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Das neue Frankfurt: internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung — 3.1929

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Swarzenski, Georg: Das Museum der Gegenwart
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https://doi.org/10.11588/diglit.17291#0254

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NEUGESTALTUI
DAS MUSEUM DER GEGENWART

Die Diskullion um das „Muleum der Gegenwart" ift reich an Mirj-
verftändniden; ich hoffe, fie werden durch die folgenden Sätje nicht
vergrößert.

Die Mufeen, belonders die deutlchen, (ind (eit Jahrzehnten dem
Schaffen der jeweiligen Gegenwarteng verknüpft. Die Verknüpfung
ilt einerfeits fo zarter, geiltiger Natur, dafj lie von manchen nicht
erkannt wird; lie werfen die Muleen zum alten Eilen. Andererfeits
Itanden und ftehen die Muleen dem künltlerifchen Leben fo nahe,
dah es begreiflich ift, wenn die fchaffenden Energien im Mufeum
vor allem oder ausfchliehlich ein geeignetes Inftrument für die Ver-
wirklichung ihrer eigenen Ziele und Ideen erblicken möchten. Daher
das Fragen, Suchen, Verlangen nach einem neuen Muleumstyp.
Es handelt fich bei dem geforderten „Mufeum der Gegenwart"
nicht etwa um „eine reine Kunft- und Kunftgewerbe-Sammlung
moderner Art" oder um „eine Weifererftreckung des alten mufealen
Sammelprinzips bis zur Gegenwart". Das gibt es ja, und diskutabel
ilt dabei nur das Tempo und Quantum. Selbft die Auseinander-
fetjung Zwilchen dem modernen Typen- und Serienftück, das heute
wetentliche Kräfte belchäftigt, mit der individuellen Qualität des
Einzelltücks, das den Charakter der Mufeen bisher beftimmte,
bietet eine nur relative Schwierigkeit.

Was das „Mufeum der Gegenwart" (oll, ift etwas anderes. Ich
zitiere Walter Riezler: Es (oll „alle Dokumente der Geftaltwerdung
unfererZeit fammeln und zugänglich machen", — „das ganze weite
und wunderbare neue Reich der technifchen Formen, und über-
haupt alles, was an Formungen aus der neuen fozialen und wirt-
Ichaftlichen Struktur der Gegenwart herauswächft in Abbildungen
oder fonftwie anlchaulich machen", „immer wieder neue Quer-
fchnitte durch die Zeit legen."

Das Programm fcheint wahrhaft zeitgemäß. Der Gedanke wird
populär werden. Es fällt Ichwer, dielem Enthufiasmus Bedenken
entgegenzultellen. Es will etwas heihen, das nach neuer Geftalt
drängende Leben der Gegenwart in Allem vorzuführen: Haus,
Strafe, Siedelung, Malchine, Fabrik, Sport, Gefellfchaft, Mode,
über das nächftliegende, praktilche Bedenken find fich auch die
Propagatoren des „Neuen Mufeums" klar. Auch lie halten eine der-
artige Vorführung im Rahmen eines Muleums für unmöglich; fie
denken tatfächlich an wechfelnde Zulammenltellungen, periodifche
Ausheilungen; willen, dafj das Material nur zum kleinften Teile die
Objekte felbft bilden könnten, londern Modelle, Fotos, - ich
würde hinzufügen: Kinovorführungen. Warum dann aber ein
(olches Unternehmen mit dem Wort und Begriff und womöglich
mit dem Raum des Mufeums in Verbindung bringen? Man erichwert
dadurch nur die DiskuKion, gefährdet fowohl das Interelfante und
Richtige des neuen Gedankens, wie den tiefen und eigentlichen

O DER MUSEEN

Sinn eines jeden guten Mufeums. Denn fo flüffig und wandlungs-
fähig die Mufeen find und fein follen, fo find fie doch an eine
Subftanz gebunden, die auf eigenen Gefetjen beruht, und deren
Funktion mit keiner anderen Aufgabe identifiziert werden kann.
Es handelt fich nicht nur um Wort, Begriff und zufälligen Raum des
Mufeums, fondern wie der Inhalt ilt auch das Ziel ein ganz ver-
fchiedenes. Bei dem geforderten „Neuen Mufeum" liegt es in den
„Lehr-, Verfuchs- und Anregungszwecken". Das Ziel der mulealen
Sammlung ift hiervon grundverfchieden; lie ilt vielleicht nicht frei,
aber keineswegs getragen von aktuellen und experimentativen,
lehrhaften und propagandiftifchen Zwecken. Das gilt für die zeit-
genöffifche Sammlung genau fo wie für die retrofpektive.
Deshalb follte man die Gedanken und Ablichten, die unter dem
Schlagworte des „Mufeums der Gegenwart" zum Ausdruck kom-
men, möglichft reinlich (cheiden von der mufealen Darbietung.
Es ilt fchön und vernünftig, dah jerjt energifch all die geformten
und (ich formenden Dafeinswerte in ihrer vitalen Bedeutung über
eine überflüffigeScheinkunlt gelteilt werden. Aber es ift bedenklich,
einer Zufammenftellung von aus dem Leben exemplifizierten Din-
gen mufealen Charakter zu geben, lie in diefer oder jener Auswahl
mit einem Mufeum zu vermifchen oder ihm anzugleichen. Warum
von Mufeum fprechen, wenn man Ausftellung, Mufterlchau, wirt-
Ichaftlicheund gefellfchaftliche Programme und Propaganda meint?
Die Aufgaben liegen nicht im Kreile der Muleen, ihre gegebenen
Organe lind die Schulen und Fachfchulen, die Produzenten und
die Wirtfchaft. Ihre fruchtbare Durchführung erfordert eine eigene,
grofje Organilation, der man — wer Sehnfucht und Vertrauen dazu
hat — fogar amtliche Machtvollkommenheiten geben mag. Ihrem
Charakter nach dürfte fie nicht an das Muleum anknüpfen, fondern
mühte zwifchen Archiv, Verfuchsbühneund Propaganda liegen.
Die heikle Frage, wie grofje Mittel und Kräfte für eine folche Or-
ganilation einzulegen lieh verlohnt, follte ftreng (achlich behandelt
werden. Entfcheidend ilt das wozu, wofür? Hinter der Verknüpfung
dieler Gedanken mit dem „Muleum" verbergen fich aber Unklar-
heiten, die zum mindeften auf einen Reff von Unfachlichkeit weifen.
Es ift (chon unheimlich, wenn einer der Väter des Gedankens diete
Pläne mit der „Neigung des Deuffchen zu einer theoretifchen und
lyftematifchen Betrachtung auch derGegenwart" motiviert(Riezler!).
Diefe Neigung vermag (ich hinreichend auch ohne einen folchen
Apparat zu befriedigen. Sie ilt benachbart der noch gefährlicheren
deuffchen Neigung zur falfchen geiltigen Reprälentation und
Faflade: Kaum hat man (ich gefreut, dah das „lebende Leben"
eines faulen Aelthetizismus fich entledigt, will man es zum Inhalt
eines Muleums machen! Als bedürften diele Dinge und Werte
einer aefthetifchen oder fonftigen Legitimation, oder gar der Be-
tätigung, Approbierung durch das Mufeum! Steckt nicht überhaupt
etwa eine verkappte, alte unglückliche Liebe zum Muleum hinter

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