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Mitteilungen des Württembergischen Kunstgewerbevereins — 1907-1908

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Pazaurek, Gustav Edmund: Künstlerische Besuchskarten
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https://doi.org/10.11588/diglit.7713#0061
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Mitteilungen des Wurttembergischen Kunstgewerbevereins.

fragte, was sie „um den Hals zu tragen" oder an dem und jenem Bande
„zu tragen'* berechtigt wären; ferner die Hinzufügung der Photographie, und
zwar auch wieder lediglich bei solchen Personen, deren Gesichtszüge höchstens
ihre allernächsten Anverwandten, sonst aber keine Katze auf dem Erdball
interessierten. Und das schönste waren selbst bei berühmten Männern die
traurigen Surrogate von Buchdruck in Schreibschrift, der die teuerere Litho-
graphie ersetzen wollte, oder von farbig karriertem Kattunmuster auf dem
Karton, als hätte man sich eine Notkarte eben aus der Manschette eines
Touristenhemdes improvisiert.

Gegen solche Entgleisungen bedeutet unsere heutige Zurückführung zur schlichten
Zweckdienlichkeit unleugbar einen Fortschritt, der nicht zu unterschätzen ist.
Nicht nur formell, auch inhaltlich ist eine geschmackvolle Beschränkung
durchaus empfehlenswert. "Wie sich die Monarchen des sogenannten „großen
Titels" nur in den allerseltensten Fällen bedienen, wird auch jeder andere Mensch
gut daran tun, in seinen näheren Bekanntenkreisen solche Karten zu ver-
wenden, die dem bloßen Familiennamen gerade nur so viel hinzufügen, als
zur Unterscheidung von anderen Familienmitgliedern oder Namensvettern un-
bedingt notwendig ist; daneben wird er gewöhnlich eine zweite Art von Karten
brauchen können, die zur Vorstellung oder Einführung in neue Kreise dienen
kann und nebst dem kurzen Titel auch den Wohnort oder die Adresse enthält.
Daß Herr Meyer oder Müller außerdem noch Besitzer der silbernen Medaille
der letzten landwirtschaftlichen Ausstellung von Schweinfurt oder Ehrenmitglied
des Geselligkeitsvereins „Fidelitas" ist, mag für ihn immerhin ein erhebendes
Bewußtsein, einen freudigen Stolz bedeuten; ob aber diese weltbewegenden
Tatsachen gleich bei der allerersten Bekanntschaft nicht unterdrückt werden
dürfen, mag dahingestellt bleiben.

Gerade jenes Land, welches vor drei Menschenaltern in seinem praktisch-
nüchternen Sinn auf so vielen Gebieten die Rückkehr zum schlicht Konstruktiven
in Szene setzte, ist es aber neuerdings, das im bewußten Gegensatz hierzu
wieder auf Schmuckformen aufmerksam macht, die in früheren Zeiten auch
die einfachsten Dinge in unserer Alltagsumgebung auszeichneten. Die englische
Zeitschrift ..The Connoisseur4'* brachte in zwei illustrierten Aufsätzen von Ettore
Modigliani (Februar und April 1905) eine ganze Serie künstlerischer Besuchs-
karten aus dem Ende des 18. und dem Anfange des 19. Jahrhunderts, die uns
doch den Unterschied zwischen einst und jetzt recht fühlbar machen und uns

zu einigem Nachsinnen anregen.

Es soll ja durchaus nicht behauptet
werden, daß alle Besuchskarten früherer
Stilperioden mustergültig sind, aber so
viel ist jedenfalls sicher, daß es nament-
lich in der Zeit von 1780 — 1820 zahl-
reiche, ganz entzückende Kärtchen gab,

Abb. 2.

* Auszug, jedoch ohne Abbildungen, in der „Anti-
quitäten-Zeitung" (Stuttgart vom 5. Dezember 1906). —
Auf denselben Aufsätzen fufst auch der reich
illustrierte Artikel ..Illustrierte Visitenkarten" von
F. B. in der Leipziger ..Illustrierten Zeitung" vom
11. April 1907, Nr. 3328, der ausschließlich auch die
Klischees des englischen Blattes wiedergibt.
 
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