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Das neue Frankfurt: internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung — 4.1930

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Schlemmer, Oskar: Gestaltung aus dem Material
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https://doi.org/10.11588/diglit.17292#0341

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Begrenzungen diefes Raums. Je ausgeprägter das Raumempfinden des Tän-
zers ift, defto mehr wird er den Tanz aus dem Raum entwickeln, dem Raum,
der ihn „hat", der ihn fafziniert und „behext".

Wenn es der Innenraum ift, in dem der Tänzer tanzt, diefes kubifche, anti-
naturaliftifche Gebilde, deffen Wefen, da es von Menfchenhand gefchaffen
wurde, dem Regulären, dem Geometrifchen zugehört, fo bedeutet alles:
Mitte, Ecken, Teilung, Höhe, Breite, Tiefe und das davon ausgehende ficht-
bare und unfichtbare Linienneß „Störung" für den Tänzer, wenn er diefer
Umwelt unterliegt, oder,wenn er fie beherrfcht, — Material! In demfelben
Sinne Material kann fein und werden: Farbe, Struktur, Faktur der Boden-
fläche, der Wandflächen (Holz, Gewebe), Einfall und Schein des Lichts ufw.
Gewiß, der Tänzer kann die Augen fchließen und „ganz nur feinem Körper
laufchen", vergeffen, was um ihn ift, um „ganz er felbft zu fein". — Hält er
jedoch die Augen offen, fo dafj fich ihm die Umwelt offenbart, fo kann er
nicht umhin, fie zu affimilieren, fie fich „einzuverleiben". Wird diefer Einfluß
der Umgebung auf den Tänzer alfo zugegeben, fo entrollt fich die gefamte
Skala der Elemente, von denen der Tänzer beeindruckt, erregt, entfeffelt zu
werden vermag. — Ein Punkt im Raum, eine Linie, eine Fläche, eine farbige
Fläche, ein plaftifcher Gegenftand, ein glänzender, ein fich bewegender Ge-
genftand, ein heller Raum, ein dunkler, ein hoher, ein niedriger, ein geteil-
ter, ein fymmetrifcher, ein afymmetrifcher Raum, Treppen, Kaften, Mobiliar—
es find die Injektionen in den Körper des Tänzers und bewirken die ver-
fchiedenartigften Re-Aktionen desfelben.

Der nackte Tänzer, in der Antike der normale und ideale Zuftand, ift in un-
ferer Zivilifation ein umftrittener Sonderfall. — Ift nicht aber auch die Be-
kleidung Material? Ift nicht alles, was an ihm folcherart gefchieht, Quelle
form- und geftaltbildender Kraft? Der Körper fühlt anders, wenn er mit ab-
teilendem Rock und Hofe oder mit fließendem Gewand bekleidet ift, und er
 
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