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Verein für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung [Hrsg.]
Nassauische Annalen: Jahrbuch des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung — 62.1951

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Böhme, Hans-Georg: Zur Leiden-Christi-Verehrung im Spätmittelalter: bau- und religionsgeschichtliche Untersuchungen auf Grund der Weilburger Passionskultstätte
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https://doi.org/10.11588/diglit.62671#0090
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Hans-Georg Böhme

Quadratur und Triangulatur beschränken, weist diesen Charakter auf41). Die
Innenraumwände sind in drei Geschossen symmetrisch gegliedert. Von den Stich-
bogenwinkeln aus an die Bögen der Durchbrüche und Blenden gelegte Tangenten
beschreiben gleichschenklige Dreiecke, deren Scheitelpunkte sich etwa in der
Höhe der Zeltdachspitze ergeben. Beim Wechsel der Stützenform im Erdgeschoß
hat der Baumeister wohl den Säulen-Pfeiler-Rhythmus romanischer Kirchen-
schiffe im Auge gehabt. Das Mißverstehen des Gehalts des romanischen Pfeilers
kommt sinnfällig durch die Tatsache zum Ausdruck, daß es sich hier bei den
Pfeilern nicht um reduzierte Mauerbreiten, sondern eigentlich nur um eckige
Säulen handelt. Ein gotisches Element der Innenraumbehandlung ist auch darin
zu erblicken, daß die Zentralwirkung bis zu einem gewissen Grade durch die
offenbar bewußte Betonung einer Westost-Achse abgemildert ist. Sie kommt
einmal durch die Anfügung einer Apsis an die Rotunde zustande. Sie wird betont
durch das im Gegensatz zu den sonst unsymmetrisch angeordneten Belichtungs-
öffnungen senkrecht über dem Apsisgewölbescheitel erscheinende Ostfenster im
Obergaden, das eine Entsprechung außerdem noch im Fenster hinter dem Altar
findet. Durch ein Übereckstellen der rechteckigen Pfeiler des Erdgeschosses in
einer Anordnung, die •— von Westen her gesehen — jeweils die Breitseite der
vorderen und die Schmalseite der hinteren Säule erkennen läßt, entsteht darüber
hinaus die optische Täuschung einer scheinbaren perspektivischen Verkürzung
und damit der Eindruck einer Dehnung des tatsächlichen Rundraums zum Oval.
Alle Details der Steinmetz- und Maurerarbeiten der Kapelle haben spät-
gotischen Charakter. Die Gewölberippenprofile weisen bei rechteckigem Quer-
schnitt beiderseits Hohlkehlen auf. Die Umrißlinien der Tür- und Fenstergewände
sind — unter Außerachtlassung der erst im 19. Jahrhundert entstandenen -—-
spitzbogig oder rechteckig, nie gerundet. Der Zugang von der Vorhalle zum
Zentralraum zeigt einen flachen Kleeblattbogen. Eine Wandverschneidung beim
Westfenster des Erdgeschosses besitzt gar den aus Kreis- und Tangenselementen
zusammengesetzten Schwung des Style flamboyante42). Die Basen und Kapitelle
der Säulen haben ebenso ausgesprochen spätgotischen Charakter wie die Konsolen
der Halbsäulen des Obergeschosses.
Unsere Untersuchung muß sich auch auf das der Heiliggrabkapelle benach-
barte, gelegentlich Kalvarienberg genannte „Heilige Kreuz" erstrecken43). Es
handelt sich dabei um eine edle spätgotische Kreuzigungsgruppe unter einem von
zwölf Säulen und Pfeilern getragenen Baldachindach, an das sich ein kleiner
Altaranbau fügt. Unsere Kenntnis der ungefähren Entstebungszeit ist durch eine
Erwähnung der Kirchenfabrik der Heiligkreuzkapelle vor der Stadt archivalisch
gestützt44). Die Architektur stimmt im übrigen materiell, in ihrer technischen
Ausführung und in ihrer stilistischen Behandlung mit der Heiliggrabkapelle über-
ein. Eine Messung der Säulen- und Pfeilerstärken ergibt bei beiden Bauwerken
nur ganz unerheblich voneinander abweichende Maße45). Von wenigen — nach-
weislich gelegentlich späterer Reparaturen eingesetzten — Werkstücken abge-
sehen, sind die Säulen und Pfeiler des Schutzdachs über dem Heiligen Kreuz
ebenso wie die Kreuze selbst und die Mensaplatte und Fenstergewände der Altar-
nische an der gleichen Fundstelle — mutmaßlich im Schellhof bei Weilburg -—
gebrochen, aus dem auch die entsprechenden Bestandteile der Heiliggrabkapelle
stammen. Auffällig ist, daß die Trommellänge der Säulen der Heiliggrabkapelle
durchschnittlich beträchtlich größer ist als beim Heiligen Kreuz. Bei der Heilig-

41) Görz irrt, wenn er das Gegenteil behauptet.

42) Die Verschneidungen der aus Oktogon- u. Apsiswand gebildeten Kanten sind vielleicht erst
im 19. Jh. in die gegenwärtige Form gebracht worden.

43) Vgl. Anni. 35;Dehio-Gall 194; Luthmer III 4 ff.; K. Heubach, D. Weilburger Calvarien-
berg, in: LuL 1931 S. 41.

44) StAW 88, 223: 1521 Aug. 11 (May); vgl. Schmidt: LuL 1929, 38.

45) Säulenumfang durchschnittlich: Heiliggrabkapelle oben 95,83 cm, unten 96,25 cm; Heiliges
Kreuz oben 94,75 cm, unten 95,88 cm.
 
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