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Das neue Frankfurt: internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung — 2.1928

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DISKUS

S I O N E N

POLITIK:LOBENSWERT..ÄSTHETIK: MANGELHAFT

„Ach, möchten doch die Jüngern auch einmal (o würdig, fo unver-
braucht Bilanz machen können!" alfo begrüßte die „Weltbühne"
den 25. Jahrgang „Kunft und Künftler". Wenn zwar formal der
Stohfeufzer nicht behauptet, daß die Jüngern keine fo günftige
Bilanz aufweifen werden — dem Tone und dem Sinne nach be-
hauptet ers, und diefer Ton und Sinn i(t charakteriftifch für viele
unferer politifch Radikalen und ihre künstlerifche Inftinktloligkeit
(eine rühmliche Ausnahme: Leo Trotjki). Es scheint im Allgemeinen,
darj (ich der Radikale für feinen politifchen Rationalismus durch
verdoppelte Romantik in allen Kunltangelegenheifen (chadlos
halten muß.

Man mag die Helden von „Kunft und Künstler", die Manet, Leibi,
Courbet, noch fo hoch einlchäßen, fo kann man (ie doch nicht gut
als Endhalteftelle der Kunft auffaffen. Daß heute niemand „fo malen
kann", ift zunächft nicht eine Sache der Qualität, fondern des Stiles.
Stellen wir uns eine Glaspalaft-Ausftellung 1928 vor, in der nur
(chönfte neue Bilder ä la Manet und Leibi hingen, fo wäre fie ge-
wiß (ehr „fchön", aber wir würden lie als Mufeum, als Hiftorie, als
Retrofpektive empfinden, nicht als natürliches, notwendiges Produkt
unferer Zeit.

Schön, (agt man, fie follen anders malen, die Modernen. Aber
wo find heute Perfönlichkeiten von der Größe eines Leibi, eines
Courbet? — Angenommen, fie fehlten tatfächlich (was keineswegs
meine Meinung ift), fo möchte ich den radikalen Politik-Kritiker
fragen, ob er aus dem Umftand, daf5 möglicherweife Bismarck die
(tärkfte Perfönlichkeit unferer politifchen Wirklichkeit noch immer
ift, den Schlufj ziehen möchte, fich an heutiger Politik zu des-
intereffieren und zu Bismarcks Maximen zurückzukehren? Ob nicht
die Arbeit heute vielleicht wichtiger ift, auch wenn die einzelnen
Perfonen in Regierung und Parlament keine Bismarck-Säulen find?
Der kollektive Sinn einer Arbeit ift das Entfcheidende, nicht das
individuelle Maß der Beteiligten.
Auch in der Kunft?

Allerdings! Hören wir doch endlich auf, die Kunft unter das phili-
ftröfe Ausnahmegefeß des Sonntag-Nachmittags zu (teilen. Die
Jüngern hätten künftlerifch ganz außerordentlich Wichtiges für die
menfchliche Gefellfchaft felbft dann geleiftet, wenn fie wirklich
kein einziges Bild vom Range eines Courbet oder Leibi gemalt
hätten. (Der 50. Jahrgang „Kunst und Künftfer" wird beweifen, dafj
die Picaffo, Bracque, Malewicz, Marc „große Perfönlichkeiten"
waren . .. oder auch er wird bei den Impreffioniften Wache ffehen).
Das fchön gemalte Bild, die fchöne Figur, die fchön gegliederte
Fassade find kein untrüglicher Gradmeffer der Kunft, und wer nur

immer auf fie hinfieht, wird das Wichtigfte vielleicht nicht fehen.
Wie, wenn aus einem tieferen Gefühl für menfchliche Verantwor-
tung eine neue Generation bewußf fich gegen das fchöne Einzel-
Objekt wendet und Schritt für Schritt den unerhört fchwierigen
Weg (ucht zu einer Kunft, die das Leben der Allgemeinheit ge-
haltet, bei höherer Wirkung mehr und mehr unfichtbar wird, in
einen anderen Aggregat=Zuftand übergeht? Ein Gas kann ja wohl
auch unerhört wirkfam fein, aber für den, der nur an fichtbare
Gegenftände glaubt, ift es nichts. Die Arbeit (olcher Künftler kann
man nicht mehr an der Qualität Leibi oder Manet meffen, fo wenig
man modernen Städtebau an Palladio oder Bramanfe meffen
kann.

Aber es müffen doch Leiftungen da fein? Richtig! Aber nehmen
wir doch, wenn es fich um eine Bilanz handelt,das Ganze der künft-
lerifchen Arbeit. Wieviel ift denn von dem Bauen der Leibi-Zeit
heute noch erträglich? Andererfeits: follte nicht der Film einen
neuen und äußerft wichtigen Abfchnitt ... zwar nicht der Malerei
im engeren Sinne, aber der Bildkunff bedeuten, und kann ernft-
Iich beftritten werden, dafj der Film der Arbeit junger Künftler,
die zumeift von der Malerei herkamen wie Eggeling, Ruttmann,
Leger, Picabia, Richter, ganz Entfcheidendes verdankt — auch
wenn wir glauben, daß die Entwicklung des bewegten Bildes imRaum,
das gleichzeitig Hunderttaufende fehen, erff eben begonnen hat.
Sollte bei einer gerechten Bilanz folche unterirdifche, vorbauende
Arbeit nicht zu berückfichtigen fein? Sie an Courbet und Leibi zu
meffen, ift durchaus irreführend.

Karl Scheffler, fo rühmt die „Weltbühne", hat keinen der von ihm
Verworfenen zum Jubiläum amneftiert. Ich weih nicht, ob die von
feinem Bannltrahl Betroffenen an den Tag fo vermeffene Hoff-
nungen geknüpft haben, wie die „Politifchen" an Hindenburgs
Geburtstag. Aber man kann nicht gut das Ausbleiben der Amneftie
für die Nieder-Schönenfelder brandmarken und das Ausbleiben
der Scheffler-Amneftie hochleben laffen. Die Urfache ift ja hier
und dort die gleiche: der Haß des auf fichtbaren, foliden Ruhm
geftüßten Bürgers gegen den Aufrührer, Mangel an gutem Willen
zum Umlernen.

Nehme ich einen flüchtigen Stohfeufzer der „Weltbühne" zu wich-
tig? — Er war fo ehrlich, weil er (o flüchtig war. Und ich antworte
ihm, weil es fchade ift, daß Viele, die politifch für offene Fenfter
find, in der Kunft noch immer für die fchön verhängte gute Stube
(chwärmen. Adolf Behne

Am 26. April hielt der Architekt Viktor Bourgeois im „Saal
Matteoti" des Volkshaufes Brüffel einen Vortrag über „Francfort
für le Mein, ville moderne", ferner über die Werkbundausftellung
in Stuttgart 1927.

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