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Das neue Frankfurt: internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung — 3.1929

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Václavek, Bedřich: Die Situation der künstlerischen Avantgarde in der Tschechoslowakei
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DIE JUNGEN

TSCHECHEN

DIE SITUATION DER KUNSTLERISCHEN AVANT«
GARDE IN DER TSCHECHOSLOWAKEI.

Die künftlerifche Avantgarde in der Tfchechodowakei, die die
Gruppe „Devetsil" repräfentierf, macht eine Epoche durch, die man
die Ära der „Stabilifation" nennen könnte. Die erften heftigen
Kämpfe lind ausgekämpft, die Wege klargelegt, dauernde Ideen
— und Arbeitsgemeinfchaft mit den ausländifchen Gruppen her-
geltellt — jetjt kommt die eigene, tägliche Arbeit an die Reihe.
Nach den erften Zeitfchriften von kurzer Dauer, die den
Konftruktivismus und „Poetismus" durchkämpften (Disk, Päsmo),
und nach den erften Almanachen (Devetsil, Zivot II 1922), mit
denen man manifeftierfe, kam eine Paufe, die im Jahre 1927 der
Almanach „Front" ausfüllte, der beftrebt war, die Einheitlich-
keit der modernen Beftrebungen in den einzelnen Künften aller
Länder fowie der Weltanfchauung der Avantgarde zu dokumen-
tieren. Seit Herbft 1927 erfcheint monatlich unter der Redaktion
von Karl Teige in Prag die internationale Zeitfehriff für moderne
Geftaltung „ReD", die die Zeitfchrift der Konftruktiviften in der
Tfchechodowakei ift und die Arbeiten der jungen Generation
publiziert.

Auf dem Gebiete der Architektur leiftete die tfchechoflowa-
kifche Avantgarde die theoretilche Pionierarbeit (in der „Sfavba"
u. a.) und gewann dadurch teilweife auch auf die ältere Generation
Einflufj. Die jungen Architekten (J. Krejcar, J. Chochol, O. Tyl,
V. Obrfel, K. Honzfk, E. Wiesner, B. Fuchs ufw.) gelangen jerjt
nach und nach in ziemlich ausgiebigem Mafje zur praktifchen
Arbeit. Dabei entfteht felbffverftändlich die Frage der Kompro-
miffe mit den heutigen Verhältniffen, unter denen die endlichen
Realifationen der konftruktiviftifchen Architektur undurchführbar
find. Hoffen wir, dafj die Konftruktiviften keinen Schritt weiter
weichen werden als nötig ift.

Die Siedlung „Neues Bauen" in Brünn 1928. Aus der Zeitfchrift „Stavba

Die Malerei brachte die Avantgarde zu ihren äurjerften Folge-
rungen, zur gegenftandlofen und furrealiftifchen Malerei. Die
Schöpfer derfelben (Si'ma, Toyen, Styrsky u. a.) haben den Vor-
zug, dafj fie der dürren Abftraktion vorzubeugen und eine wirk-
lich noch lebendige Malerei zu fchaffen wiffen. Die naturaliftifche
Reaktion, die fogenannte „neue Sachlichkeit" fetjte bei den füh-
renden Malern überhaupt nicht ein. — Die P I a fti k brachte keine
bedeutenderen Erfcheinungen hervor.

Auf dem Gebiete des Films blieb die Avantgarde vorläufig bei
der theoretifchen Arbeit ftecken (das Buch K. Teiges: Film). Ver-
fuche, Einflufj auf die Filmproduktion auf dem Umwege über
Filmreferafe der Zeitungen zu gewinnen, erreichten vorläufig keinen
nennenswerten Erfolg, höchftens den, dafj die Filmproduzenten
teilweife dem fchlimmften Kitfeh vorzubeugen trachten. Vorläufig
arbeitet die Avantgarde auf diefem Gebiet nur durch Filmlibrettos
und Propagation der reinen Kinographie.

Sehr früh fchon nahm die Avantgarde die Arbeit auf dem Gebiete
des Theaters auf, indem fie im Geifte des ruffifchen konftrukti-
viftifchen Theaters weiterarbeitete. Nach Honzl's Buch „Aufgedrehte
Bühne" entftand das „Befreite Theater", das unter Honzl's Regie
bereits zahlreiche moderne Spiele infzeniert hat wie Cocteau,
Ribemont-Dessaignes, G. Apollinaire, Iv. Göll, Marinettihunz, von
tfchechifchen Autoren Nezval, Voskovec, Mähen, Vancura u. a.
und in dem Ehrenburg, Majakowskij und Corbusier feinerzeit mit
Vorträgen gaftierten. Es ift heute das einzige Theater in der S C R,
das für die Moderne in Frage kommt, obwohl es mit finanziellen
Schwierigkeiten und bürgerlicher Ungunftzu kämpfen hat.
In der Mufik fcheint die Vierteltonmufik des Prager Profeffors
Häba und feiner Schüler die Hauptleiftung der Avantgarde zu
fein, denn fie wurde zum Ausgangspunkt nicht nur mufikalifcher
Spekulationen, fondern auch mufikalifchenSchaffens. Einige andere
Komponiften trachten den Jazz für die Mufik fruchtbar zu machen
und E. F. Burian, der mit feiner rezitatorifch-mufikalifchen Schöp-
fung dem „Voiceband" bekannt wurde. Die Arbeit auf mufikali-
fchem Gebiet ift nicht fo konzentriert, wie auf den anderen Gebie-
ten; fie fteht auch in Verbindung mit verfchiedenen traditionellen
Anttalten und Unternehmungen.

Eine ganze „Schule" hat die Avantgarde in der Literatur ge-
macht. In der Lyrik ift fie von der proletarifchen Poefie ausge-
gangen. Ihre Vertreter, Seifert, Nezval, Biebl, Halas, Zävada u. a.r
ftehen zur Zeit am Scheidewege. Die Lyriker gehen zur Profa über,
die Prolaiker wie Vancura zum Drama, ohne jedoch diele Gat-
tungen im alten Sinne zu pflegen. Die theoretifche Zufammen-
faffung der bisherigen Arbeit unternahm der Unterzeichnete in
einem voriges Jahr erfchienenen Buche.

B. Väclavek.

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