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Das neue Frankfurt: internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung — 3.1929

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Loos, Adolf: Das Sitzmöbel
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https://doi.org/10.11588/diglit.17291#0046

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am beften paffenden Sit} ausfuchen. Eine Ausnahme bilden blofj jene Räume,
die nur zeitweife von allen Infaffen zu demfelben Zwecke benutjt werden.
So der Tanzfaal und das Speifezimmer. Der drawing room aber, unfer Salon,
wird feiner Beftimmung gemäf) leichte, alfo leicht transportable Seffel aufweifen.
Auch find diefe nicht zum Ausruhen da, fondern um bei leichter anregender
Konverfation die Sitjgelegenheit zu bieten. Auf kleinen, kapriziöfen Seffeln
plaudert fich's leichter als im Grofjvaterftuhl. Daher werden auch folche Seffel
gebaut. Die Wiener, die entweder ihre Beftimmung nicht kannten oder viel-
leicht einen Patentfeffel für alle Sirjeventualitäten im Auge hatten, nannten
fie daher unpraktifch.

überhaupt möge man mit dem Worte unpraktifch recht vorfichfig umgehen.
Ich habe fchon früher darauf hingewiefen, darj unter Umftänden eine un-
bequeme Stellung bequem fein kann. Die Griechen, die von einem Seffel
verlangten, dafj er der Krümmung des Rückgrates recht grofjen Spielraum
gewähre — man denke nur an die zufammengekauerten Geftalten Alma
Tademas — würden auch unfere Rückenlehnen unbequem finden, da wir
unfere Schulterblätter geftüfjt haben wollen.
Praktifch foll alfo jeder Stuhl fein. Wenn man den Leuten daher nur prak- £eSKAN,$CHER BUREAUSTUHL mit Dreh-
tifche Seffel baute, würde man ihnen die Möglichkeit bieten, fich ohne Hilfe
des Dekorateurs vollkommen einzurichten. Vollkommene Möbel geben voll-
kommene Zimmer. Unfere Tapezierer, Architekten, Maler, Bildhauer, Deko-
rateure ufw. mögen fich daher nur, fobald es fich um Wohnräume und nicht
um Prunkräume handelt, darauf befchränken, vollkommene, praktifche Möbel
in den Handel zu bringen. Gegenwärtig find wir in diefer Beziehung auf
den englifchen Import angewiefen, und man kann leider unferen Tifchlern

I . . „ Dil i j- r T l r -L L-ü ENGLISCHER ARMLEHNSESSEL, Modell der

keinen beileren Kat geben, als diele lypen zu kopieren. Oewih hatten Goodearl Brothers Ltd. High Wycombe
unfere Tifchler, wenn man ihnen nicht den Kontakt mit dem Leben durch-
fchnitten hätte, ganz ohne alle Beeinfluffung ähnliche Seffel erzeugt. Denn
zwifchen dem Tifchlermöbel einer Kulturanfchauung und ein und derfelben
Zeit gibt es nur fo kleine Unterfchiede, dafj fie nur dem genauen Kenner
auffallen können.

Die Möbel haben von Jahrhundert zu Jahrhundert immer mehr verwand-
fchaftliche Züge angenommen. Schon am Anfange diefes Jahrhunderts konnte
man die Unterfchiede zwifchen einem Wiener Seffel und einem Londoner
chair nur fchwer fehen. Das war zu einer Zeit, als man wochenlang in der
Poftkutfche firjen mufjte, um von Wien nach London zu kommen. Und nun
finden fich fonderbare Heilige, die im Zeitalter der Exprefjzüge und der
Telegraphen künftlich eine chinefifche Mauer um uns errichten wollen. Doch
das ift unmöglich. Ein gleiches Effen wird ein gleiches Efjbefteck, ein gleiches
Arbeiten und ein gleiches Ausruhen einen gleichen Seffel zur Folge haben.
Eine Verfündigung an unferer Kultur wäre es aber, wenn man die Forde-
rung an uns ftellen würde, unfere Speifegewohnheiten aufzugeben, und

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