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Verein für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung [Hrsg.]
Nassauische Annalen: Jahrbuch des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung — 62.1951

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Wolf, Karl: Der Beitrag Nassau-Dillenburgs zur landwirtschaftlichen Reform des 18. Jahrhunderts in Deutschland
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https://doi.org/10.11588/diglit.62671#0143
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Der Beitrag Nassau-Dillenburgs zur landwirtschaftlichen Reform 127

Die Gemeinweide, die z. T. aus Wald, z. T. aus entlegenen Weiden und Wüsteneien besteht,
derer niemand wartet und die niemand bessert, nützt keinem in genügender Weise, da dem Gras
nicht genug Zeit zum Wachsen gelassen wird. Alle Gemeinschaft taugt nicht. Am besten wäre es,
die Weiden aufzuteilen und auf den entfernt liegenden neue Dörfer anzulegen. Besonders auf dem
Westerwald sind die Gemarkungen zu groß, die Äcker und Wiesengründe zu weit vom Dorf ent-
fernt. Die neuen Dörfer dürfen nur Kolonien der alten sein. Bei der „Hauptschichtung" könnte
diese Abtrennung mit erledigt werden. Was das gemeine Wesen und die Herrschaft,' auch durch
Zehnten, von dem neuen Rottlande gewinnen würden, ist leicht zu erachten. Nach dem Verfasser
soll eine Abstimmung der Größe der Dörfer im Verhältnis zu der ihrer Flur erfolgen.
Eberhard wendet sich der Hebung der Viehzucht zu und schlägt vor, nach Reinhards Rat
und Erprobung die Futterschäferei einzurichten, die Schafe in Höfen (Pferchen) eingeschlossen
zu halten. Für sie sei der Anbau von Raigras, das anspruchsloser als andere Grassorten sei, not-
wendig. Bei dessen Ausnutzung kann mit einem vollen Erfolg gerechnet werden. Aber trotzdem
wäre es nach des Reformers Gutachten, obwohl die Schafzucht in Nassau und besonders auf dem
Westerwald einen guten und einträglichen Teil der heimischen Landwirtschaft ausmacht, besser,
wenn die lohnendere Rindviehzucht mehr gepflegt würde. Sie liefert sicherere Erträge, da das
Gelingen bei der Schafzucht vom Landmann dem Glück zugeschrieben wird. Wenn sie weiter be-
stehen soll, muß sie gebessert werden. Auf dem Westerwald verpachten die Dörfer die Weiden;
mehr Gewinn würde ihnen zufallen, wenn sie eigene Herden hätten. Da der einzelne zu arm ist, um
Schafe zu kaufen, müssen die Gemeinden, denen leichter Kredit gewährt wird, Schafe anschaffen
und an die Einwohner verteilen. Die im Herbst nicht verkauften Schafe werden schwer durch den
Winter zu bringen sein, aber man baue bessere Futterkräuter, und es wird gelingen. Um feinere
Wolle zu erzielen, müssen spanische und englische Widder beschafft werden. Das Beispiel des
guten Erfolgs im rauhen Klima Schwedens verspricht dem Versuch auf dem Westerwald gleich-
falls ein gutes Ergebnis, da die Gegend viele Vorzüge für die Schafzucht aufweist. Erforderlich
dafür ist, daß erfahrene Männer angestellt werden, um die Wartung zu übernehmen und Unter-
richt in der Schafzucht zu erteilen. Diese gehört auf die Berge, die des Rindviehs in die Täler. Wenn
die Schafzucht verbessert wird, wird die Manufaktur befördert. Flor der Landwirtschaft ist Flor
der Manufaktur. Es entsteht ein Überfluß an Lebensmitteln zu billigen Preisen, so daß die Arbeits-
kraft wohlfeil wird. Die Rohprodukte können im Lande verarbeitet und so zum Vorteil des Landes
ausgeführt werden, während ihre Ausfuhr schädlich ist. Keine Art von Fabriken ist beständiger,
leichter und einträglicher als Wollfabriken. Webstühle stehen seit alten Zeiten in Nassau. Es er-
fordert wenig Mühe und Kosten, sie wieder in Gang und alten Flor zu bringen. In Schweden haben
die Bauern fünfmal so viel Verdienst durch das Weben von Wolltüchern, als wenn sie die Wolle
verkaufen. -Welchen Gewinn könnten die Westerwälder, die den langen Winter hindurch meist
müßig sitzen, erzielen!
Eine ähnliche Goldgrube könnte der Flachs- und Hanfanbau werden, wie Livland, Kurland
und Finnland beweisen. Was könnten nicht Personen beiderlei Geschlechts an langen Winter-
abenden ausrichten! Für den Westerwald wäre dieser Anbau sehr angebracht. Es gibt dort Hau-
berge und Brennfelder, und das Land versagt beim Anbau von Faserpflanzen durchaus nicht. Wer
rühmt nicht den Siegerländer Flachs?
Vorläufig aber drückt die Armut den Landmann so sehr, daß ein Aufkommen der Unter-
tanen durch sie stark gehemmt wird. Da ihm das Geld fehlt, sich Vieh anzuschaffen, muß die oft
verspürte väterliche Milde des Landesherrn helfen. Es wird nicht mehr kosten, einem Bauern einen
Ochsen, ein Pferd, eine Kuh zu überlassen, als ihn mit Saat- oder Brocfrucht zu unterstützen.
Er wird dann bei verbessertem landwirtschaftlichen Betrieb fähig sein, durch Zahlung der
Schatzung die Hilfe zurückzuerstatten. Die Ausgaben für solchen Zweck werden bei weitem den
Nutzen übertreffen, den man bisher aus den Vorschüssen, die Fabriken gewährt worden sind, ge-
habt hat. Aber nur den Fleißigen darf bei der großen Anzahl Unterstützungsbedürftiger geholfen
werden; den Faulen läßt man darben, bis er sich zur Arbeit bequemt. Dann werden bei verbes-
sertem Landbau und Vermehrter Viehzucht die Dörfer sich in verbessertem Stand sehen.
Dieser wird um so schneller erreicht werden, je schneller die Frondienste abgeschafft werden,
die dem Bauern schon bei der Bestellung seiner Felder hinderlich sind und ihm für das ganze Jahr
unwiederbringlichen Schaden verursachen. Die unwillig und unpünktlich geleistete Zwangsarbeit
nützt dem Landesherrn wenig. Auf den Einwand, es würden keine Arbeiter als Ersatz zu bekom-
men sein, entgegnet Eberhard: man verakkordiere und setze die Arbeit auf Taxe, dann wird es
schon gehen, wovon man bereits Proben hat.
Wenn sich infolge der getroffenen Maßnahmen die Verhältnisse der Bauern verbessert haben
werden, dann wird bei ihnen die Neigung entstehen, sich bisher vernachlässigten Zweigen des Feld-
baus zuzuwenden, dem Obst- und Gartenbau. Um diese auf den Dörfern zu fördern, muß ein Ge-
 
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