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Siegel- und Wappenstudien
weniger als zweiunddreißigmal dort geweilt und ist nach vierwöchigem Aufent-
halt in dieser Stadt auch gestorben. Da in der Folge das Oberstift um Aschaffen-
burg sich zum größten zusammenhängenden Landgebiet entwickelte und damit
zum eigentlichen Schwerpunkt des ganzen Kurstaates ward, ist das offenbar von
dort ausgegangene Rad mit Recht in die meisten mainzischen Städtewappen ein-
geführt worden und hat nach Auflösung der politischen Einheit 1803 zuletzt noch
gerade den Rest des Kernes, das „Fürstentum Aschaffenburg", vertreten, bis
dieses 1814 an Bayern fiel. Jahrhundertelange geschichtliche Überlieferungen
wurden dadurch zerschnitten, die gleich der Verkehrslage und den wirtschaft-
lichen Zusammenhängen eindeutig nach dem Westen zur Rheinebene wiesen.
Das alte Balkenwappen des Erzstiftes Mainz (Abb. 1), das aus den Schild-
zeichen hoher Vasallen und bedeutender Ministerialen oben erschlossen wurde,
ist ganz ohne Zweifel unter der Hand von dem Domkapitel weitergeführt worden,
wenn es auch geistlichem Brauch zufolge nicht vor dem 15. Jahrhundert auf
Siegeln oder Münzen zu fassen ist, die andere Bilder gewöhnlich vorziehen.
Immerhin erscheint es auf dem Martinsrelief am Rathaus zu Fritzlar 1441 so-
gleich an erster Stelle vor dem Rad als sichtbarer Ausdruck der vom Kapitel
modifizierten Wahlkapitulation des Erzbischofs Dietrich von Erbach aus 1434 76).
Ebenso ist der gebalkte Schild am Marktbrunnen zu Fritzlar 1564 77) weit statt-
licher ausgehauen als die beiden unter sich gleichgroßen der Stadt und des Erz-
bischofs Daniel Brendel von Homburg, der 1555 dem Kapitel Zugeständnisse
machen mußte78) und daher auch auf der Stadtansicht des „Meyntzischen
Almanachs" für 156579) heraldisch zurücktritt. Ein regelrechtes Allianzwappen
mit dem Kapitelschild vor dem des Erzbischofs Georg Friedrich Greiffenclau zu
Vollrads am Kurfürstlichen Schloß zu Mainz von 16298°) zeigt die gleiche Ord-
nung gemäß der Kapitulation von 162681).
Eine derart selbstbewußte Körperschaft, die als beständige Regierung des
Stiftes mit der jeweils wechselnden Persönlichkeit des Erzbischofs um die Macht
zu ringen wagte, hat ihren rotweißen Balkenschild, den sie grundsätzlich im
Range über das Rad stellte82), gewiß nicht erst eigens zu diesem Zweck am Aus-
gang des Mittelalters frisch erfunden, sondern greift damit offensichtlich auf die
älteste Überlieferung zurück, wie sie z. B. in Fulda für den Lilienschild des
St. Simplicius beim Stiftskonvent und den Kreuzschild des St. Mauritius beim
Abt, ferner auch in Würzburg für Kapitel und Bischof noch in das 13. Jahr-
hundert reicht und dementsprechend für Mainz anzusetzen ist. Noch heute
schauen am nördlichen Marktportal des Mainzer Domes die Balken aus später
Rokoko-Kartusche stolz auf das Treiben einer veränderten Welt herab, während
das jüngere Rad das Gedächtnis an Willegis bewahrt, der zwar edler Abkunft und
weder Fuhrmanns- noch Wagnerssohn gewesen ist, aber doch Aschaffenburg für
das Erzbistum Mainz erworben und so gerade die Voraussetzung für jenes Wap-
pen geschaffen hat, das Sifrid III. nachmals entwarf. Damit enthält auch die alte
Mär von Willegis ein Körnlein geschichtlicher Wahrheit.
76) M. Stimming, Die Wahlkapitulationen der Erzbischöfe u. Kurfürsten v. Mainz, 1909, 4^f.;
C. A. v. Drach, Die Bau- u. Kunstdenkmäler im Reg.-Bez. Cassel II, Kreis Fritzlar, 1909, Atlas
Taf. 12. — 77) v. Drach, Taf. 13. — 78) Stimming 58 f.
79) H. Wothe, Mainz, ein Heimatbuch I 1928 Abb. vor Titelbl.
8°) Wothe II 1929, Bilderatlas Abb. 509. — 81) Stimming 64f.
82) Oft wird die Szene Martins mit dem Bettler nur von dem Balkenschild begleitet, der augen-
scheinhch als Wappen Martins schlechthin verstanden und so auch an zwei Toren des St. Martins-
stiftes in Worms nach dem Ludwigsplatz und der Kämmererstraße hin ausgehauen ist.
