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Das neue Frankfurt: internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung — 4.1930

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Prinzhorn, Hans: Goethe und das XX. Jahrhundert: zur Frage der Goethe Ehrung 1932
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https://doi.org/10.11588/diglit.17292#0229

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AUSSTELLUNGEN UND EHRUNGEN

A. Frankfurt 1932

GOETHE UND DAS XX. JAHRHUNDERT

Zur Frage der Goethe-Ehrung 1932.

Bekanntlich plant die Stadt Frankfurt für 1932 eine beträcht-
liche Erweiterung des Goefhe-Haules, wozu die
Mittel durch eine allgemeine Deutfche Spende aufgebracht
werden tollen. Unabhängig von dietem Projekt äußert fich
hier Hans Prinzhorn auf untere Einladung zu der Frage ei-
ner würdigen Ehrung Goelhes. Wir werden die Diskuttion
über dietes Thema tpäter forfteljen. Gtr.

Wir ftehen vor einer der feltenen Gelegenheiten, bei denen wir
den fogenannten „Geilt der Zeit" entweder ganz einwandfrei
als Wegbereiter für lebendige Kräfte beweifen müflen oder aber
ihn belfer aufgeben. Wenn bei dem größten Teil der jährlich
fälligen Gedenkfeiern Phanfafie und Sinn für angemeffene Würde
vertagen, (o hat das zum Glück nur örtliche Bedeutung und auch
bei Dauerehrung in fichtbaren Mälern, Bauten oder Sammlungen
gilt das gleiche: fallen lie unzulänglich aus, Io wird auf die Dauer
nicht viel gelchadet.

Wenn es aber unter unteren großen Ahnen irgendeinen gibt,
der folchen Unzulänglichkeiten nicht unterworfen werden darf, fo
itt es Goethe. Freilich wollen uns heute, durch die Verwirrung
aller Maßttäbe in unterer Zeit begünftigt, viele einreden, jeder
Gebildete innerhalb und außerhalb Deutfchlands witfe zur Ge-
nüge, daß Goethe der ftärkfte der altehrwürdigen Klattiker fei
und to tolle man ihm die Ehre geben, die ihm gebühre als dem
höchtten Bildungsgegenftande, über den untere Schulen verfüg-
ten. Wäre das richtig — erftaunlicherweite ftimmen antehnliche
Dichter von gepflegter, bürgerlicher Haltung folcher engttirnigen
Meinung bei! — to könnten wir die Ehrung von Goethes An-
denken getrott den Verwaltern unterer Bildungsgüter überlaffen
und brauchten uns keine Sorgen zu machen, ob dabei die höchtte
und bette Form der Ehrung getroffen würde.

Aber die Tattachen fehen ganz anders aus: hinter jenem „Geheim-
rat" mit vielen bürgerlichen Tugenden aber einer etwas beweg-
ten Vergangenheit, den man in der fatalen Zeit um 1880 für
höhere Töchter hergerichtet hatte, haben einige von uns inzwifchen
den wahren, heißblütigen, touverän unabhängigen Dichter und
Denker wiedergefunden, der uns Heutigen mehr kräftige Weis-
heiten zu tagen und durch Beifpiele zu lehren hat, als der größte
Teil der übrigen deuttchen Literatur zutammengenommen. Wir
haben ferner gelernt, daß der Reft jener kulturellen Weltgeltung,
der durch untere polititch-wirtfchaftliche Katatfrophe hindurch tich
als haltbar erwieten hat, ganz überwiegend auf die mächtige und
leuchtende Gettalt detten [ich gründet, der als Inbegriff deuftcher

Tiefe und Feinheit gleichzeitig einer der Wenigen von uns itt,
den alle anderen Nationen als übernationalen großen Europäer
freudig aufnahmen.

Will man daher in Goethes Geburtsftadt im hundertften Todes-
jahre ihres größten Sohnes zur Ehrung feines Andenkens etwas
unternehmen, to muß man [ich bewußt fein, daß man der Bedeu-
tung des zu Ehrenden in gar keiner Hinficht mit herkömmlichen
Mitteln gerecht werden kann. Bei Goethe oder bei keinem gilt
es zu zeigen, daß man nicht eine tote Perton, fondern die fort-
zeugende Kraft feines Werkes und [eines lebendigen Mentchen-
tums für jedermann tichtbar zu machen vermag. Zeugnis für diete
Lebendigkeit wird von ganz vertchiedenen Seiten her abgelegt:
einerfeits rechnen die anfehnlichtten Vertreter der älteren Gene-
ration Goethe zu den tieftten Weiten der Mentchheit (Stefan
George, Ludwig Klages, Richard Wilhelm), andererfeits itt es ein
Leichtes, hinter der Bemühung mancher Zeitgenoften, das über-
ragende Vorbild aus dem Gefichtskreis unterer Tage zu entfernen,
die Angtt und Unficherheif eines Schwächegefühls nachzuweifen,
das fich hinter übertriebenem Geltungsantpruch vertteckt und bei
anderen den Glauben an die eigene Wichtigkeit durch unermüd-
liche Suggeftion zu erzeugen trachtet. Beiderlei Kundgaben müften
wir auffatten als Huldigungen für den überragenden und als eine
Mahnung an uns, das Starke und Lebensvolle an ihm ins rechte
Licht zu feßen.

Unter dietem Gefichtspunkte fragen wir uns: welche Ehrungsfor-
men kann man als würdig anerkennen, welche nicht? — welche
tollte man demnach wählen, welche aber vermeiden?

Vor allem, to tcheint mir, tollte man fich hüten, bei dieter Gele-
genheit hittorifch-antiquaritchen Neigungen zu frönen und das
Zeitgebundene, Privatbürgerliche, kurzum lokal-patriotitchen
Neigungen Nächftliegende in den Vordergrund zu ffellen. Der
große Gedenktag gilt gerade nicht dem Mitbürger vom Hirfch-
graben, (ondern itt vielmehr ein fäkulares Wegmal auf dem
Wandlungswege unteres größten Dichters vom Mitbürger zum
Mythos. Jede Veranttaltung die tich bei folcher weiten Sicht nicht
halten kann, muß als verlorene Mühe, als Provinzialismus, ja als
Herabwürdigung unteres höchtten Kulturgutes betrachtet werden.
Demgemäß müften wir, pofitiv getagt, zweierlei als Forderung für
eine fäkuläre Ehrung aufftellen:

1. Eine breite Feier, bei der fich alles auf der Ebene der großen
erfüllten Formen bewegen tollte, fo daß leßten Endes nur ein ein-
ziges Programm dem Anlaß Genüge tun würde, nämlich eine
feierliche Verantchaulichung von Goethes Weltgeltung durch Zu-
fammenwirken von etwa zwölf großen Geittern aller Sprachen
— in welchem Namen tontt wäre dies wohl möglich?

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