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Münchner kunsttechnische Blätter — 4.1907/​1908

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Nr. 9
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Ostwald, W.: Stärke-Tempera
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https://doi.org/10.11588/diglit.36594#0037

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München, 27. Jan. 1908.
Beilage zur „Werkstatt der Kunst" (E. A. Seemann, Leipzig).
Erscheint i4tägig unter Leitung von Maier Ernst Berger.
IT. Jahrg. Nr. 9.
Inhalt: Stärke-Tempera. Von Geh. Hofrat Professor Dr. W. Ostwald, Gross-Bothen.
Von E. B. — Die Arbeiten des Dekorationsmalers und des Lackierers.
— Bilderfälschungen.
Stärke-Tempera.*)

Von Geh. Hofrat Professor Dr. W. Ostwaid, Gross-Bothen.

Bekanntüch ist der Begriff der Tempera sehr
unbestimmt. Nachdem früher aiie Bindemittel für
Farben mit diesem Worte bezeichnet worden waren,
beschränkt man heute seine Anwendung auf wässe-
rige Bindemittel von besonderen Eigenschaften,
die sich schwer allgemein aussprechen lassen.
Vieiieicht am charakteristischsten ist die Eigen-
schaft der meisten Temperabindemittei, dass,
nachdem ein Auftrag trocken geworden ist, dieser
sich unter späteren Aufträgen über dieselbe Steile
nicht wieder aufiöst, wie dies gewöhnliche Wasser-
farben tun.
Ich habe an anderer Stelle**) auf die grosse
Mannigfaltigkeit von Mitteln hingewiesen, welche
die Chemie für die Lösung dieser allgemeinen
Temperaaufgabe gewährt. Doch habe ich damals
eine Möglichkeit zu erwähnen versäumt, die mir
inzwischen entgegengetreten ist, und über welche
ich dann einige Versuche angestellt habe. Diese
sind so ermutigend ausgefallen, dass ich meine
bisherigen Erfahrungen mitteilen möchte, um auf
die vorhandenen, meines Wissens noch nicht be-
tretenen Wege hinzuweisen.
Jene neue Möglichkeit besteht in der An-
wendung eines irreversiblen Kolloids. Ich bitte,
sich durch diesen gelehrten Namen nicht ab-
schrecken zu lassen; er ist in der Tat der kür-
zeste und allgemeinste Ausdruck des Gedankens,
soll aber alsbald „für das Verständnis weiterer
Kreise" erklärt werden.
Die in Wasser (und anderen Flüssigkeiten)
löslichen Stoffe zerfallen in zwei grosse Klassen,
*) Mit freundlicher Erlaubnis des Autors abge-
druckt nach „Techn. Rundschau" des „Tag" vom
3°. Oktober 1906.
**) „Malerbriefe." Leipzig, Hirzel. 1903.

die Kristalloide und die Kolloide. Erstere sind
durch solche Stoffe wie Kochsalz oder Salpeter
gekennzeichnet, die sich mehr oder weniger reich-
lich auflösen und aus ihren Lösungen sich wieder
in Gestalt von Kristallen abscheiden. Unter ihnen
finden sich keine Kleb- und Bindemittel. Die
anderen haben vom Leim ihren Namen; sie
scheiden sich beim Verdampfen ihrer Lösungs-
mittel in glas- oder gummiartigen Massen ab,
und unter ihnen Hnden sich die charakteristischen
Kleb- und Bindemittel. Zu ihnen gehört ausser
dem Leim noch Gummi, Eiweis, Kasein, Dextrin,
Stärke usw.
Nun haben einige Kolloide die Eigenschaft,
dass sie nach dem Eintrocknen sich in frischem
Lösungsmittel wieder ohne weiteres auflösen, wie
dies die Kristalloide alle tun. Gummi ist ein
Beispiel dafür. Solche Kolloide heissen umkehr-
bare oder reversible Kolloide, weil sich bei ihnen
der Lösungs- und Abscheidungsvorgang in be-
liebiger Reihenfolge wiederholen lässt. Sie haben,
als Bindemittel für Farben verwendet, offenbar
die Eigenschaft, dass sie sich unter neuen Auf-
trägen wieder auflösen, wie dies ja bei den mit
Gummi hergestellten gewöhnlichen Aquarellfarben
bekannt ist.
Die nichtumkehrbaren oder irreversiblen
Kolloide haben diese Eigenschaft nicht. Sind sie
einmal durch Verdunsten des Lösungsmittels oder
durch andere Ursachen in den festen Zustand
übergegangen, so sind sie dadurch in dem
Lösungsmittel unlöslich geworden. Farben mit
einem solchen Bindemittel erfüllen also die ein-
gangs aufgestellte Temperabedingung. Leider
kann ich kein populäres Beispiel für diesen Fall
anführen, da unter den allgemein bekannten
 
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