Siegel- und Wappenstudien
weniger als zweiunddreißigmal dort geweilt und ist nach vierwöchigem Aufent-
halt in dieser Stadt auch gestorben. Da in der Folge das Oberstift um Aschaffen-
burg sich zum größten zusammenhängenden Landgebiet entwickelte und damit
zum eigentlichen Schwerpunkt des ganzen Kurstaates ward, ist das offenbar von
dort ausgegangene Rad mit Recht in die meisten mainzischen Städtewappen ein-
geführt worden und hat nach Auflösung der politischen Einheit 1803 zuletzt noch
gerade den Rest des Kernes, das „Fürstentum Aschaffenburg", vertreten, bis
dieses 1814 an Bayern fiel. Jahrhundertelange geschichtliche Überlieferungen
wurden dadurch zerschnitten, die gleich der Verkehrslage und den wirtschaft-
lichen Zusammenhängen eindeutig nach dem Westen zur Rheinebene wiesen.
Das alte Balkenwappen des Erzstiftes Mainz (Abb. 1), das aus den Schild-
zeichen hoher Vasallen und bedeutender Ministerialen oben erschlossen wurde,
ist ganz ohne Zweifel unter der Hand von dem Domkapitel weitergeführt worden,
wenn es auch geistlichem Brauch zufolge nicht vor dem 15. Jahrhundert auf
Siegeln oder Münzen zu fassen ist, die andere Bilder gewöhnlich vorziehen.
Immerhin erscheint es auf dem Martinsrelief am Rathaus zu Fritzlar 1441 so-
gleich an erster Stelle vor dem Rad als sichtbarer Ausdruck der vom Kapitel
modifizierten Wahlkapitulation des Erzbischofs Dietrich von Erbach aus 1434 76).
Ebenso ist der gebalkte Schild am Marktbrunnen zu Fritzlar 1564 77) weit statt-
licher ausgehauen als die beiden unter sich gleichgroßen der Stadt und des Erz-
bischofs Daniel Brendel von Homburg, der 1555 dem Kapitel Zugeständnisse
machen mußte78) und daher auch auf der Stadtansicht des „Meyntzischen
Almanachs" für 156579) heraldisch zurücktritt. Ein regelrechtes Allianzwappen
mit dem Kapitelschild vor dem des Erzbischofs Georg Friedrich Greiffenclau zu
Vollrads am Kurfürstlichen Schloß zu Mainz von 16298°) zeigt die gleiche Ord-
nung gemäß der Kapitulation von 162681).
Eine derart selbstbewußte Körperschaft, die als beständige Regierung des
Stiftes mit der jeweils wechselnden Persönlichkeit des Erzbischofs um die Macht
zu ringen wagte, hat ihren rotweißen Balkenschild, den sie grundsätzlich im
Range über das Rad stellte82), gewiß nicht erst eigens zu diesem Zweck am Aus-
gang des Mittelalters frisch erfunden, sondern greift damit offensichtlich auf die
älteste Überlieferung zurück, wie sie z. B. in Fulda für den Lilienschild des
St. Simplicius beim Stiftskonvent und den Kreuzschild des St. Mauritius beim
Abt, ferner auch in Würzburg für Kapitel und Bischof noch in das 13. Jahr-
hundert reicht und dementsprechend für Mainz anzusetzen ist. Noch heute
schauen am nördlichen Marktportal des Mainzer Domes die Balken aus später
Rokoko-Kartusche stolz auf das Treiben einer veränderten Welt herab, während
das jüngere Rad das Gedächtnis an Willegis bewahrt, der zwar edler Abkunft und
weder Fuhrmanns- noch Wagnerssohn gewesen ist, aber doch Aschaffenburg für
das Erzbistum Mainz erworben und so gerade die Voraussetzung für jenes Wap-
pen geschaffen hat, das Sifrid III. nachmals entwarf. Damit enthält auch die alte
Mär von Willegis ein Körnlein geschichtlicher Wahrheit.
76) M. Stimming, Die Wahlkapitulationen der Erzbischöfe u. Kurfürsten v. Mainz, 1909, 4^f.;
C. A. v. Drach, Die Bau- u. Kunstdenkmäler im Reg.-Bez. Cassel II, Kreis Fritzlar, 1909, Atlas
Taf. 12. — 77) v. Drach, Taf. 13. — 78) Stimming 58 f.
79) H. Wothe, Mainz, ein Heimatbuch I 1928 Abb. vor Titelbl.
8°) Wothe II 1929, Bilderatlas Abb. 509. — 81) Stimming 64f.
82) Oft wird die Szene Martins mit dem Bettler nur von dem Balkenschild begleitet, der augen-
scheinhch als Wappen Martins schlechthin verstanden und so auch an zwei Toren des St. Martins-
stiftes in Worms nach dem Ludwigsplatz und der Kämmererstraße hin ausgehauen ist.