Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
32

essant, als der Schreiber sich besonders mit einem Musikstück auseinan-
dergesetzt haben muß, das er spontan, manchmal sogar mehrmals nieder-
schrieb.

4. Die Lorscher Neumen

Versuch einer stilistischen Einordnung

Um 830 tauchten an vielen Stellen Europas ziemlich plötzlich verschie-
dene Schriften auf, mit denen die Mönche ihre Musik aufzeichneten.83 Die
Entwicklung dieser Schriften, denen allen die gleichen Prinzipien zu-
grundeliegen, hat die Forschung seit langem bewegt. Eine -allerdings
nicht beweisbare- Theorie besagte, daß die mittelalterliche Notation
Vorläufer habe, die allerdings nicht mehr erhalten sind. Der Universalge-
lehrte seiner Zeit, Isidor von Sevilla (gestorben 633), aber sagt ausdrück-
lich, daß Melodien nicht aufgeschrieben werden könnten; es gebe nur ein
Mittel, sie festzuhalten: das menschliche Gedächtnis 84.

Für das Thema dieser Arbeit bedeutsamer als die Frage nach Ursprung
und ersten Zeugnissen der Neumenschrift lst die nach deren regionaler
Ausformung. Hat Lorsch -wie beispielsweise St. Gallen- einen eigen Neu-
menstil besessen?

Ein Vergleich von charakteristischen Neumen soll zur Beantwortung bei-
tragen. Dazu sollen aber nur Handschriften verwenden werden, die zwei-
felsfrei in Lorsch entstanden und auch dort mit Neumen versehen wur-
den.85 Dazu zählen die Palatini 2, 135, 188, C200], 206, 220, 241, 281, 290,
485, 487, 560, 829, 1846], 899, 1341, 1449. Aus den wichtigsten Handschrif-
ten wurde daher eine Tabelle erstellt, welche die charakteristische Neu-
men darstellt. Nicht alle Neumen kommen in allen Handschriften vor,
deshalb miissen einige Plätze in der Tabelle frei blöiben. ,. , a

83 Wagner LNeutnenkunae S. lOlJ gent aavon aus. daß es spateslens um die Mitte des ü.
Jahrhunderts gesangliche Aufzeichnungen gegehen hat. Diese Aufzeichnungen werden
allerdings nur in späteren Quellen erwähnt und sind nicht mehr erhalten. Daher ist diese
Datierung auch nicht nachprüfbar. Das gleiche trifft auch auf Floros (Neumenkunde S.
10) zu. Er spricht davon, daß die einstimmige Musik des christlichen Mittelalters etwa seit
dem 8. Jahrhundert aufgezeichnet wurde. Corbin (Die Neumen, S. 3.22) datiert die ersten
Neumenschriften sehr viel später. Nur einzelne Zeugnisse reichen seiner Ansicht nach ins
9. Jahrhundert zurück, die meisten entstammen dem 10. Jahrhundert.

84 Waesberghe S. 26/ Wagner Neumenkunde S. 97: Nisi enim ab homine memoria te-
neantur soni, pereunt, quia scribi non possunt, nach Etymologarium sive originum libri III,
15. Von diesem Werk war auch eine Handschrift in der Lorscher Klosterbibliothek vorhan-
den. (heute als Pal. lat. 281 und 283 im Vatikan). Die entsprechenden Kapitel sind auf fol.
54v - 56v. von Pal. lat 281 erhalten. Wagner will diese Aussage Isidors allerdings nicht
auf eineTonschrift bezogen wissen und sagt: Seibst unsere Tonschrift gibt die Töne nicht
schriftlich wieder, sondern deutet sie durch konventionelle Zeichen an ... [Isidorl stellt
einfach die beiden möglichen Arten der Überlieferung einander gegenüber.

aa Dies kann man mit gutem Recht von den Handschriften annehmen. die in Lorsch sowohl
ihre Schriftheimat als auch ihre Bibliotheksheimat besaßen, bzw. die schon vor der Ent-
stehungszeit der Neumen in Lorsch nachgewiesen worden sind.
 
Annotationen