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Münchner kunsttechnische Blätter — 6.1909/​1910

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Nr. 15
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Wiegmann, Rudolf; Berger, Ernst: Ueber die Malweise des Tizian und Goethes Farbenlehre
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https://doi.org/10.11588/diglit.36592#0061

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KONSTTECRHISCK
^^áBLMTER

München, 18. April 1910.

Beilage zur „Werkstatt der Kunst" (E. A. Seemann, Leipzig).
Erscheint i4tägig unter Leitung von Maier Ernst Berger.

W.Jahrg. Nr. 15.

Inhalt: R. Wiegmann: Ueber die Maiweise des Tizian und Goethes Farbeniehre. Mit Einleitung von E. B. —
Die Kontroverse über ein Rubensbild in der Pinakothek.

R. Wiegmann: Ueber die Maiweise des Tizian und Goethes Farbeniehre.
Mit Einleitung von E. B.

Seit dem Erscheinen von Goethes viel ange-
fochtenem Werke „Zur Farbenlehre" sind jetzt
gerade hundert Jahre verflossen. Es ist des-
halb nicht mehr als recht und billig, wenn des
für uns Maler wichtigen Teiles des Goetheschen
Schaffens an dieser Stelle gedacht wird.
Allgemein bekannt dürfte es sein, dass der
grosse Newton zuerst die Zerlegbarkeit des
weissen Sonnenlichtes durch ein Glasprisma er-
kannte und dass aus der verschiedenen Brech-
barkeit der einzelnen Farbenstrahlen die sog.
Wellentheorie des Lichtes gefolgert worden ist.
Goethe zweifelte an der Richtigkeit der New-
tonschen Theorie und suchte auf seine Weise,
freilich ohne gründliche mathematische Vorstudien
zu besitzen, dieses Problem der Farben zu lösen;
aber er stiess auf den Widerstand der Fachge-
lehrten, die allesamt Newtons grundlegender Lehre
von der Zusammensetzung des weissen Sonnen-
lichtes beistimmten. Goethe, der in Rom durch
seinen Verkehr in Malerkreisen zu optischen Fragen
angeregt wurde, dachte stets als Maler über die
Farbenerscheinungen nach und wie sie durch
Farbenpigmente darzustellen sind. In der schon
von Lionardo erkannten Wirkung des sog. „trüben
Medium", womit dieser das Blau des Himmels er-
klärt hatte, erblickte nun Goethe das „Urphänomen",
die Hauptursache der Farbenerscheinungen, und
glaubte in den spektralen Farben die Wirkung eines
solchen zu erkennen, indem er, durch seine Ver-
suche mit dem Prisma verleitet, die an den Rän-
dern sich zeigenden Farbenbänder (gelb-orange
und blau-violett) für eine Folge der über Weiss
einerseits und über Schwarz andererseits vor-
handenen „Trübung" zu deuten suchte. Umsonst
gaben sich seine Freunde Mühe, ihm das Irrige
seiner Anschauung klarzumachen, er hielt un-

beugsam an seiner Ansicht fest und in demselben
Masse, als er sich von den „Newtonianern" miss-
verstanden sah, wuchs auch sein Groll gegen sie.
Mit um so grösserer Genugtuung und Freude emp-
fand er jede Zustimmung, woher sie auch kommen
mag. Und sie karrt von einigen Seiten, besonders
von Malern, für die Goethes Theorie leichter ver-
ständlich und von praktischerem Nutzen schien,
als die Newtons von der Zerlegbarkeit des weissen
Lichtes in farbige Strahlen, mit der sie ja nichts
anzufangen wussten. Denn für sie war das Weiss
eine homogene, unteilbare Farbe, die niemals
durch Zusammenmischen aller übrigen (oder je
zweier einzelner) hervorgebracht werden konnte,
und nach ihren Erfahrungen konnte aus zwei oder
mehreren Farben eher eine Dunkelheit (durch
Uebereinanderschichten der Lasur) als eine Hellig-
keit erreicht werden.
Zu den zustimmenden Künstlern gehörte in
erster Linie Ph. Otto Runge, dessen ausführ-
lichen Brief Goethe am Ende seiner Farbenlehre
abgedruckt hat. Seine Ansichten fussen auf dem
sog. Dreifarbensystem, d. h. mit den drei Grund-
farben Gelb, Rot und Blau Hessen sich alle
Zwischenfarben durch einfache Vermischung her-
stellen und wenn man sie in ein Diagramm setzte,
also:
Orange
Rot Gelb
Violett Grün
Blau,
dann ständen sich
Blau und Orange,
Rot und Grün,
Gelb und Violett
als kontrastierende oder ergänzende Farben gegen-
 
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