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Münchener Punsch: humoristisches Originalblatt — 23.1870

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https://doi.org/10.11588/diglit.21529#0070

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Wie die Thräne auf den herben Zwiebel, so folgt auf den preußischen
Landtag der norddeutsche „Rerchs"-Tag. Aber die erforderliche Anzabl
von Btitgliedern ist noch inuner nicht beisamnien, der „Reichs"-Tag also
noch nicht einmal lpeschlnßfähig, thatenfähig wird er ohnehin nie.
Man sagt, die Diälenlosigkeit trage viel Schnld an dieser Laranz, was
anch möglich ist; denn für eigenes Geld jährlich einige Wochen nach
Berlin sitzen und am Opferblock der Gewaltpolitik gleichsam Priester-
Dienste leisten, dazn gehört ein eigener Geschmack. Auch danert der
sächsische Landtag noch und Graf Bismark war nicht so rücksichtsvoll, zn
warten, wie er es auch im nächsten April nicht sein ivird, wenn sein
„Zollparlament" znsammentreten soll. Jn der bayerischen Kammer, deren
Aufgaben bis dahin keinenfalls erledigt sind, dürfte es dann zu hübschen
Erörlerungen kommen. Was aber nnn obigen norddeutschen Reichstag
belrifft, so foll er, obwvhl zur Zeit noch ganz beschtußunfähig, dennoch
die Absicht haben, anf die famose Lhrvnrede des ,,Herrn" mit einer
Adresse zn antworlen. Also auch noch eine norddculsche Adreßdebalte!
Das fehlt gerade noch!

Um Kasernenbanten zu ersparen, pflegt man in Rnßland die Hälfte
der Soldaten bei — Pr i vatp er s onen einz u qua rtiren ! Die Adeligen,
Beamten und andere gnadig Bevorzugte sind natürlich von solcher Last
befreit, der Bürger und Bauer aber hat das Vergnügen, seine Wohnung
mit einem Vertreter des ersten Standes der Welt zn theilen Es sollte
zn verwundern sein, wenn bei der innigen Frenndschaft Preußens und
Rußlands dieser wirklich Geld ersparende Modus seiner Zeit nicht auch
im „norddeutschen Bund" probirt werden sollte, wvdurch „Freiheit" und
„Wohlfahrt" nicht wenig „gepflegt" wcrden dürften. Las man doch unlängst
aus einer norddeutschen Garnisonsstadt, daß man damit umgehe, den
Mißbrauch, kranke Soldaten bei Bürgern einzuauartiren, zn beseiligen.
Selbst die wüthend nationaltiberalen Karlsruher zeigten sich nnlängst, als
es sich um Aufuahme von llebungstruppen handelte, sehr wenig gast-
freundlich.

Bei der kühlen Schlußfeierlichkeit des preußischen Landtags fanden
sich außer den Herrenhausniitgliedern und mehreren Conservativen nur
noch die Hcrren — N ationallibe ralen ein, unser Braun und Ge-
nossen, die großpreußischen Neophyten. Jn dieser Partei steckt überhaupt
gegenivärtig nichl nur die größte Loyalität, sondern auch Regierungs-
freundlichieit um jeden Preis, wenn es sich darum handelt, antipreußische
Oppositiouen niederzuhalten, Als jüngst in der bayerischen Kammer ein
bisher noch unbekanntes Ausschreiben verlesen wurde, welches einen förm-
lichen Feldzugsplan gegen die patriotischen Candidaturen enthielt und
säumige Beamte förmlich unter Controle stellte, da sah man die Köpfe
der ächten bayerischen Preußen beifälligst nicken, die Köpfe der
nämlichen Politiker, welche für allgemeines, direktes, geheimes Wahlrecht
zu sein behaupten! Lupienti snt! —

Druck der Ni-. Wild'schen Buchdruckerei (Gebr. Parcus).
 
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