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Mitteilungen des Württembergischen Kunstgewerbevereins — 1907-1908

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Muthesius, H.: Das Problem der neuzeitlichen Organisation des Kunstgewerbes
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https://doi.org/10.11588/diglit.7713#0037
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DAS PROBLEM DER NEUZEITLICHEN
ORGANISATION DES KUNSTGEWERBES.

VON Dr. H. MUTHESIUS.

(Mit freundlicher Genehmigung des Herrn Verfassers und des Verlags dem von Professor
Dr. E. von Halle herausgegebenen vortrefflichen volkswirtschaftlichen Jahr- und Lesebuch
..Die Weltwirtschaft", 2. Jahrgang 1907, Verlag von B. G. Teubner, Leipzig, entnommen.)

Der springende Punkt, um den es sich heute im Kunstgewerbe handelt, ist
der, daß die wirtschaftlichen Gleise für das, was auf künstlerischem "Wege
geleistet worden ist, gefunden werden müssen. Sie zu finden wird keine leichte
Aufgabe sein, aber die Zeit wird sich an diesem schwierigen Problem ver-
suchen müssen. Der alte Betrieb der Kunstindustrie, der dem Zustand der
siebziger und achtziger Jahre entsprach, kann nicht aufrecht erhalten werden.
Der materielle Produzent kann nicht mehr als alleiniger Vertreter des Kunst-
gewerbes gelten wollen, nachdem die geistigen Potenzen so in den Vorder-
grund gerückt sind, wie es die letzte kunstgewerbliche Bewegung mit sich
gebracht hat. Der Künstler, der den geistigen Gehalt des ganzen modernen
Kunstgewerbes geschaffen hat, kann sich nicht mehr zur Anonymität verurteilen
lassen, wie es in dem ganzen früheren Betriebe mit dem im Verborgenen
wirkenden Musterzeichner der Fall war. In welcher Weise nun aber der
Künstler einzurangieren ist, das ist das Problem.

Man könnte zunächst auf den Gedanken kommen, daß der Künstler, das
heißt also der intellektuelle Schöpfer, selbst als Produzent auftreten möge.
Tatsächlich ist dies verschiedentlich versucht worden. Namentlich bietet das
um Jahrzehnte ältere englische Kunstgewerbe Beispiele für derartige Unter-
nehmungen. Am erfolgreichsten ist der Gedanke durchgeführt worden durch
den großen ersten Begründer des modernen Kunstgewerbes überhaupt, William
Morris.

Dieser entschloß sich schon in seinen jungen Jahren, selbst eine kunst-
gewerbliche Werkstätte zu eröffnen und auf geschäftsmäßigem Wege seine
Erzeugnisse selbst zu vertreiben. Er war von allem, was er vertrieb, gleich-
zeitig der Schöpfer, der Erzeuger und der Verkäufer. Sein Geschäft, wenn
man es so nennen darf, hat sich aus kleinen Anfängen heraus zwar langsam,
aber zuletzt außerordentlich glücklich entwickelt. Es besteht noch heute und
behauptet nach dem Tode des Begründers seine Existenz durch Reproduktion
von dessen Entwürfen.

Daneben gibt es in England noch eine Reihe sogenannter Gilden. So nennen
sich Vereinigungen von Kunstgewerblern, die durchweg das Ziel haben, ihre
selbst entworfenen und selbst ausgeführten Erzeugnisse dem Publikum ohne
Dazwischentreten des Handels zu übermitteln.

Diese Gilden, deren Erzeugnisse durch die kunstgewerbliche Literatur auch
in Deutschland bekannt geworden sind, haben vielfach das Interesse deutscher
Volkswirtschaftler erregt, die darin eine Lösung des schwierigen kunstgewerb-
lichen Problems vermuteten. Die Ergebnisse der Untersuchungen sind aber
stets enttäuschend gewesen, da es sich nur um kleinste Betriebe handelte, die
volkswirtschaftlich kaum in Betracht kamen.
 
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