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Das neue Frankfurt: internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung — 2.1928

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Wichert, Fritz: Die neue Baukunst als Erzieher
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https://doi.org/10.11588/diglit.17441#0323

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Alles, was neue Baukunft geftaltet, ift auf Natur bezogen. Sie fetjt ihre Sied-
lungen ins Grüne, an die äuherfte Grenze der Städte, (ie forgt für gute Luft,
fie will Berührung mit dem Boden, mit Tier und Pflanze, fie lehrt eine neue
Vertrautheit mit Wind und Wetter und allen Naturereigniffen, die Wachfen
und Vergehen bedingen.

Die neue Baukunft bevorzugt die Höhenlage und richtet Dächer zum Aufent-
halt ein. Da fie das Helle und das überfichtlich Weite befonders liebt, bewirkt
fie auch im Geiftigen Helligkeit und Weite.

Ein Schulzimmer im neuen Stil ift von der Außenwelt kaum getrennt. Unter-
richt in ihm ift wie Unterricht im Freien, nur mit dem Vorfeil, dafj ihm die zur
Konzentration nötige Raumgrenze nicht fehlt.

Die mancherlei Bemühungen, dem Kinde zu feinem Recht zu verhelfen, feine
natürliche, oder wie es immer heifjt „fchöpferifche" Gabe zu entwickeln, es zu
geffalfender Tätigkeit anzuleiten, vor dem fadiftifchen Mihbrauch der Über-
macht Erwachfener zu bewahren — dies alles fieht nicht feiten aus wie Plan-
lofigkeit und Schwäche.

Befragt man den neuen Bauftil, fo ift feine Meinung über diefen Punkt: In der
Kinderbehandlung werden wir bald zu einer „neuen Strenge" kommen. Eine
Strenge allerdings ohne Kopfnüffe, Ohrfeigen, Rohrftock oder irgendwelche
Gewalt. Eine liebevolle, lichtvolle, heitere aber doch fehr gradlinige, uner-
fchüfterliche Strenge. Feffigkeit ohne Härte, Beftimmtheit ohne Zwingerei, Kraft
ohne Rohheit. Wer dies nicht fieht, hat das Wefen des neuen Bauftils noch
nicht erfafjt, der fordert, dafj man Gefetj freiwillig auf fich nimmt und fich dem
Ganzen einordne.

Als Lettes: Es heifjt, der neue Bauftil erwachfe rein aus Zweckerfüllung,
konftruktiver Notwendigkeit, wirtfchaftlichem Bedürfnis und anderen Faktoren
praktifcher Gebundenheit. Immer wieder werden diefe Sätje verkündet, und
fo ift es kein Wunder, wenn der Glaube entfteht, das neue Bauen fei der
Ausdruck einer nüchternen, materiellen und der Befriedigung ungeiftiger Be-
dürfniffe dienenden Gefinnung. Wir halten das Gegenteil für wahr. Diefe
Häufer, die fo leicht und anfpruchslos geftaltet find, erfcheinen in der Tat als
Erzieher zu neuer Geiftigkeit. Während fie darauf angelegt find, ihren Be-
wohnern die reinften und gefündeften Lebensquellen zu erfchliefyen, fordern
fie auf der anderen Seite eine gewiffe Askefe, Verzicht auf mancherlei un-
geiftige Behaglichkeit und Einfügung in die Gemeinfchaft. Innerhalb der
Grenzen, die die Gleichordnung verlangt, leiten fie hin zu einem Leben der
Tat und der inneren Vertiefung.

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