Ziel zu erreichen strebt, so auch die-Kunst-
wissenschaft. Durch Bekanntwerden mit der edeln Ruhe
der Plastik, mit der formenstrengen und gewissenhaften
Architektur, mit der Lebendigkeit und Wahrheit der Ma-
lerei gelangt der Schüler gar bald dahin die Berechtigung
und den Wert dieser Vorbilder einzusehen und seinen
Vorteil daraus zu ziehen. Vor Allem lernt er, dass wie
in der Kunst, auch im Leben vornehmlich das Mass von
Bedeutung ist, dass sich in allen Dingen erst in der
Mässigung der Meister zeigt. Karl Köstlin setzte in
seiner Aesthetik (Tübingen 1860 S. 1003 ff.) auseinander,
dass in aller Kunst Architektonik, Plastik, Malerei, Mimik,
Musik und Poesie sei. Möchte es doch auch im Leben
f
des Einzelnen wie der Gesammtheit so sein, und überall
ein harmonischer edler Ausgleich stattfinden.
Ein grosser Künstler ist immer auch ein grosser
Mensch, der sich die volle Einheit in sich selbst erworben
hat, und so müsste auch umgekehrt ein jeder Mensch
ein grosser Künstler sein und alle die Eigenschaften er-
ringen, die jenen gross machen. Vor Allem ist ein warmes
und weites Herz die Grundeigenschaft eines jeden Künst-
lers. Wo dieser Grundstein fehlt, da kann sich keine
wahre und bedeutende Künstlerschaft auf bauen; ebenso
müsste es im Leben sein und die traurige Tatsache, dass
dem nicht so ist, kann gewiss nicht als Gegenbeweis an-
gesehen werden. Wir haben im Gegenteil dahin zu wir-
ken, wenn nicht mehr in unserem eigenen, so doch im
Interesse unserer Nachkommen, dass diese Grundbedin-
gung des wahren Menschseins durch richtige Erziehung
erfüllt werde. Und da kann bei richtiger Würdigung der
Sachlage Niemand in Zweifel sein, dass gerade die bil-
denden Künste das beste Vorbild für innerliche Vertie-
 
Annotationen