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Galerie Hella Nebelung
Bilder von Buschmann, Berke, Champion, Erdle, Fassbender, Goller, Hundt, Janssen, Kampf, Neyers, Petersen, Schroers, Trier, Weitz und Andere: Zeitgenössische Graphik und Plastik 1947/48 — Düsseldorf: Galerie Hella Nebelung, 1947

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.73208#0013
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GERHARD NEBEL

Die Landschaften dieser Erde nun treten in die individuellen Welten der Menschen ein, und man kann vielleicht
sagen, daß das für die Elementardämonen ein ebenso großes Ereignis ist wie für die Menschen. Eine Landschaft
hat zwar ihr besonderes Wesen, aber zugleich bleibt dieses Wesen innerhalb gewisser Grenzen, die zu über-
schreiten ein Akt der Verfälschung wäre, unbestimmt, und zwar nicht aus Dürftigkeit, sondern aus dem Reich-
tum, der allem Elementaren zukommt. Die Landschaft sehnt sich aber danach, aus der Fülle ihrer Möglichkeiten
in die Entschiedenheit einer einzigen Wirklichkeit einzugehen, und das widerfährt ihr, wenn sie sich in die per-
spektivische Welt eines Menschen fügt. Die Elementardämonen sind stumm und auf den Menschen als den-
jenigen angewiesen, der sie zum Sprechen und zu einem konkreten Sein bringt. Der Mensch kann durch die
Wirklichkeit seiner individuellen Welt das Elementare erlösen, und nur durch ihn kommt es zu sich selbst.
In den banausischen Räumen, in denen das Langweilig-Allgemeine, das für alle Welten Identische vorwiegt,
wird dieses Glück der Konkretion den Landschaften nur unvollkommen zuteil, und so drängen sie denn
gleichsam danach, zu Teilen einer völlig durchgeformten und energisch subjektivierten Welt zu werden. Über
solche Welten aber verfügen nur die Künstler, und sie sind darum die großen Erlöser des Elementaren. Der
Freude, die der Dämon empfindet, wenn er durch den Menschen sich verlautbart, entspricht die Seligkeit, die
der Mensch fühlt, wenn seine Welt sich durch ein neues Ereignis bereichert und vertieft.
Der Künstler hat den entschlossenen Mut zur Subjektivität, die unser Schicksal ist, und nun geschieht das
Wunder, daß seine Welt um so wahrer, gültiger, objektiver wird, je kräftiger er seine individuellen Perspek-
tiven ausarbeitet, je mehr er sich von der allgemeinen Übereinkunft entfernt, je abgelegenere Wege seine for-
mende Phantasie geht. Er drückt den Sinn einer Landschaft um so reiner und unverdeckter aus, je inniger er
sie seinem Wesen angleicht. Das Wunder, das sich hier ereignet, ist das der Schönheit. Im Schönen wird die
Subjektivität objektiv, und das Gegenständliche wird individuell. Der Künstler erschafft eine neue Welt,
aber sie ist um so mehr die „alte“, je neuer sie ist, und der elementare Reichtum läßt nur übersieh verfügen,
wenn man ihn nicht mit den Mitteln des Naturalismus und in der Selbstpreisgabe, sondern auf den Flügeln
einer schöpferischen Phantasie angeht.
Brief an Robert Pudlich aus dem Band „An der Mosel“, der dem-
nächst im Marees-Verlag erscheinen wird.

Zum dritten Male modern
Auszug aus Anmerkungen zu einer Berliner Ausstellung im Jahre 1945 von Paul Fechter
Es gab Ende 1945 im Hause der Kunstkammer in der Schlüterstraße die erste Ausstellung nach dem Kriege.
Von lebenden Malern und auch verstorbenen Bildhauern Gemälde, Aquarelle, etwas Graphik — Werke von
Carl Hofer, Pechstein, Kirchner, Schmidt-Rottluff, Oscar Moll, also Modernes, aber wessen? Von heute?
Kaum: dafür hätte man Leute zwischen zwanzig und dreißig bringen sollen, und die hatten Krieg spielen
müssen, statt zu malen. Von gestern, aus der Zeit vor 1933 ? Auch nicht; dazu hätte man die Generationen
von 1905 bis 1910 etwa heranholen müssen. Was man zeigte, war Expressionismus, d. h. die Malerei der um
1880 Geborenen, die um 1900 aktuell und zeitgemäß war. Diese Maler hatten zuerst 1905 ausgestellt
und der alten impressionistischen Moderne Berlins und Münchens den Krieg erklärt: sie gehörten in das erste
Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts; dessen Moderne waren und sind sie, aber nicht die von heute. Sie waren im
Grunde schon 1914 historisch, die Brückenleute von Pechstein und Heckel bis zu Nolde und Kirchner und
Schmidt-Rottluff: die Revolution von 1918 gab ihnen eine neue Aktualität, und sie wurden zum zweiten Male
modern. Zwischen 1920 und 1930 war das erste Zeitalter der Wiederholung, der Rekapitulation. Der Sana-
toriumsstil kehrte als Wohnmaschine und neue Sachlichkeit wieder: der Expressionismus, der Kubismus,
die abstrakte Malerei, deren natürlicher Boden die Zeit vor dem ersten Krieg gewesen war, in der sie für die
damals Lebenden wirklich den unmittelbaren Reiz desZeitgemäßen, das Beglückende des Modernen hatten;
der Expressionismus mit all seinen Abarten wurde..zum zweiten Male Zeitmode, nicht nur während der Inflation,
sondern bis zum Verklingen der lebendigen Anteilnahme an der Malerei überhaupt bei uns wie in Frankreich.
Die Ausstellung George Rouaults bei Flechtheim war die letzte wirklich moderne französische Ausstellung,
die von Werner Scholz die letzte deutsche. Dann begann-das Bröckeln; die Beziehungen zwischen Publikum
und Malern lockerten sich weit über das Maß, das schon im allgemeinen den Volksanteil an der Kunst begrenzt-
und dann kam 1933. Kam das Ende der natürlichen Entwicklung.
Jetzt aber kommt der Expressionismus, kommt die Malerei der Generation von 1880 zum dritten Male wieder
als das Moderne. Es ist herrlich, ihm von neuem zu begegnen; es ist beglückend, die lange Verfemten, von
uns Ferngehaltenen endlich wiederzusehen; aber für wen beglückend? Für uns, für ihre Zeit- und Alters-
genossen, für die Menschen, die 1905 die erste Modernität dieser Phase unserer Malerei erlebten und über das
Zwischenspiel der zwanziger Jahre den Göttern ihrer Jugend Treue bewahrt haben. Was aber soll die Jugend
von heute damit anfangen ? Kann man von ihr verlangen, daß sie diese Malerei von 1905 bis 1910, die Ausdruck
einer Zeit war, die lange vor der Geburt der heute Jungen liegt, wirklich als Form und Gestalt ihres Wesens,
ihrer Beziehung zur Welt empfindet und nicht als etwas, das längst hinter uns liegt, was längst Geschichte
und Konversationslexikon für sie ist ?
 
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