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Das neue Frankfurt: internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung — 2.1928

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May, Ernst: Die neue Schule
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https://doi.org/10.11588/diglit.17441#0313

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DRITTER TEIL: DIE ARCHITEKTUR DER NEUEN SCHULE

DIE NEUE SCHULE Von Stadtrat Ernlt May-Frankfurt a. M.

Nicht die Schulen find moderne Schulen, die, in dem letzten Jahrzehnt erbaut,
um ein altes Programm einen neuzeitlichen Mantel hängen, fondern jene,
die dem Grundwefen unferer lebendigenArchitekturbewegung gemäfj das
geiftige Problem der neuen Schule zum Ausgangspunkt einer neuen Ge-
ftaltung machen. Bei der ausfchlaggebenden Bedeutung, die der Erziehung
der Jugend in zeitbejahendem, lebendigem Sinne für die gefamten künfti-
gen Gefchicke unferes Landes beizumeffen ift, verfteht man heute kaum,
dafj die Saat, die fortfchrittliche Pädagogen feit Jahrzehnten fäten, um das
ftarre Schulfyftem, das ich fchlechthin als Paukerfyftem bezeichnen möchte, zu
erfetzen durch neue Methoden, wie fie die Arbeitsfchulen erftreben, d. h.
durch eine Bewältigung des Lehrftoffes in kameradfchaftlicher Gemeinfchafts-
arbeit zwifchen Lehrer und Schüler, nicht längft aufgegangen ift und reiche
Früchte getragen hat. Wir Deutfche neigten im Gegenfatz zu den Angel-
fachfen von altersher zu einfeitiger Ueberfchätzung reiner Wiffensanhäufung,
felbft auf Koften der Charakterbildung, während die Engländer dem anderen
Extrem verfallen zu fein fchienen. Exponent der englifchen Erziehungsme-
thoden war für uns feit altersher derEton-Boy, d. h. der fchon mit 12-13 Jahren
erftaunlich gefeftigte, weltgewandte Schüler, der fich leicht in allen Lebens-
lagen zurechtfindet. Ihm ftand bei uns der mit Buchgelehrfamkeit gefättigte,
für das praktifche Leben meift unbrauchbare deutfche Pennäler gegenüber,
dem erft in der Militärzeit eine gewiffe Mannhaftigkeit anerzogen werden
muhte und zwar häufig unter gleichzeitiger Zerftörung feinerer feelifcher
Werte. Im letzten Jahrzehnt haben fich nun die deutfchen und englifchen Er-
ziehungsmethoden zweifellos infofern etwas angenähert, als die englifche
Jugend einiges von ihrer übertriebenen Sportbegeifterung zu Gunften ftär-
kerer Wiffensvertiefung aufgab, während wir Deutfche den Sport entdeckten,
und zwar gleich fo gründlich, dah es heute fchon beinahe notwendig erfcheint,
vor Uebertreibungen zu warnen. Nicht geändert hat fich aber das Unterrichts-
fyftem, diefes einfeitige Dozieren, das den Schüler ermüdet, jene Frage-
ftellung und jenes Auffagen, das den Durchfchnittsfchüler nur zu leicht dazu
herausfordert, fich, wenn er „erft dran war" für den weiteren Teil des Unter-
richtes zu desintereffieren. Ich hatte kürzlich Gelegenheit, einigen Stunden in
einer Berliner Schule beizuwohnen, in der der Gemeinfchaftsunterricht das
frühere Syftem erfetzt hatte und habe feiten fo ftark den Atem einer neuen
Zeit verfpürt wie in diefem wechfelfeitigen Gedankenaustaufch begeifterter
aufgefchloffener junger Menfchen, die gemeinfam mit ihrem Lehrer ihr Wiffen
erarbeiteten.

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