Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
5o

Münchner kunsttechnische Biätter.

Nr. 9.

angeschlossen habe, und wo Ausführlicheres dar-
über sowie über die Wirkung des Vor- und Zu-
rücktretens dieser Farbenarten zu finden ist, wird
neuerlich behauptet, die Bezeichnung ,,kalte und
warme Farben" wäre nicht nur keine übertragene,
sondern rein physikalisch zu verstehen, dass die
gelben und roten, also warmen Farben, auf einem
sehr empfindlichen Thermometer in steigender Ten-
denz, die blauen hingegen in fallender Tendenz
sich bemerkbar machten, mithin gleiche Gegen-
sätze darstellten, wie Plus (-{-) und Minus (—)
bei elektrischen Spannungen oder bei anderen sich
anziehenden und abstossendenKräften in der Physik.
In einer für den „Bund deutscher Dekorations-
maler", als „Auswahl für Maler" bezeichneten Be-
arbeitung von Goethes Farbenlehre, wird die oben
erwähnte Ansicht als „Unsinn" bezeichnet und ein
Goethesches Experiment, das sich im Abschnitt
„physische und chemische Wirkungen farbiger Be-
leuchtung" (Didaktischer Teil, § 674) findet, als
schon hundert Jahre alter Beweis dafür herangezogen.
Goethe beschreibt nämlich die als Wärme er-
regende Wirkung farbiger Beleuchtung in dem fol-
genden Versuch: „An einem sehr sensiblen soge-
nannten Luftthermometer beobachte man die Tem-
peratur des dunklen Zimmers. Bringt man die
Kugel darauf in das direkt hereinscheinende Sonnen-
licht, so ist nichts natürlicher, als dass die Flüssigkeit
einen vielhöheren Grad der Wärme anzeige. Schiebt
man alsdann farbige Gläser vor, so folgt auch
ganz natürlich, dass sich der Wärmegrad vermin-
dere, erstlich weil die Wirkung des direkten Lichtes
schon durch das Glas gehindert ist, sodann aber
vorzüglich, weil ein farbiges Glas, als ein dunk-
les, ein wenigeres Licht hindurchlässt." „Hierbei
zeigt sich dem aufmerksamen Beobachter ein Unter-
schied der Wärmeerregung, je nachdem diese oder
jene Farbe dem Glase eigen ist. Das gelbe und
gelbrote Glas bringt eine höhere Temperatur als
das blaue und blaurote hervor, und zwar ist der
Unterschied von Bedeutung."
Der hier von Goethe beschriebenen und auch
völlig einwandfrei geschilderten Beobachtung liegt
aber eine erheblich andere Ursache zugrunde, denn
nicht die Farben an sich sind warm oder kalt,
sondern sie werden erst durch die Sonnen-
bestrahlung verschieden erwärmt, und zwar
gibt Goethe auch ganz treffend als Ursache dieser
Wärmewirkung die das Licht beschränkenden far-
bigen Gläser an; diese lassen, wie allgemein be-
kannt, bestimmte Lichtstrahlen hindurch-
fallen, währendsie andere absorbieren, und
je gefärbter, intensiver die Gläser sind, desto mehr
Lichtstrahlen werden von ihnen absorbiert. Ein
dunkelblau gefärbtes Glas wird mehr Lichtstrahlen
absorbieren, als ein hellgelb gefärbtes und es ist
dann nur ganz natürlich, dass die durchfallenden,
nicht absorbierten Sonnenstrahlen andere Tempe-
raturgrade anzeigen, je nachdem die Gläser gefärbt

waren. Dazu kommt noch die allgemeine und
längst bekannte Tatsache, dass Lichtstrahlen
in Wärmestrahlen umgewandelt werden,
wenn sie auf Körper scheinen, wie ja jedermann
beobachten kann, dass z. B. ein dunkles Tuch von
der Sonne beschienen, schneller warm wird als ein
helles. Diese Umwandlung der Lichtstrahlen in
Wärme hat jeder Schuljunge in Praxis erprobt,
wenn er mittels einer gewöhnlichen Glaslinse Löcher
in Papier brannte, oder im Brennpunkt ein Streich-
holz in Brand gesteckt hat. Mit der eigentlichen
Temperatur der sog. kalten und warmen Farben
hat dies wenig zu tun, und es müssten Thermo-
meter von aussergewöhnlicher Empfindlichkeit erst
erfunden werden, die erhebliche Unterschiede an
Farben bei gewöhnlicher, diffuser Tagesbeleuch-
tung anzeigen könnten.
Wenn die Annahme richtig wäre, dass alle
gelben und roten Farben an sich wärmer sind
als die blauen, dann müsste etwa eine Tube Kad-
mium sich wärmer anfühlen als eine Tube Kobalt-
blau, ein mit den schönsten gelben Farben ge-
malter Sonnenuntergang müsste wärmer sein, wenn
man seine Hand darüber legt, als eine blaue
Mondscheinlandschaft. Es müsste ein gelb oder
braun gefärbtes Tuch mehr erwärmen, als ein blauer
Mantelstoff gleicher Webart, und schliesslich müsste
ein gelb tapeziertes Zimmer dem Bewohner eine
Ersparung an Brennmaterial ermöglichen, die bei
der jetzigen Kohlenknappheit nicht zu übersehen
wäre!
Das ist natürlich „Unsinn", und durch Erfahrung
widerlegt, nicht aber was die Physiker darüber
zu sagen wissen.*)
Zum Schluss kann ich es mir nicht versagen,
mein Befremden darüber auszusprechen, dass in
der obigen für Maler bestimmten „Auswahl aus
Goethes Farbenlehre", von dem eigentlichen grund-
legenden Inhalt desselben, von dem Goetheschen
„Urphänomen", nämlich der „Trübe", durch deren
Einfluss nach seiner eigenen Theorie die Farben
sich bilden, dem Grundpfeiler seines Systems, kaum
andeutungsweise die Rede ist. So ist dort das
allerwichtigste fortgelassen, während das „polar-
dynamisch" angeschirrte Steckenpferd zwischen
Kalt und Warm bis zum Ueberdruss sich tummeln
muss.
Goethes Vorarbeiten zur Farbenlehre.
(8. Fortsetzung.)
Es folgen die Versuche mit konkaven und
konvexen Linsen, durch die der schwarze Kreis
auf weissem Grunde, oder der weisse Kreis auf
schwarzen Grunde betrachtet wird (der später als

*) Uebereinstimmend urteilen auch die Philosophen
über die kalten und warmen Farben. So z. B. Utitz,
Grundzüge der ästhetischenFarbenlehre,Stuttgart :9o8,
S. 22 und 29.
 
Annotationen